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Theaterblut und elektronische Verstärker

Schlussakkord in der irischen Produktion "Oedipus Loves You".

"Neuropa" heisst das Motto der 25. Ausgabe von AUAWIRLEBEN. Das internationale Theaterfestival in Bern präsentiert Neues, Schrilles und Neurotisches aus Europa.

11 Produktionen aus Irland, Estland, Belgien, Österreich, Slowenien, Deutschland, Rumänien und der Schweiz sind noch bis am 6. Mai zu sehen.

Ob Orpheus illegal ist und Ödipus dich liebt, sind nur zwei von zahlreichen Fragen, die das internationale Theaterfestival AUAWIRLEBEN dieses Jahr aufwirft.

Sicher ist dies: “Schweiz küsst Türkei”. So heisst die Koproduktion des Theaters Zamt & Zunder aus Baden und des Theaters Tuchlaube aus Aarau.

Das Jugendstück aus der Feder der jungen Zürcher Autorin Tina Müller thematisiert in spritzigen Dialogen vor einem asiatischen Fastfood-Stand die interkulturelle Liebe zwischen dem Schweizer Jonas und der Türkin Aynur, die die gleiche Schule besuchen.

Die Bilder in Jonas’ Kopf tanzen zwischen romantischer Verklärung und Horrorvision. Der Reigen der Imagination wird auf der Bühne durch ein Spiel im Spiel noch beschleunigt. Die Schauspieler Philip Siegel und Oriana Schrage springen in Atem beraubenden Tempo von Rolle zu Rolle.

Das Neue und das Neurotische

Im Rahmen des Festivals für zeitgenössisches Theater mit dem programmatischen Motto “Neuropa” illustriert diese Inszenierung, wie sehr die Schweiz mitten in Europa ist, auch wenn sie sich offiziell nach wie vor raushalten will.

“Natürlich spielt das Motto mit dem Abseitsstehen der Schweiz von der EU”, sagt die künstlerische Leiterin des Festivals, Beatrix Bühler, gegenüber swissinfo. Diese Abstinenz sei ein Selbstbetrug, denn die Schweiz sei in vielen Bereichen mit Europa verbandelt.

“Bei der Wortschöpfung Neuropa hat uns sowohl das Neue im Zusammenhang mit Europa wie der Anklang ans Neurotische gefallen”, sagt Bühler, die in der Kunst bei aller Politik doch klar dem Spielerischen, Schrägen und politisch Unkorrekten den Vorzug gibt.

Grenzen sprengend

Die Regisseurin und studierte Theaterwissenschafterin Beatrix Bühler ist seit den Anfängen von AUAWIRLEBEN dabei, seit rund 20 Jahren nun als künstlerische Leiterin.

Vieles habe sich seither im zeitgenössischen Theater verändert, sagt sie: “Das Spiel mit der Realität hat sich stark entwickelt, das Theater ist frecher, freier und mutiger geworden und überwindet heute locker die Grenzen zum Tanz, der Perfomance, der Musik und zu den visuellen Künsten.”

So etwa in der Inszenierung der irischen Gruppe Pan Pan, “Oedipus Loves You”. Dort formieren sich Ödipus, Jokaste, Kreon, Antigone und der blinde Tiresias aus dem griechischen Mythos um Vatermord und Inzest im Verlauf des Spiels zu einer wilden Rockband.

Ödipus ist mal tragische Figur, mal überforderter Familienvater, der selbst als Grillmeister beim Barbecue versagt und sich beim blinden Tiresias einer Gruppentherapie unterzieht. Sigmund Freud lässt grüssen.

Im Schlussbild kommt Ödipus blutüberströmt auf die Bühne zurück, nachdem er sich selbst geblendet hat. Er zieht Kopfhörer über und schliesst sich, blind nach Halt tastend, den übrigen Familienmitgliedern an, die sich zum elektronisch verstärkten Sound ekstatisch drehen.

Eurovision – Eure Vision

Im Rahmenprogramm nähert sich das Festival dem “Neuropa”-Thema auf humoristische Weise. Bewusst an den internationalen Kultstar Borat und den Kitsch der Eurovisionssendungen anknüpfend, präsentieren sieben Künstlerinnen und Künstler an sieben Abenden ihr favorisiertes Europa-Land.

Ob Italien inkl. Vatikan oder Holland, ob Slowakei oder Schweiz, Klischees sind im Überfluss zu haben, mal gelungen als ironisches Zitat, mal in der Häufung versandend.

Ein Höhepunkt des Programms “Eurovision – Eure Vision” ist die Präsentation Österreichs durch den Schauspieler Herwig Ursin. Mit gelb getönter Sonnenbrille am Harmonium sitzend und vom Wiener Zentralfriedhof singend, lässt er seine Partnerin Teresia ein Schnitzel braten. Von der Leinwand grüsst fröhlich Sissi.

swissinfo, Susanne Schanda

Das internationale Theaterfestival findet vom 26. April bis zum 6. Mai 2007 in Bern statt.
Das Budget beträgt dieses Jahr rund 350’000 Franken.
Gut die Hälfte davon wird durch Subventionen der Stadt und des Kantons Bern gedeckt.
Für den Rest kommen neben der Burgergemeinde Bern und Pro Helvetia zahlreiche private Sponsoren auf.

Andere Theaterfestivals in der Schweiz:

Theater-Spektakel in Zürich: 16.8.-2.9.07.

Zürcher Festspiele: 15.6.-8.7.07.

Das Festival “Welt in Basel” findet alle 2 Jahre statt, das nächste Mal 2008.

Spartenübergreifende Festivals in der französischsprachigen Schweiz mit Theater, Tanz und Musik sind das Festival de la Cité in Lausanne (6.-14.7.07) und das Festival de la Bâtie in Genf (31.8.-15.9.07).

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