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Schweizerland in Sicht

Aus Lukas Holligers "Letzte Worte eines Schweizers mit Kreuz". (Bild: luzernertheater) swissinfo.ch

Auf der kleinen Bühne des Luzerner Theaters ist Lukas Holligers "Letzte Worte eines Schweizers mit Kreuz" zu sehen.

Im Mittelpunkt stehen eine Schweizer Familie, die Schweiz, viel Swissness und die ewig genährte Sehnsucht nach Meer.

Die Schweizer Demokratie lebt! Und wie. Justament an diesem Wochenende, wo nicht weniger als 9 eidgenössische Abstimmungen auf ein Ja oder ein Nein warten, zeigt sich, was gelebte Basisdemokratie heisst: Auseinandersetzung, Engagement und Abstimmen.

Ja oder Nein

Gleichfalls um ein Ja oder ein Nein geht es in Lukas Holligers Theaterstück, das Anfang Mai 2003 in Luzern seine Uraufführung erlebte. Holliger, Jahrgang 1971 und somit einer der Nachwuchsdramatiker im Lande, hat sich in seinem neusten Theaterstück der Heimat zugewandt.

Ein Unterfangen, in dem sich schon mancher Autor verlor und unverhofft in jene Enge und Kurzsichtigkeit geriet, die er eigentlich anprangern und sprengen wollte. Doch so einfach ist DIE Schweiz eben nicht zu knacken.

Hinter jedem Cliché lauert ein nächstes und nochmals eines. Und die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Lukas Holliger, dessen Stück eine Auftragsarbeit ist, hat eine mögliche schweizerische Wahrheit gesucht und ist gescheitert.

Eine typische Schweizer Familie

Nun, Holliger hat für sein Stück eine “typische” Schweizerfamilie ins Zentrum gestellt. Vater, Mutter, Tochter, Sohn. Die Mutter spielt Bach und ist die grosse Abwesende. Der Vater versucht, den Kindern Heimat, Heimatgefühl, Ehre und Stolz beizubringen. Es gibt nur Ja oder Nein. Rot und Weiss.

Am Sonntag geht man in die Berge. Stramm und stolz. “Der Müdigkeit darf erst abends im Chalet nachgegeben werden”, sagt der Vater, derweil der Sohn pinkeln müsste. Weiter doziert der Vater über die Schneeberge, die Freiheit und das Land.

Die Namen der Bundesräte und Bundesrätinnen zu kennen ist gleich wichtig wie das Erkennen und Benennen der Kantonswappen an den Autoschildern. Der Sohn macht eifrig mit, die Tochter lutscht am Finger. Ein anderes Mal spielt der Sohn mit einem Segelschiff, Meer und Schiff. Doch der gestrenge Papa lässt diese Fantasie-Reise nicht gelten, das Boot muss weg.

Auf ins Ausland



So kommt’s, wie es kommen muss. Die Tochter, die Ungeliebte, geht weg, geht in die Ferne, in die Weite. Indien muss es schon sein. Denn: “Der Schweizer wird erst im Ausland so richtig zum Schweizer.” Doch weil auch im Ausland das Land durchaus feindlich sein kann, wird die Tochter von einer Schlange gebissen.

Jetzt kommt die verlorene Tochter wieder in die Heimat zurück. Hier ist in der Zwischenzeit der Vater verstorben. Der Bruder versucht sich als Designer des Schweizerischen: T-Shirts, Gadgets, Uhren, etc. Hauptsache, das weisse Kreuz auf rotem Grund ziert alles und jedes. Das Schweizer Kreuz als Designer-Logo.

Das alles soll satirisch-lustig-böse sein und vermag einfach nicht wirklich zu überzeugen. Text und Geschichte sind zu harmlos, kratzen zu wenig, bieten keine Überraschungen. Da kann auch die solide Inszenierung nicht darüber hinweg helfen.

Ende gut, alles gut?

Ende gut, alles gut? Mitnichten. Bruder und Schwester haben sich längst auseinandergelebt, die Auslandschweizerin und der Inlandschweizer haben sich nicht mehr viel zu sagen. Einzig die Sehnsucht nach Meer, die haben beide tief verinnerlicht.

Lukas Holligers Stück versucht mit der guteidgenössischen Metapher Zeig-mir-den-Pass-und-ich-sage-dir-du-bist-Schweizer sein Theaterstück zu begründen. Doch längst ist Helvetien kein Sonderfall mehr.

Das Ausland ist auch im Inland. Auch wenn in den Köpfen von Ewiggestrigen die Sehnsucht nach dem Sonderfall aufrecht erhalten wird. Manchmal auch erfolgreich, wie die Politik zeigt. Für ein Theaterstück reicht dieser Ansatz nicht. Für die Politik auf lange Sicht auch nicht.

swissinfo, Brigitta Javurek

Der Autor Lukas Holliger wurde 1971 in Basel geboren.
Er studierte Germanistik, Kunstwissenschaft und Geschichte.
Für sein Stück “Begatten und Bestatten gestattet” erhielt er den Schweizerischen Förderpreis 2002 für junges Theater.
Aktuell ist Holliger Teilnehmer des Meisterkurses für Jung-Dramatiker MC6.
Das Stück “Letzte Worte eines Schweizers mit Kreuz” hat Holliger als Auftragsarbeit für das Luzerner Theater verfasst.

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