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Ungeschöntes Amerika

Duane Hanson: Selbstporträt mit Modell, 1979. 2003 Duane Hanson Estate

Das Kunsthaus Zürich zeigt Werke des amerikanischen Künstlers Duane Hanson.

Der erste umfassende Überblick in der Schweiz zeigt 36 lebensnahen Skulpturen von Duane Hanson. Stereotypen des amerikanischen Alltags: ungeschönt und bewegend.

20. März 2003. Schwarze Ironie der Gleichzeitigkeit oder ganz einfach Zufall, dass an diesem Tag die amerikanische Regierung und ihre Verbündeten den Krieg im Irak beginnen und das Kunsthaus Zürich die Vernissage zur Ausstellung des amerikanischen Künstlers Duane Hansan eröffnet?

Wahrscheinlich keines von beidem, doch seit Kriegsausbruch steht Kunst aus Amerika, stehen amerikanische Künstler in einem erweiterten Focus.
Duane Hanson, 1925 als Sohn schwedischer Einwanderer in Minnesota geboren, kann keine Stellung mehr beziehen, er starb 1996 an Krebs. Sein umfangreiches Werk spricht für ihn.

Mythos Amerika

«Ich drücke mein Mitgefühl und meine Sympathie für die von mir Dargestellten durch ihre Erschöpfung und Verzweiflung aus», hat Hanson einmal über seine Arbeit gesagt. In der Tat, seine plastischen, täuschend echten, lebensgrossen Abbilder der amerikanischen Mittel- und Unterschicht kratzen gewaltig am Mythos des kapitalistischen Wunderlandes.

Die Realität, die Hanson zeigt, hat nichts gemein mit Glamour und Schein. Seine Skulpturen führen direkt ins Leben und lassen die Zuschauer nicht kalt. Eine kühle distanzierte Betrachtung ist nicht möglich; zu genau hat Hanson seinen Figuren ins Gesicht, in die Abgründe der Seele geschaut.

Risse im Traum



Bereits mit 13 Jahren schnitzt Duane Hanson seine erste Figur, getreu nach einer Bildvorlage. Er studiert Bildende Kunst, arbeitet als Lehrer und reist 1953 zum ersten Mal nach Europa. Dort lernt er den deutschen Künstler George Grygo und dessen bevorzugtes Material Polyesterharz und Fiberglas kennen. Fortan wird Hanson in ebendiesen Materialen arbeiten und den Gebrauch bis zur Perfektion steigern.

Nach seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten unternimmt Hanson erste Versuche mit Polyesterharz, und 1965 gelingt ihm mit «Abortion» der künstlerische Durchbruch. «Abortion» – in Zürich zu sehen – zeigt eine junge Frau unter einem Leichentuch, die an den Folgen eines Schwangerschafts-Abbruches stirbt.

Die gespenstisch echte Plastik (ca. 60 cm) löst heftige Kontroversen aus. Ablehnung und Anerkennung gehen Hand in Hand. Noch ist die Plastik klein, doch das fortwährende Motiv ist gefunden. Missstände in der amerikanischen Gesellschaft, Risse im Traum vom Glück.

Keine Pretty Women



So begegnet man in Zürich gleich zu Beginn der Ausstellung «Rita, The Waitress» (1975). Das synthetische hellblaue Arbeitskleid spannt über die Brüste, in der einen Hand hält sie ein Tablett, in der anderen einen Lappen, bereit das Tablett abzuwischen. Das Haar ist nach hinten gekämmt, der Blick seltsam leer. Nein, Rita wird nie entdeckt werden, Rita wird nie Pretty Woman, Rita wird zeitlebens in einer Imbissbude arbeiten und vielleicht nicht einmal das.

Oder Herr und Frau «Tourists II» (1988), bunt und bequem gekleidet, übergewichtig. Er in Shorts und Hawaiihemd, sie in roten XXL-Leggins, beide ausgerüstet mit einem Fotoapparat, bereit die Welt einzufangen, einen Teil davon mit nach Hause zu nehmen. Sie gehören zusammen, beide haben sie schwer zu tragen an der eigenen fetten Last. Oder Duane Hanson, der Künstler, der ebenso unter den Skulpturen zu finden ist.

Mittendrin im Leben

Immer wieder erstaunlich ist die handwerkliche Präzision mit der Duane Hanson seinen Werken «Leben» einhaucht. Dieser eingefrorene Alltag in dem jedes Detail, jedes Haar, jede Requisite sitzt. Alles ist zu sehen, Intimitäten sind aufgehoben. Es darf geschaut werden.

Jeder Pickel, jede Falte, jede Wunde ist zum Fassen nah. Doch der von Hanson provozierte Voyeurismus ist zwiespältig. Endlich kann man schauen, was der Anstand so nicht zulassen würde, gleichzeitig ist die Nähe zur Realität so perfekt, dass man Abstand hält. Zu sehr erinnern diese Skulpturen ans eigene Spiegelbild.

So zeigen sich bereits am ersten Ausstellungstag wundersame Szenen. Schülerinnen einer Modeklasse setzten sich regungslos auf die bereit gestellten Sitzgelegenheiten, lehnten an die Wände. Der Effekt war verblüffend. Die verschobene Realität verschob sich nochmals, der Blick reichte noch tiefer.

Lösten die Schülerinnen ihre Trompe-l’oeil auf, zeigten sich etliche Besuchende erstaunt, belustigt, verwirrt. Und kamen miteinander ins Gespräch. Kunst und Kommunikation. Denn das Werk von Duane Hanson will besprochen sein. Zwingend. Der Durchschnitt, das sind alle.

swissinfo, Brigitta Javurek

Duane Hanson wird am 17.Januar 1925 in Alexandria, Minnesota, geboren.

1965 Durchbruch mit «Abortion».

Ab 1970 entwickelt sich der amerikanische Alltag zu seinem Schwerpunkt.

1996 stirbt Hanson an Krebs.

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