Die Energiestrategie 2050, die das Ende der nuklearen Ära in der Schweiz einläuten soll, wurde in diesen Tagen im Ständerat angenommen. Allerdings lehnten die Kantonsvertreter es ab, eine Frist für die Abschaltung der Kernkraftwerke zu setzen. Viele Punkte bleiben noch offen, das Paket wird in der nächsten Legislaturperiode weiter beraten.
Es ist ein erster Schritt, den das Parlament langsam und vorsichtig machte, um die neue Energiepolitik zu konkretisieren, die der Bundesrat (Landesregierung) 2011 nach dem Atomunfall von Fukushima angestossen hatte.
Die Energiestrategie 2050Externer Link, gemäss der etwa ein Dutzend Gesetze angepasst werden sollen, ist vermutlich die grösste Baustelle der auslaufenden Legislaturperiode: Das Projekt sieht nicht nur die schrittweise Abschaltung der Atomkraftwerke vor, sondern auch die Förderung erneuerbarer Energien, die Verstärkung des Stromsparens und die Modernisierung veralteter Infrastrukturen.
Energiekonsum
Die Schweiz gehört mit einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Verbrauch von bis zu 6400 Watt weltweit zu den grössten Energieverbrauchern. Mit 6 Tonnen CO2 pro Person und Jahr ist sie zudem einer der grössten Verursacher von Treibhausgasen.
Diese Werte liegen deutlich über den Zielen für das Jahr 2050, die 2000 Watt und 1 bis 1,5 Tonnen CO2 pro Kopf betragen.
Am meisten Energie verbraucht der Verkehr (38%), gefolgt von Haushalten (26,5%), Dienstleistungen (16%) und der Industrie (14%).
Um ihren Energiebedarf zu decken, importiert die Schweiz jährlich Energie im Wert von 30 Milliarden Franken. Trotz dem gestiegenen Verbrauch hat sich der reale Wert der Energiekosten seit mehreren Jahrzehnten rückläufig entwickelt: 1980 betrugen die Gesamtkosten 7,4% des Bruttoinland-Produkts, 2014 waren es 4,7%.
Während sich in der Debatte im Nationalrat (Volkskammer) im Dezember 2014 rund 80 Abgeordnete von rechts und Mitte-rechts gegen die Energiewende ausgesprochen hatten, stiess das Massnahmenpaket der Regierung diese Woche im Ständerat (Kantonskammer) nur auf geringen Widerstand.
Für einen der Gegner, Werner Hösli von der Schweizerischen Volkspartei (SVP), ist die Energiestrategie «eine Überreaktion auf den AKW-Störfall in Japan» und bringt «eine Fülle von neuen Regulierungen mit sehr vielen Verwaltungsmassnahmen, verbunden mit zusätzlichen Kosten».
Sein Parteikollege Peter Föhn bezeichnet das Projekt als «wirtschaftsschädigend», besonders in einer Zeit, in der jede Woche wegen des starken Frankens viele Arbeitsplätze verloren gehen würden. «Wir dürfen weder die Gesellschaft noch die Wirtschaft mit steigenden Stromkosten belasten. Und was noch viel wichtiger ist: Die Versorgungssicherheit darf nie infrage gestellt oder gefährdet werden», sagte Föhn, der – wie viele Vertreter der Rechten – die Entwicklungsmöglichkeiten für erneuerbare Energien in der Schweiz mit Skepsis betrachtet.
Änderungen unerlässlich
Solche Kritik weist Energieministerin Doris Leuthard zurück: «Man kann die Frankenstärke nicht ein Jahrzehnt lang benutzen, um zu argumentieren, wir dürften dieses und jenes nicht tun.» Dieses Argument ziehe nicht, weil besonders in den letzten zwei Jahren der Rückgang der Preise für Erdöl und andere Energien den Unternehmen ermöglicht hätten, mehrere Milliarden Franken einzusparen.
Die Schweiz müsse heute 76,6% ihres Energiebedarfs aus dem Ausland beziehen, gab die Bundesrätin zu bedenken. Die neue Energiestrategie, welche die nationale Energieproduktion erhöhen will, erlaube es, diese Abhängigkeit vom Ausland zu verringern, die Versorgungssicherheit zu verbessern und neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Eine Position, die auch von Vertretern der Mitte und der Linken verteidigt wird. Die Gegner hätten keine Strategie, sagt Ständerat Didier Berberat von der Sozialdemokratischen Partei (SP). Sie könnten sich nur vorstellen, weiterzufahren, wie bisher. «Doch der Status quo ist nicht mehr lange aufrechtzuerhalten. Tatsächlich ist der Status quo in der Stromversorgung nicht mehr möglich, weil unser Atomkraftpark, der älteste der Welt, an sein Laufzeitende kommt», so Berberat.
