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Jede zehnte Person in der Schweiz ist arm

Die Herkunft bestimmt oft über die Bildung - und über eine Zukunft in Armut. Caritas

Wer eine schlechte Bildung hat, wird eher arm. Das belegt eine Caritas Studie. 10% bis 12% der Schweizer Wohnbevölkerung sind von Armut betroffen.

Das Hilfswerk verlangt eine Reform des Bildungssystems und Massnahmen bei der Familien- und Arbeitspolitik.

Neue Studien zeigen, dass in der Schweiz rund 850’000 Menschen – davon 220’000 Kinder – unter der Armutsgrenze leben.

Laut der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) gilt als arm, wem nach Abgabe von Sozialabgaben und Steuern weniger als 2200 Franken im Monat bleiben. Bei Familien mit zwei Kindern liegt dieser Betrag bei 4300 Franken.

“Die Armut in unserem reichen Land ist ein Skandal”, empört sich Jürg Krummenacher, Direktor der Caritas Schweiz. Die Caritas, 1901 gegründet, ist eines der ältesten Hilfswerke der Schweiz und engagiert sich neben Entwicklungszusammenarbeit, humanitärer Hilfe und Asylfragen auch für soziale Hilfe im Inland.

Am Montag präsentierte die Caritas in Bern eine Studie, welche eine gewichtige Armutsfalle aufdeckt: die Schulbildung. Bereits im Kindesalter entscheide sich, wer in seinem Leben armutsgefährdet sei.

Tiefe Bildung, hohes Armuts-Risiko

“Bildung schützt vor Armut und sozialer Ausgrenzung”, fasst Carlo Knöpfel, der bei der Caritas den Bereich Grundlagen leitet, die Ergebnisse der Studie zusammen.

Das zeigen die Zahlen: Nur gerade 86% der 30- bis 64-jährigen Männer ohne nachobligatorische Ausbildung waren im Jahr 2000 erwerbstätig. Bei den Männern mit Lehrabschluss oder Maturität, waren es 92,9%. Von den Hochschul-Abgängern hatten 95,5% eine Stelle.

Mit einem Hauptschulabschluss – also den obligatorischen neun Schuljahren – ohne weitere Ausbildung, sei eine prekäre Erwerbsbiografie vorgezeichnet, sagte Knöpfel.

Die ersten Jahre entscheiden

Besonders oft arm sind laut der Studie alleinerziehende, ausländische Frauen mit geringem Bildungs-Niveau. Aber auch Familien mit mehr als zwei Kindern weisen ein besonders hohes Risiko auf, von Armut betroffen zu sein.

Die Studie zeigt auch, dass eine Zukunft in Armut oft schon von der Herkunft bestimmt wird. So ist beispielsweise der Anteil Studentinnen und Studenten mit Eltern, die selber einen Hochschulabschluss haben, sieben mal höher als jener von Studierenden, deren Eltern nur die Grundschule besuchten.

Auch bei den Lehrstellen ist nichts in Butter

Caritas prangert aber auch die Situation in der zweiten Schiene des dualen Ausbildungswesens, den Berufslehren, an: Die Jugenderwerbslosigkeit betrage mit 8% das doppelte der normalen Arbeitslosigkeit. Die angespannte Situation auf dem Arbeitsmarkt erschwere Jugendlichen den Berufseinstieg massiv.

Auch zwischen Bildung, Gesundheit und Lebenserwartung weist die Studie einen Zusammenhang nach. Wer eine geringe Schulbildung habe trage grössere Gesundheitsrisiken. Die Wahrscheinlichkeit invalid zu werden sei höher und die Lebenserwartung tiefer.

Ganze Massnahmen-Bündel gefordert

Die Caritas fordert nun, dass die Armutspolitik auf solche Erkenntnisse eingeht und verlangt Massnahmen in den Bereichen Bildung, Familie und Arbeitsmarkt.

Diese sollen bereits in frühen Jahren greifen: Krippen, Tagesfamilien, Spielgruppen und Kindergärten würden die Fähigkeiten der Kleinkinder verbessern. Durch die Einführung einer obligatorischen, unentgeltlichen Vorstufe könnten Kinder mit Lerndefiziten früher erfasst und gefördert werden.

Notwendig ist aus Sicht des Hilfswerkes auch ein Ausbau und eine Harmonisierung der kantonalen Stipendien- und Darlehensordnungen für Studierende. Der staatliche Abbau und die Erhöhung der Semestergebühren an den Hochschulen wirke sich einschneidend aus.

Weiter sollen Lehrstellen und die Weiterbildung im Erwerbsleben gefördert werden. Denn der Verlust der Arbeitsstelle sei nach wie vor eines der höchsten Armutsrisiken.

swissinfo

850’000 Menschen in der Schweiz sind von Armut betroffen. Davon sind 220’000 Kinder.

Zwei Drittel der Bevölkerung verfügt heute über weniger Geld als in den 90er Jahren.

Im Jahre 2002 lag das Existenzminimum – Grundbedürfnisse, Miete, Krankenkasse – für Einzelpersonen bei 2200 Franken im Monat.

Das Existenzminimum für eine Familie mit zwei Kindern liegt bei 4300 Franken monatlich.

Wer sind die Armen in der Schweiz?

Ein Zehntel der Wohnbevölkerung lebt während längerer Zeit in prekären Verhältnissen.

Noch mehr Personen sind während kurzer Zeit in einer prekären Lage. Gründe sind meist Arbeitslosigkeit oder eine Scheidung.

Vor allem eine geringe Schulbildung – obligatorische Schulzeit ohne Lehre oder Gymnasium – ist ein Armutsrisiko, sagt Caritas.

Besonders von Armut betroffen sind alleinerziehende Mütter mit geringer Schulbildung und ausländischer Herkunft, aber auch Familien mit mehr als zwei Kindern.

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