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Zwei Amerikaner suchen in der Schweiz nach ihren Wurzeln – und es wird emotional

Acht alte Stempel, fotografiert vor alten Hochzeitsfotos
Die Suche nach den Vorfahren in der Schweiz ist oft mit vielen Hindernissen gespickt. Keystone / Laurent Gillieron

Tracey Jones und Pete Thalmann aus den USA haben in der Schweiz ihre familiären Wurzeln gefunden. Sie zählten dabei auf Profis. Was sie fanden, hat sie tief berührt. Und sie beide illustrieren damit, wie wichtig Ahnenforschung für jene sein kann, die fern von der Heimat ihrer Vorfahren leben.

Tracey Jones (56) lebt unweit von Philadelphia und arbeitet an einer Schule. Letztes Jahr hat sie zusammen mit ihrem Mann die Schweiz besucht.

In St. Gallen fand sie eines der Häuser, in denen ihre Grossmutter als Kind gelebt hatte. Im Gespräch mit der «Revue» sagt sie, das habe bei ihr tiefe Gefühle ausgelöst.

Pete Thalmann (80) lebt in Holliston in der Nähe von Boston. Den Sommer verbringt der ehemalige Elektroingenieur auf der Halbinsel Cape Cod.

Er will diesen Herbst in die Schweiz reisen. Das Dörfchen Eggetsbühl bei Wängi (TG) ist eines seiner Ziele. Seine Urgrosseltern hatten dort gelebt.

Tracey Jones und Pete Thalmann haben einiges gemeinsam: Beide interessieren sich seit ihrer Jugend für Geschichte, besonders für die ihrer Familien.

Beide wollten wissen, woher jene kamen, ohne die sie selbst nicht existieren würden. Beide haben recherchiert, Spuren verfolgt und Hindernisse überwunden. Und beide kennen Kurt Münger.

Ein Mann mit Brille
Ahnenforscher Kurt Münger registriert immer mehr Anfragen von Leuten aus dem Ausland, die sich für ihre Schweizer Vorfahren interessieren. zVg

Kurt Münger (74) ist der Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Familienforschung (SGFF).

Die Gesellschaft registriere immer mehr Anfragen von Leuten aus dem Ausland, die sich für ihre Schweizer Vorfahren interessieren: «Wir versuchen, ihnen so gut es geht zu helfen. Ehrenamtlich.»

Münger ist Ostschweizer, lebt in Gossau. Seine Familie stammt aber aus dem Kanton Bern.

In der Zeit um 1900 zogen viele Berner Bauern in den Thurgau und bauten sich dort eine neue Existenz auf.

Auch in Müngers Familiengeschichte spielt Auswanderung eine grosse Rolle. Bloss in einem kleineren geografischen Rahmen.

Er sehe sich als neugierigen Menschen, sagt er. Er wolle nicht nur staunen, sondern verstehen. Er wurde Chemiker, schrieb eine Doktorarbeit über spezielle Moleküle. Menschen, die aufbrechen, auswandern und sich anderswo niederlassen und neu binden – «das erinnert mich an das, was Moleküle tun».

Neugier und Durchhaltewille

Neugier sei die Triebfeder aller Ahnenforschenden. Münger spricht von einer gesunden Neugier, die er von Sensationsgier abgrenzt: Sie trage einen immer weiter, sofern man über genügend Durchhaltewillen verfüge. «Solche Forschung ist nicht immer leicht.»

Eine Frau auf einem Balkon, dahinter Schneeberge
Tracey Jones nahm den Weg aus den USA in die Schweiz auf sich. Was sie antraf, habe bei ihr tiefe Gefühle ausgelöst. zVg

Tracey Jones hatte zunächst auf Websites recherchiert und sich durch Archive gegoogelt – bis sie auf Kurt Münger stiess.

Er vermittelte ihr eine ortskundige Ahnenforscherin, von der sie die entscheidenden Hinweise erhielt. Schliesslich reiste sie in die Schweiz.