«Auch was Mobilität und Gebäudeheizung betrifft, ist der Status quo keine Option. Unser Land hängt stark von fossilen Energien ab. 70% der in der Schweiz konsumierten Energie stammen aus fossilen Quellen und stösst CO2 aus. Auch hier ist der Status quo nicht wirklich eine Option, angesichts der Geschwindigkeit, mit der die Erwärmung unseres Planeten zunimmt», führt er aus.
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Keine Laufzeit-Beschränkung
Während nun ein erster Schritt in Richtung Energiewende genommen wurde, will das Parlament die Veränderungen nicht allzu rasch über die Bühne bringen. Das ist besonders beim Atomausstieg der Fall: Der Ständerat lehnte nun sogar die vom Nationalrat im letzten Dezember festgelegten Laufzeit-Beschränkungen für AKW ab. Vorgesehen war eine maximale Laufzeit von 60 Jahren für die ältesten Meiler Beznau I (In Betrieb seit 1969) und Beznau II (1971), sowie ein Betriebskonzept nach 40 Jahren Einsatz für die jüngeren Kraftwerke Gösgen (1979) und Leibstadt (1984).
Ein Entscheid, der von der Linken kritisiert wird. Auf der einen Seite anerkenne man die Risiken der Kernenergie, indem man ein Gesetz annehme, das den Bau neuer Reaktoren verbiete, andererseits wolle man die Laufzeit der bestehenden Zentralen ohne Beschränkung verlängern, sagt der Grüne Ständerat Robert Cramer. «Das ist umso weniger verständlich, als dass wir in der Schweiz Atomkraftwerke haben, die zu den ältesten der Welt gehören. Beznau I ist sogar Rekordhalter.»
Weitere Massnahmen
Im Rahmen des ersten Massnahmenpakets der Energiestrategie 2050 haben die beiden Parlamentskammern darauf verzichtet, die CO2-Abgabe zu erhöhen, die vor allem auf fossilen Brennstoffen erhoben wird.
Mit einem Teil der Mittel aus der CO2-Abgabe werden Gebäudesanierungen finanziert. Heute dürfen höchstens 300 Millionen Franken dafür eingesetzt werden, künftig sollen es 450 Millionen Franken sein.
Beide Kammern haben weiter beschlossen, dass die Treibhausgas-Emissionen neuer Personenkraftwagen ab 2020 weniger als 95 Gramm CO2/km betragen sollten (Ende 2015: 130 g CO2/km).
Hingegen hat der Ständerat abgelehnt, Vorschläge des Nationalrats anzunehmen, der verbindliche Anforderungen für CO2-Emissionen aus Heizungsanlagen forderte, um Energieunternehmen zu zwingen, das Stromsparen zu fördern.
Die Schweizer Atomkraftwerke gehörten zu den sichersten in Europa, wie ein «Stresstest» der Europäischen Union (EU) 2012 gezeigt habe, antwortet Georges Theiler, Ständerat der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP.Die Liberalen). Heute würden die Kernkraftwerk-Betreiber kontinuierlich investieren, um Sicherheit und Effizienz zu verbessern. «Mit Fristen riskieren wir, dass die Kernkraftwerke auf den Termin hin die Sicherheit nicht mehr als obersten Gradmesser nehmen.»
Ziele verkleinert
Auch der Förderung von erneuerbaren Energien wollten die Ständeräte keinen Schub geben. Die Kantonskammer hat sogar die Produktionsziele für 2035 reduziert: Statt wie vom Bundesrat vorgesehen 14,5 Terawattstunden, sollen neue Energiequellen bis dann mindestens 11,4 Terawattstunden Strom liefern. Ein ziemlich moderater Beitrag, verglichen etwa mit den Zielen der EU, wenn man bedenkt, dass der heutige Energieverbrauch 245 Terawattstunden beträgt.
