EU zufrieden, doch Schicksal von Max Göldi ungewiss

Die EU und Libyen haben ihren Streit um die Vergabe von Visa beigelegt. Libyen teilte am Samstagabend mit, Tripolis habe die Einreisesperre für europäische Bürger aus dem Schengenraum aufgehoben. Die Schweiz hat damit kein Druckmittel mehr, um Max Göldi zu befreien.
Zeitgleich zum Gipfeltreffen der Arabischen Liga in der libyschen Stadt Sirte einigte sich Libyen mit der EU auf ein Ende des Visa-Streits.
Der libysche Diktator Muammar al-Gaddafi kann damit einen weiteren Erfolg im diplomatischen Poker mit der Schweiz verbuchen.
So wertet die libysche Regierung die Einigung mit der EU denn auch als Sieg über die Schweiz.
«Die Schweiz ist durch diese einheitliche europäische Massnahme geschlagen worden», teilte das Aussenministerium in Tripolis am Samstagabend auf seiner Internetseite mit.
Hasni Abidi, Leiter des Genfer Forschungszentrums für arabische Länder, sagt dazu: «Das ist ein hartes Erwachen für die Schweiz.»
Sollte die EU bei den Verhandlungen keine Garantie für die Freilassung von Max Göldi erhalten haben, habe sie die Schweiz im Stich gelassen.
In einer Stellungnahme hatte das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) am Samstag bekräftigt, die Schweiz habe bei den Visarestriktionen die Schengenregeln rechtskonform angewandt. Das habe auch die EU-Kommission klar bestätigt.
Völkerrechtswidrige Entführung
Grund für die Visarestriktionen, so das EDA, sei die völkerrechtswidrige Entführung von zwei Schweizer Bürgern im Herbst 2009 gewesen.
Rachid Hamdani ist im Februar 2010 zurück gekehrt. Der Geschäftsmann Max Göldi wird weiterhin im Gefängnis festgehalten, wohin er sich ebenfalls im Februar von der Botschaft aus begab, um eine viermonatige Haft abzusitzen, weil er libysche Einreisevorschriften übertreten haben soll.
Ob Göldi nach der Einigung im Visa-Streit freikommt, bleibt unklar. Libyen verneint jeglichen Bezug zwischen der Inhaftierung von Göldi und jener von Gaddafis Sohn Hannibal in Genf im Juli 2008.
Der spanische Aussenminister Miguel Moratinos habe seine Vermittlungsbemühungen am Sonntag in Libyen fortgesetzt, verlautete aus diplomatischen Kreisen. Laut Salah Zahaf, dem libyschen Anwalt von Göldi, gibt es derzeit jedoch keine Anzeichen für eine Freilassung des Schweizers. Es sei auch für kommende Woche «nichts Neues» zu erwarten.
Gleichzeitig sei Göldi aber laut Zahaf in eine Gefängniszelle ohne Fenster und warmes Wasser verlegt worden. Die Gefängnisleitung habe als Grund angegeben, der ehemalige ABB-Länderchef sei zuvor in einem Trakt untergebracht gewesen, in den 90 schwere Straftäter verlegt werden sollten.
Kurz vor der Streitbelegung hatte die spanische EU-Ratspräsidentschaft offiziell bekanntgegeben, dass «alle Namen von Libyern» von der schwarzen Liste des Schengen-Informationssystems gestrichen worden seien.
Moratinos und der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi hatten am Rande des Gipfeltreffens der Arabischen Liga mit dem libyschen Premierminister Baghdadi Ali al Mahmudi die Einigung vorbereitet.
Zufriedene Italiener
Das italienische Aussenministerium in Rom zeigte sich am Samstag sehr zufrieden über die Einigung, welche dank der «wirksamen und geduldigen» Vermittlung der spanischen EU-Ratspräsidentschaft möglich geworden sei – mit der «tatkräftigen Unterstützung» Italiens und des italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi, der sich in der Sache auch persönlich eingesetzt habe.
Italien, das wirtschaftlich sehr stark mit dem gewichtigen Erdöl-Exportland Libyen verflochten ist, hatte die Visarestriktion der Schweiz von Beginn weg stark kritisiert.
Spanien hatte bereits am Freitag die Aufhebung der Einreisesperren für Libyer in den Schengenraum bekannt gemacht. Der Wortlaut war jedoch zurückhaltender. Die Schweiz war nicht erwähnt worden. Laut gut informierten Quellen hatte Bern auf Druck der EU die Visa-Sperre gegen die libysche Elite bereits am Donnerstag aufgehoben.
Tripolis hatte in den vergangenen Wochen keine Visa mehr für EU- Bürger ausgestellt, nachdem die Schweiz über 150 prominente Libyer – darunter Staatschef Gaddafi – auf eine schwarze Liste gesetzt und ihnen so die Einreise in den Schengenraum verwehrt hatte.
Madrid wäscht Hände in Unschuld
Die EU war dadurch in den Streit zwischen Libyen und der Schweiz hineingezogen worden. Das Aussenministerium in Madrid bedauerte im Namen der EU die «Unannehmlichkeiten», die libysche Bürger durch die Visa-Sperren erlitten hätten.
Die Einreisesperre sei von einem Schengenland vorgenommen worden, das nicht Mitglied der EU sei – gemeint damit ist die Schweiz. Die Europäische Union sei daran in keiner Weise beteiligt gewesen, hiess es.
Lieber Tripolis als Bern
Libyen-Kenner Hasni Abidi, Leiter des Genfer Forschungszentrums für arabische Länder, sagte: «Europa hat sich entschieden: Der Entscheid zwischen Tripolis und Bern fiel auf Tripolis.»
Einzig Deutschland sprach sich am Sonntag klar und deutlich für die sofortige Freilassung des Schweizers aus. «Libyen ist am Zug», sagte der deutsche Aussenminister Guido Westerwelle in einem Interview mit der NZZ am Sonntag. Er erwarte, dass nun auch Göldi freigelassen werde.
swissinfo.ch und Agenturen
Die Krise Libyens mit der Schweiz ist noch nicht beendet, auch wenn die Visa-Blockade zwischen dem nordafrikanischen Land und der EU beigelegt ist.
Dies betonte der libysche Aussenminister Moussa Koussa am Rande des Gipfels der Arabischen Liga am Sonntag.
Libyen fordert weiterhin ein internationales Schiedsgericht.
Seit September 2009 sind die Namen der beiden Schiedsrichter, Elizabeth Wilmshurst (UK) und Saad Jabbar (Algerien), bekannt. Jabbar wurde im Oktober von Sreenivasa Pammaraju Rao (Katar) ersetzt.
Ein solches Gericht soll die Umstände der Verhaftung von
Hannibal Gaddafi, des Sohnes von Gaddafi, im Sommer 2008 in Genf untersuchen.
Das Reiseverbot der Europäer für 188 Libyer inklusive Gaddafis Entourage in den Schengen-Raum war
auf Initiative der Schweiz verhängt worden.
Diese liegt seit 2008 im Clinch mit Muammar al-Gaddafi.
Im Sommer 2008 war dessen Sohn Hannibal wegen
der angeblichen Misshandlung von Angestellten in Genf vorübergehend
festgenommen worden.
Kurz darauf setzten die libyschen Behörden zwei
Schweizer Geschäftsleute fest.
Die Schweiz ist Mitglied des Schengen-Raums, aber nicht
Mitglied der EU.
Bislang galt ein von der Schweiz verhängtes
Reiseverbot allerdings automatisch auch für die Einreise in die
Schengen-Staaten.

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