Ihre Grossmutter habe nie viel erzählt über ihre Kinder- und Jugendjahre, obschon sie sehr stolz auf ihre Herkunft gewesen sei, sagt Jones.

«Zu sehen, wo sie aufgewachsen ist und in welchen Häusern sie lebte, hat mich enorm berührt.»

Und als sie ihrem Vater, der nie in der Schweiz war, Fotos davon zeigen konnte, sei der überglücklich gewesen. «Diese Erfahrung ist für mich unbezahlbar.»

Pete Thalmann verwendet das Wort unbezahlbar ebenfalls. Als unbezahlbares Geschenk aus der Vergangenheit bezeichnet er einen von seinem Grossvater verfassten Bericht, der in einer Zeitung in Baltimore erschienen ist.

Nach seiner Lehre als Damenschneider war John J. Thalmann hinausgezogen in die Welt. In Paris traf er die Liebe seines Lebens: Mathilde Bos.

Die beiden verschlug es nach Baltimore. Doch sie wurden von harten Schicksalsschlägen heimgesucht: Sechs ihrer Kinder starben.

«Diese Stadt war damals ein Höllenloch», sagt Thalmann. Aus Angst, alle ihre Kinder zu verlieren, zogen seine Grosseltern für einige Zeit zurück nach St. Gallen; sein Vater war damals zwei Jahre alt.

Thalmann hätte gern herausgefunden, wo sein Vater später die Schule besuchte. «Aber da kam ich nicht weiter.» Er interessiert sich umso mehr für den Charakter seiner Vorfahren.

«Mein Grossvater und mein Vater hatten sanfte Seelen. Und doch scheuten sie sich nicht, Risiken einzugehen», sagt er. «Ich bin so, wie sie waren.»

Er habe ein eigenes Geschäft aufgebaut und sei ein Draufgänger gewesen. «Und wie sie musste auch ich harte Verluste hinnehmen.» Eine seiner Töchter habe er verloren – und seine Frau.

Ein Mann mit Hut und Schreibblock, der an einem Baum angelehnt sitzt
Pete Thalmann beim Gedichteschreiben im Yellowstone-Nationalpark: Er plant eine Reise nach Eggetsbühl bei Wängi, dem Wohnort seiner Urgrosseltern. zVg

Fehler passieren rasch

Heute ist es einfacher als früher, Ahnenforschung zu betreiben. Selbst alte Kirchenbücher sind digitalisiert worden und lassen sich bequem am Computer durchforsten.

Zudem gibt es Firmen, die einem diese Arbeit für gutes Geld noch so gerne abnehmen. Bei solchen Angeboten sei jedoch Vorsicht geboten, sagt Kurt Münger. Werde auf die Schnelle recherchiert, passierten rasch Fehler.

Was ist zum Beispiel, fragt er, wenn zwei Männer, die den gleichen Namen tragen, als Vorfahren in Frage kommen? Entscheide man sich für den falschen, stimmten ganze Zweige des Stammbaums nicht mehr.

Eine Frau mit Brille
Ahnenforscherin Therese Metzger stellt fest: Wer in einem von Einwanderung geprägten Land mit junger Geschichte lebt, interessiert sich oft besonders stark für die eigene Familiengeschichte. zVg

In Zweifelsfällen müsse man Belege suchen, sagt er. Dafür benötige man viel Geduld. Oder die Hilfe von Profis – wie Therese Metzger.

Die 79-Jährige lebt in Münsingen bei Bern. Sie ist professionelle Ahnenforscherin. Über 30 Aufträge bearbeitet sie pro Jahr.

Gut zwei Drittel davon stammen aus dem Ausland. Für rund 1000 Franken kann sie Personenlisten erstellen, die über 200 Jahre zurückreichen.