Die Förderung von neuen erneuerbaren Energien soll hauptsächlich durch die kostendeckende Einspeisevergütung (KEV)Externer Link geschehen. Dies ist eine Steuer, die auf jede verbrauchte Kilowattstunde erhoben wird und deren Erlös den Erzeugern erneuerbarer Energien zurückgegeben wird, Privaten wie Unternehmen.
Die Obergrenze für diesen so genannten Netzzuschlag soll von derzeit 1,5 auf 2,3 Rappen pro Kilowattstunde angehoben werden. Zu viel für einige Vertreter der Rechten, gemäss denen die Schweiz nicht die Fehler der anderen europäischen Länder wiederholen sollte, die angefangen mit Deutschland ihre erneuerbaren Energien mit beträchtlichen Subventionen fördern.
Dieser neue Wettbewerb, der die Strompreise auf dem europäischen Markt purzeln liess, setzt auch die Schweizer Wasserkraft-Industrie unter Druck: Viele Schweizer Unternehmen ziehen es vor, Energie zu tiefen Preisen in Deutschland zu kaufen. Gemäss dem Ständerat sollen kleine wie grosse Schweizer Wasserkraftwerke mit 0,2 Rappen aus dem Netzzuschlag unterstützt werden.
Nach der Debatte im Ständerat, der in diesen Tagen verschiedene Vorschläge von Regierung und Nationalrat verwässert hat, geht die neue Energiestrategie 2050 in die Hände des neuen Parlaments, das bei den Eidgenössischen Wahlen am 18. Oktober bestimmt wird.
Sollte der Nationalrat ebenfalls auf eine Laufzeit-Beschränkung für AKW verzichten, haben die Grünen bereits angekündigt, dass sie ihre Volksinitiative «Für den geordneten Ausstieg aus der Atomenergie (Atomausstiegs-Initiative)»Externer Link nicht zurückziehen werden. Diese fordert eine Abschaltung der fünf Schweizer Kernreaktoren innerhalb von 45 Jahren nach ihrer Inbetriebnahme. In einem solchen Fall wäre das Stimmvolk voraussichtlich dazu aufgerufen, Ende 2016, Anfang 2017 über diese Initiative abzustimmen.
(Übertragen aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)
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Am internationalen Automobil-Salon in Genf stehen Elektroautos zusehends im Rampenlicht: Fast alle Hersteller präsentieren dieses Jahr eigene Modelle. Marco Piffaretti, einer der Pioniere für Elektroautos in der Schweiz, ist überzeugt, dass innerhalb der nächsten 20 Jahre die Hälfte aller Fahrzeuge elektrisch betrieben sein werden.
Bereits seit 30 Jahren arbeitet Marco Piffaretti daran, Autos ökologischer zu machen. Im Alter von 22 Jahren gründete er "Protoscar", ein Ingenieur-Unternehmen, das nach technischen Lösungen und neuen Design-Formen im Rahmen einer ökologischen Mobilität sucht.
Zwischen 2009 und 2011 gelang es der im Tessiner Dorf Riva San Vitale angesiedelten Firma, drei elektrische Sportwagen-Modelle namens Lampo zu entwickeln, die in 4,5 Sekunden von 0 auf 100 km/h beschleunigen können.
Auto-Salon Genf
Der Auto-Salon Genf war die erste grosse internationale Automobil-Messe, in der bewusst eine Promotion von alternativen Antriebsarten für Fahrzeuge betrieben wurde.
Beim 85.Auto-Salon, der vom 5. bis 15. März 2015 stattfindet, werden rund hundert Autos mit einer hohen Energieeffizienz gemäss den neuen EU-Normen präsentiert (0 bis 95 Gramm CO2-Emissionen pro 100 Kilometer). Mehr als die Hälfte dieser Fahrzeuge sind Elektro- oder Hybridautos.
Nach dem Erfolg des neuen Herstellers Tesla, der 2008 seine Produktion aufnahm, haben in den letzten Jahren alle grossen Automobilhersteller Elektrofahrzeuge unterschiedlichster Kategorien entwickelt.
Mitte Februar kündigte Apple an, ab 2020 ein Elektroauto produzieren zu wollen. Dabei soll die Apple-Informatik integriert werden. Ein weiterer US-Gigant, der Internetkonzern Google, möchte ein ökologisches und selbstfahrendes Fahrzeug auf den Markt bringen.
swissinfo.ch: Schon lange spricht man von Elektroautos. Doch erst in den letzten Jahren haben die grossen Automobilhersteller damit begonnen, solche Fahrzeuge auch wirklich zu produzieren. Wie erklärt sich das?
