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Schweizer Briefe in die Todeszelle

Helene Leutwiler in einer Unterrichtsstunde zum Thema Todesstrafe bei Maturanden der Kantonsschule Stans. ZVG

In der Schweiz gibt es keine Todesstrafe. Dass es sie in den USA und in vielen andern Ländern gibt, sorgt auch hier für Diskussionen. Jetzt, wo der sogenannte Oklahoma-Bombenleger McVeigh hingerichtet wurde, sei daran erinnert, dass einige hundert Personen in der Schweiz regelmässig Briefe in US-Todeszellen schreiben und Häftlinge dort auch besuchen.

Über die Todesstrafe wird auch in der Schweiz diskutiert. Vor allem dann, wenn in den USA wieder eine Hinrichtung vollzogen wird. Sie aber einführen, das will hier (zur Zeit) niemand. «Gottlob!» sagt man bei der Schweizer Sektion von Amnesty International. Lukas Labhardt von AI betont, dass nach besonders verwerflichen Verbrechen die Stimmung allerdings kurzfristig kippe. Die Frage werde stark aus dem Bauch heraus entschieden. Im Affekt eigentlich, darum sei es auch ganz wichtig, dass es keine Todesstrafe gebe. Sie wirke sowieso nicht abschreckend. «Todesstrafe verhindert die Affekthandlung nicht», sagt Labhardt

Medienzirkus irritiert

Die Hinrichtung des Bombenlegers von Oklahoma, McVeigh, wird in der Schweiz zur Kenntnis genommen. Besonderes Mitleid mit dem Todeskandidaten ist nicht auszumachen. Zu irrsinnig seine Tat. Kopfschütteln hingegen verursacht der Medienrummel rund um die Hinrichtung. Dass alles bestens organisiert sei, dass weit über tausend Journalisten vor Ort sind, dass die besten Kamera-Standplätze am Ort der Hinrichtung für gutes Geld vermietet werden, dass mit dem Tod das grosse Geschäft gemacht wird, das irritiert.

Die Briefeschreiberinnen

In das Bewusstsein gespült werden – im Zusammenhang mit der Hinrichtung von McVeigh – auch die zahlreichen andern Kandidaten und Kandidatinnen, die in Todeszellen auf ihre Hinrichtung warten. Nicht wenige von ihnen erhalten regelmässig Post aus der Schweiz.

Tatsächlich gibt es etliche Personen hier, die Briefkontakte mit zum Tode Verurteilten in den USA pflegen. So auch Helene Leutwiler aus dem Kanton Luzern. Ihre Briefe gehen an Robert E. Smith in Livingston. Dort in Texas wartet er auf die Giftspritze. Zum Tode verurteilt wurde Smith, weil er auf der Flucht nach einem Überfall auf ein Ladengeschäft einen Mann in den Arm schoss. Im Affekt. Die Kugel soll von dort weiter ins Herz des Opfers gedrungen sein.

Robert E. Smith, ein Schwarzer, arm und schlecht gebildet, wie Helene Leutwiler sagt, wurde zum Tod verurteilt. Das war vor gut zehn Jahren. Und sollte die Hinrichtung tatsächlich stattfinden, dann wird Helene Leutwiler nach Texas reisen und beim Tod von Robert E. Smith dabei sein. «Obwohl ich nicht weiss, wie ich das verkrafte, denke ich, er sollte in diesem Augenblick nicht alleine sein.»

Zwischen Alltag und furchtbar

Wie kommt eine Frau aus dem Kanton Luzern zu einem Brieffreund in einer Todeszelle in den USA? «Ich bin durch ein Inserat in einer Zeitung darauf aufmerksam geworden, habe mir eigentlich nicht gross Gedanken gemacht. Alles was ich wollte, war mein Englisch pflegen.»

In den Briefen schreibe sie alltägliche Dinge, über die Kinder, die Familie, sagt Helene Leutwiler. Zurück kommen Antworten, Gedanken dazu, und selten schreibt Robert E. Smith über Dinge aus dem Todestrakt. «Weil es meistens furchtbare Dinge sind.» Helene Leutwiler weiss, wie es dort in etwa aussieht. Sie hat Robert schon dreimal im Gefängnis besucht und wird im Herbst ein weiteres Mal hinreisen.

Diese Briefe verändern mich

Inzwischen nimmt, was als «Pflege der englischen Sprache» begonnen hat, einen breiten Raum ein im Leben der Helene Leutwiler. «Ich kriege Einblick in dieses System dort in den USA, lerne immer mehr Leute kennen, mehr ähnlich gelagerte Fälle.»

Gedanken über die Todesstrafe habe sie sich nie gemacht. «In der Schweiz gibt es das ja nicht.» Heute kann es sich Frau Leutwiler vorstellen, eine Lebensaufgabe daraus zu machen, die Bedingungen für die Häftlinge zu verbessern. Sie selber ist eine Gegnerin der Todesstrafe. Obwohl sie weiss, dass da auch die Opfer sind. «Solange aber der Mensch über Leben und Tod entscheiden kann, wird es hier nie Gerechtigkeit geben. Wir Menschen sind dazu schlicht nicht fähig, weil wir irren.»

Keine Kompensation

Helene Leutwiler ist sich bewusst, dass es Leute gibt, die nicht verstehen können, was sie da tut. «Es ist halt wirklich etwas Verrücktes», meint sie lächelnd. Sie weiss aber, dass es für sie stimmt und dass es nicht eine Kompensation ist für etwas, das ihr fehlt, oder um der Welt zu zeigen, «was Aussergewöhnliches ich da tue». Wenn sie an die Öffentlichkeit gelange, dann der Sache wegen «und nicht wegen mir!»

Helene Leutwiler ist kein Einzelfall. Man rechnet, dass rund 500 Personen, meist Frauen, Briefe in amerikanische Todeszellen schreiben. Das schätzt Barbara Haug von der Basler Organisation «Lifespark», welche die Adressen vermittelt: «Wir wollen den Todeskandidaten, die in der Regel von der Aussenwelt abgeschnitten sind, ein Fenster in die Gesellschaft öffnen!» sagt Barbara Haug.

Dieses Fenster kann sich durchaus auch in die andere Richtung öffnen. Helene Leutwiler: «Meine Brieffreundschaft mit Robert E. Smith ist auch zur Bereicherung für die ganze Familie geworden. Es kostet nicht nur Kraft, es kommt auch viel zurück.»

Urs Maurer

Mit der Schweiz verbunden

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