Von den Schultheissen zu den Trachten

Schweizer Kunst im zeitlichen Umfeld der französischen Revolution versammelt die opulente Ausstellung "Windwende" im Seedamm Kulturzentrum in Pfäffikon.
Die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts gilt europaweit als Epoche des Übergangs von der alten zur neuen Gesellschaft, vom feudalen Ancien Régime zum modernen bürgerlichen Staat. Der Sturm auf die Pariser Bastille von 1789 und die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte löste auch in der Schweiz revolutionäre Bewegungen aus.
Fundamentaler Umschwung
Die Begeisterung für die Revolution war kein schlagartig einsetzendes Phänomen und auch keines, das sich in den Regionen einheitlich und kontinuierlich durchsetzte. Und gleichwohl: Über einen Leisten geschlagen trat allerorts in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft ein Umschwung von fundamentaler Bedeutung ein.
Diesen Umschwung umschreibt der Berner Kunsthistoriker Hans Christoph von Tavel mit dem poetischen Begriff «Windwende». Seine Ausstellung bezeichnet er im Katalog als eine rein künstlerische, keine historische. Ungeachtet dieser etwas gesuchten Trennung zeigt sie – so von Tavel selbst – «künstlerische Reaktionen auf die Herausforderungen der Zeit um 1800 in der Schweiz».
Gegliedert ist die Ausstellung historisch-chronologisch und nach Landschaften und Porträts. Den gesellschaftlichen Umschwung führen gleich zu Beginn Schultheiss-Bildnisse eklatant vor Augen: Während Emanuel Handmann und Anton Hickel die Berner Friedrich von Inner und Niklaus Friedrich Steiger als Repräsentanten des Ancien Régime in Pomp und Gloria zeigen, scheint in den Bildern des Winterthurers Anton Graff nüchtern und menschlich die neue Zeit durch.
Neben Johann Heinrich Füssli oder Jacques Sablet kommt Anton Graff in der freiheitlichen, humanistischen Schweizer Malerei jener Zeit eine wichtige Rolle zu. Ein besonderer Glücksfall der Ausstellung ist aber auch der in den 1790-er Jahren entstandene Trachtenzyklus des Luzerners Joseph Reinhart.
Im Auftrag des «revolutionären» Aarauer Seidenfabrikanten Johann Rudolf Meyer malte Reinhart über 130 Porträts von «einfachen Leuten» in ihren Trachten – Bauern, Handwerker, Kleinbürger – und schuf damit im Dienste der Emanzipation ein ethnographisches Panorama der Schweiz, wie es in dieser Zeit einmalig ist.
Weitwinkel und Panorama
Den Einstieg in die Landschaftsmalerei markieren aquarellierte Zeichnungen des Winterthurer «Kleimeisters» Johann Ludwig Aberli, der in den 1750-er Jahren die Landschaftsräume öffnet und im weiten Winkel ausbreitet: «Bern von Süden» oder «Vevey». Gleichzeitig unternimmt Aberli im Zug des aufkommenden Tourismus erste Ausflüge ins Hochgebirge und malt den Grindelwaldgletscher.
Ganz dem Hochgebirge gibt sich der Aargauer Caspar Wolf hin und malt – noch vor der romantischen Bergverherrlichung – ein 200 Gemälde umfassendes «Panorama der Schweizer Alpen». Im Sinne der naturwissenschaftlichen Erweiterung des Horizonts ging der Zürcher Hans Conrad Escher von der Linth noch einen Schritt weiter und schuf erstmals Alpenpanoramen im Blickwinkel von 360 Grad.
Ein weiterer Höhepunkt der Ausstellung ist eine Reproduktion: Marquard Wochers riesige Rundsicht «Panorama von Thun» (1814). Von einem dominierenden Blickpunkt aus vermittelt sie die panoptische Illusion einer reellen, von einem Gebirgskranz umgebenen Stadt. In der Idylle der Stadt zeigt sich nachrevolutionäres Pathos, ohne in den elitären Pomp des Ancien Régime zurückzufallen.
swissinfo und Karl Wüst (sfd)

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