Kein Film für die Piazza

Zweiter Festival-Abend: Der erste Film wurde zu Recht ausgebuht, der zweite bot Klamauk unter der Gürtellinie.
Bei der Auswahl der Filme für die Piazza-Vorführungen am Abend nach der Eröffnung hat die künstlerische Direktorin Irene Bignardi kein glückliches Händchen gehabt: Der erste Streifen – «My Little Eye» von Marc Evans, ein Thriller – gipfelte in der Darstellung rohster Gewalt. Am Ende wurde er von einem grossen Teil des Publikums ausgepfiffen und ausgebuht.
Tödlicher Ausgang
In «My Little Eye» erklären sich fünf junge Menschen bereit, während sechs Monaten in einem abgelegenen, geräumigen alten Haus zu leben. Jede ihrer Bewegungen und Handlungen wird, ähnlich der Fernseh-Serie «Big Brother», von Kameras überwacht und angeblich im Internet publiziert. Es locken eine Million Dollar Belohnung, wenn nach einem halben Jahr alle noch im Haus sind.
Und um es kurz zu machen: Von den jungen Leuten lebt an Schluss keiner mehr. Einer unter ihnen entpuppt sich als kaltblütiger Mörder, der mit einigen der wenigen anonymen Auftraggeber dieses grausamen Projekts mit tödlichem Ausgang unter einer Decke steckt. Die Mord-Serie beginnt, als der Junge direkt in eine der Überwachungs-Kameras blickt und fragt, ob er das eine Mädchen nun töten solle.
Kein Piazza-Film
Ein solcher Film gehört nicht auf die Piazza. Dass er um 21.30 Uhr gezeigt wurde, zur Haupt- und zum Teil auch Familien-Zeit, ist ein weiterer Fehlentscheid. Der Anspruch, dass die Piazza-Filme Unterhaltung bieten sollen für eine breite Öffentlichkeit, ist richtig. Doch das Publikum, welches solchen Horror sucht, braucht dabei nicht bedient zu werden.
Das Genre des Horror-Films soll an einem Filmfestival mit der Reputation eines Locarno durchaus seinen Platz haben dürfen – mit einem kritischen Anspruch. Möglich wäre für dieses Jahr zum Beispiel eine Vorführung im Rahmen der neuen Sektion «In Progress» gewesen, wo Diskussionen möglich sind und ein Austausch angestrebt wird zwischen der Welt des Films und anderen Welten.
Und danach: Geschmackloser Klamauk
Nach «My Little Eye» hatte das Publikum Lust auf Zerstreuung. So schien der als Komödie angekündigte «Ali G Indahouse» von Mark Mylod gerade das Richtige zu sein. Doch Ali G, der gemäss Programm Weltmeister ist, wenn es darum geht, «sexistische oder andere vulgäre Witze zu reissen», machte dieser Charakterisierung alle Ehre. Er vermochte die dunklen Eindrücke von vorher nicht im Geringsten zu vertreiben.
Der Film wird als «freizügige Satire auf die politische Moral» angepriesen. Er vermittelt vor allem eines: Bilder, welche Frauen einzig und allein als Sex-Objekte darstellen. Und die Wahrheit, dass Frauen keine Frauen seien, sondern Schlampen… Ein Blödelstreifen schlechten Geschmacks weit unter der Gürtellinie.
Kathrin Boss Brawand, Locarno

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