Marco Piffarretti: Der grosse Quantensprung erfolgte 2009, als man begann, für die Autos Lithium-Batterien zu verwenden, also Batterien, die man von Computern und Mobiltelefonen kennt. Diese technologische Innovation erlaubte es, die bisherige Leistung zu verdoppeln oder zu verdreifachen.
Auch die Elektromotoren wurden verbessert. Sie wurden leichter und effizienter. Doch der entscheidende Schritt bestand – wie gesagt – im Einsatz der Lithium-Batterien, welche eine Reichweite von 100 bis 140 Kilometer ermöglichen, je nach Modell.
Dank der jüngsten Fortschritte ist ein Elektroauto heute wesentlich energieeffizienter als ein Auto mit Verbrennungsmotor: Die Elektroautos verbrauchen im Schnitt nur einen Viertel der Energie im Vergleich zu herkömmlichen Autos, die Benzin oder Gas als Treibstoff verwenden.
swissinfo.ch: Wie erklärt sich diese wesentlich höhere Effizienzrate?
M.P.: Der Verbrennungsmotor, den wir seit 100 Jahren verwenden, stellt an sich kein effizientes System dar, weil sehr viel Abwärme produziert wird. Die Abgase können auch eine Temperatur von 900 Grad erreichen. Ein Auto mit Verbrennungsmotor ist eigentlich ein Ofen auf vier Rädern!
Um zu vermeiden, dass der Motor schmilzt, wird die Wärme durch ein Kühlsystem abgeleitet. Tatsache ist, dass nur ein Viertel der Treibstoffenergie in die Fortbewegung des Automobils fliesst; der ganze Rest verpufft in Form von Wärme.
Der Elektromotor erreicht hingegen maximal 100 Grad. Fast die ganze Energie wird in Bewegung umgesetzt. Dazu kommt, dass die frei werdende Energie beim Abwärtsfahren oder Bremsen zurückgewonnen wird. Der Motor funktioniert dann wie in Dynamo und hilft, die Batterien zu laden.
swissinfo.ch: Welche Nachteile weisen Elektroautos auf?
M.P.: Der einzige grosse Nachteil ist der Anschaffungspreis, der 30 bis 40 Prozent über einem Auto mit Verbrennungsmotor liegt. Grund ist der Preis der Batterie, die einen Drittel der Gesamtkosten eines E-Autos ausmacht.
Der Preis hängt nicht nur mit den Materialien zusammen, sondern auch mit der Qualität dieses Energiespeichers. Dieser muss über Jahre starke Vibrationen und grosse Temperaturunterschiede verkraften. Dank des Elektroantriebs fallen viel weniger laufende Kosten an, doch am Anfang ist es so, als würde man ein Auto mit Verbrennungsmotor und zugleich 20'000 Liter Treibstoff kaufen…
swissinfo.ch: Sie haben den Wagen Lampo (Italienisch für Blitz) entwickelt, der in Bezug auf seine Fahrleistung mit einem Ferrari oder Lamborghini vergleichbar ist. Welche Gründe sprachen für die Entwicklung dieses Prototyps?
M.P.: Als wir den Lampo 2009 am Auto-Salon in Genf vorstellten, galt ein Elektroauto einzig als alternatives Fahrzeug für eine urbane Mobilität – als Mittel gegen Umweltverschmutzung und nächtliche Lärmemissionen. Mit dem Lampo wollten wir zeigen, dass ein Elektroantrieb eine Lösung für alle Fahrzeugtypen darstellen kann, vom Lastwagen bis zum Sportwagen.
Angesichts des Preises für die Batterien amortisieren sich die Kosten eher, wenn viele Kilometer zurückgelegt werden. Aus finanziellen Erwägungen eignet sich ein Elektroauto folglich vor allem für Pendler oder als Fahrzeug der Topklasse. Dies erklärt teilweise auch den Erfolg des neuen Herstellers Tesla.
Der Lampo ist für uns zudem wie ein Experimentierfeld, um Technologien auszuprobieren, die wir unseren Kunden anbieten. Beispielsweise geht es um schnelle Ladegeräte, die es erlauben, in sieben Minuten Strom für 100 Kilometer zu "tanken", oder um intelligente Ladegeräte, die etwa auch die Verfügbarkeit von photovoltaischer Energie einkalkulieren.
swissinfo.ch: Laut diversen Studien könnte 2035 die Hälfte aller Automobile elektrisch betrieben sein. Halten Sie diese Prognose angesichts der hohen Anschaffungskosten für realistisch?