Ein grosser Teil der Kundschaft stamme aus den USA, erzählt sie. «Es gibt Leute, die wollen bloss wissen, wo ihre Vorfahren lebten – das genügt ihnen und sie sind happy.»

Manche unternehmen daraufhin eine Reise, um den betreffenden Ort aufzusuchen. «Wenn sie in der Kirche stehen und ihnen bewusst wird, dass hier ein Urahne getauft wurde, ist das für sie sehr berührend.»

Andere seien an Details interessiert, sagt Therese Metzger. Ein Kunde habe sich nach einem möglichen Vorfahren aus dem 13. Jahrhundert erkundigt.

«Da musste ich kapitulieren.» Ein derart tiefer Blick in die Vergangenheit sei nur in absoluten Ausnahmefällen möglich.

Wenn lediglich ein Name bekannt sei, der früher sehr häufig war, werde es ebenfalls schwierig. «Wo soll ich bei einem Jakob Meier anfangen zu suchen», fragt sie.

Ein anderes Problem seien Pfarrer, die schludrig geschrieben haben. Deren Einträge in den Kirchenbüchern seien kaum zu entziffern. «Diesen Pfarrern hätte ich das Fegefeuer mit Nachhilfestunden gegönnt», sagt sie und lacht.

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Einwanderung treibt Ahnenforschung an

Therese Metzger hat sich gelegentlich schon gefragt, woher das Interesse der Menschen in Ländern wie den USA an der Ahnenforschung kommt.

Eine Antwort fand sie in der vergleichsweise kurzen Geschichte und der grossen Bedeutung der Einwanderung.

Ich stelle mir das vor wie bei adoptierten Kindern», sinniert sie. «Die wollen auch wissen, woher sie kommen.»

Kurt Münger sieht es ähnlich. Der Besuch des Herkunftslandes der Vorfahren sei viel mehr als ein touristischer Ausflug, sagt er.

«Für die Nachfahren ist es eine emotionale Reise zu den eigenen Wurzeln.» Diese Reise werde oft als Lebensziel oder einmaliges Erlebnis empfunden.

Tracey Jones und Pete Thalmann bestätigen es. Für sie sei es sehr wichtig, das Wissen um ihre Schweizer Wurzeln festzuhalten und an ihre beiden Töchter weiterzugeben, sagt Jones.

«Ich weiss nun genau, woher ich komme – und bin sehr stolz darauf.» Nach seinem Besuch in der Schweiz werde er die von ihm geschriebene Familiengeschichte ergänzen, sagt Pete Thalmann.

Die Chronik, die bereits einen ansehnlichen Umfang aufweise, richte sich an die nächsten Generationen. «Ich habe sechs Kinder und elf Grosskinder.»

Als er erstmals den von seinem Grossvater verfassten Zeitungsbericht gelesen habe, sei ihm eines klar geworden: «Eine Stimme aus der Vergangenheit ist unbezahlbar.»

Bei den Lebenden anfangen, die Toten rennen einem nicht davon: Das ist eine Grundregel, wenn die Suche nach Vorfahren beginnt. Zunächst Verwandte befragen, die mündlich Auskunft geben können – und sich danach auf die Suche nach anderen Quellen machen.

Das Rad nicht neu erfinden: Oft haben andere Leute zur gleichen Familie bereits Recherchen betrieben und Stammbäume gezeichnet. Nach solchen Vorarbeiten gilt es zu suchen.

Ahnenforschende in der Schweiz kontaktieren: Die Schweizerische Gesellschaft für Familienforschung (SGFF)Externer Link kann direkt Hinweise geben oder Anfragen an lokale Genealogievereine weiterreichen.

Der Originalartikel in der Schweizer RevueExterner Link

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Debatte
Gastgeber/Gastgeberin Céline Stegmüller

Haben Sie Schweizer Vorfahren? Planen Sie, die Orte zu besuchen, an denen sie in der Schweiz lebten?

Wir würden uns freuen, mehr über Ihre Ahnenforschung zu erfahren.

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