M.P.: Ja. Es gibt einen wachsenden Willen, auch von Seiten der Politiker, eine nachhaltige Mobilität zu fördern. Die EU hat beispielsweise Vorschriften erlassen, welche die Fahrzeughersteller zu einer substanziellen Senkung der CO2-Emissionen zwingen (weniger als 95g/km bis 2021).
Viele Länder haben Anreizprogramme geschaffen. In Frankreich hat die Regierung eine Abgabe auf Benzin beschlossen, die in Form von Gewinngutscheinen in Höhe von 10'000 Euro an Personen rückvergütet wird, die Elektroautos kaufen. In Norwegen sind die Mehrheit der verkauften Fahrzeuge bereits Elektroautos. Es ist eine grosse Wende in Gang. Und das genannte Ziel wird in manchen Ländern vielleicht schon vor dem Jahr 2035 erreicht.
swissinfo.ch: Und wie ist die Situation in der Schweiz?
M.P.: Bis anhin gibt es leider auf Bundesebene keine wirkliche Politik zu Gunsten der Elektrofahrzeuge. Der Bund hat das Programm "Minergie" lanciert, um Niedrigenergiehäuser zu fördern, doch es gibt nichts Vergleichbares für den Automarkt. Dabei ist der Anteil der CO2-Emissionen von Autos vergleichbar mit demjenigen von Heizungen.
swissinfo.ch: Stellt der gegenwärtig starke Preisverfall bei Diesel und Benzin ein Risiko für die Elektro-Mobilität dar?
M.P.: Es kann sich um einen vorübergehenden Bremsfaktor handeln. Aber die generelle Entwicklung wird dadurch nicht aufgehalten. Für die Zulassung und Entwicklung von Automobilen rechnet man in Zeitspannen von fünf bis zehn Jahren. Und in dieser Zeit wird der Benzinpreis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit selbst die letzte Hochpreisperiode noch übertreffen.
swissinfo.ch: Damit eine Mobilität mit Elektrofahrzeugen gelingen kann, braucht es ein neues Infrastrukturnetz mit vielen Ladestationen. Wie präsentiert sich die aktuelle Situation?
M.P.: Bisher gab es in diversen Ländern vor allem Initiativen, um die Entwicklung von Elektroautos zu fördern. Tatsächlich fehlt es an einer ähnlichen Initiative für das Infrastrukturnetz. Es gibt jedoch immer mehr Städte und Regionen, die sich dieser Herausforderung stellen. Sie fragen sich, wie viele Ladestationen es braucht und wo diese aufgestellt werden können.
In unserer Firma beschäftigen wir uns unter anderem damit, Studien zu erarbeiten, welche den künftigen Bedarf an Ladestationen für Elektromobile oder Hybrid-Fahrzeuge in bestimmten Regionen oder Städten eruieren. Für Städte wie Stuttgart oder Zürich haben wir "Masterpläne" erstellt, aber auch für Kantone wie Genf oder das Tessin. Und wir zählen darauf, bald weitere Masterpläne auszuarbeiten, auch für Regionen ausserhalb der Schweiz.
Marco Piffaretti
Marco Piffaretti wurde 1965 in Bellinzona (Kanton Tessin) geboren. Er studierte Automobildesign an der Schule für angewandte Künste in Turin und im Art Center College of Design im Kanton Waadt.
Bereits 1986 flammte seine Leidenschaft für nachhaltige Mobilität auf. Damals nahm er als junger Student an der "Tour de Sol" teil, einem Rennen für Fahrzeuge mit Solarantrieb in der Schweiz.
1987 gründete er das Ingenieur- und Design-Unternehmen "Protoscar" mit Sitz im Kanton Tessin, das sich auf die Entwicklung von Ökomobilen und alternativen Antriebsarten spezialisierte.
Von 1994 bis 2001 war Piffaretti Direktor von VEL1 in Mendrisio, einem Pilotprojekt der Eidgenossenschaft, um 400 Elektrofahrzeuge in einer Gemeinde von 10'000 Einwohnern in Betrieb zu nehmen. Seit 2012 ist er Direktor von Infovel, einem Kompetenzzentrum des Kantons Tessin für nachhaltige Mobilität.
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