Vom klaren «Nein» zum zaudernden «Ja, aber…»
Das Rahmenabkommen der Schweiz und der EU zwingt die Parteien, sich zu positionieren. Doch wer dies jetzt noch tut, wird Wähler verlieren. Darum lautet die Losung der Stunde: uneindeutig bleiben, Zeit gewinnen, Signale in alle Richtungen senden. Den Lead dabei hat die SP übernommen. Eine Bestandesaufnahme.
«So nicht», lautete die Antwort der grossen politischen Parteien in der Schweiz bis vor wenigen Tagen zur Frage, ob sie den zwischen der Schweiz und der EU ausgehandelten Entwurf des RahmenabkommensExterner Link akzeptierten. Nun tönt es ganz anders. Abgesehen von der rechtskonservativen SVP sagen alle «Ja» oder wenigstens «Ja, aber…»
Es ist fast wie mit dem Schweizer Bankgeheimnis: 2008 sagte der damalige Bundesrat Hans-Rudolf Merz an die Adresse des Auslands: «An diesem Bankgeheimnis werdet ihr euch noch die Zähne ausbeissen.» Wenige Monate später war das Geheimnis weg.
Ganz ähnlich verhält sich der Widerstand der Regierungsparteien gegen das Rahmenabkommen – abgesehen von der Schweizerischen Volkspartei (SVP), die das Abkommen von Anfang an kategorisch ablehnte. Die anderen Regierungsparteien lehnten bis vor kurzem den Entwurf zum Abkommen ab, den die Schweiz während fünf Jahren mit der EU aushandelte und der seit Sommer 2018 vorliegt.
Ursache des Zauderns und der Wankelmütigkeit ist nicht nur die Einsicht, dass die Beziehungen zur EU für die Schweiz essentiell sind, sondern auch die bevorstehenden Wahlen im Herbst. Im Unterschied zur SVP – deren Wählerschaft das dezidierte Nein ihrer Partei unterstützt – müssen die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP), die Freisinnig-demokratische Partei (FDP. Die Liberalen) und die Sozialdemokratische Partei (SP) fürchten, dass ihnen Teile der Wählerschaft davonlaufen, wenn sie eine klare Position einnehmen – wie auch immer diese lautet.
Der Schwenker der SP
Das gilt vor allem für die SP. Noch im Dezember erklärten die Exponenten des Gewerkschaftsflügels kompromisslos, dass sie einem Rahmenabkommen, das den Schweizer Lohnschutz auch nur um ein Mü aufweiche, niemals zustimmen würden. Mit dieser sturen Haltung machte sich die SP – Hand in Hand mit der EU-feindlichen SVP – zur Totengräberin des für die Schweizer Wirtschaft wichtigen Abkommens. Sie vergraulte damit nicht nur den eigenen europafreundlichen Flügel im Parlament – die Winterthurer Nationalrätin Chantal Galladé wechselte deswegen sogar zu einer anderen Partei – sondern auch bedeutende Teile ihrer Wählerschaft. Das Wahlbarometer der Forschungsstelle sotomo im Auftrag der SRG sagt der SP einen Wählerverlust von 1,4 Prozentpunkten voraus. Die ablehnende Haltung gegenüber dem Rahmenabkommen wurden in einigen Analysen als Grund dafür genannt.
Seit ihrer Delegiertenversammlung vom Sonntag sagt die SP nun «Ja zum Rahmenabkommen, Ja zum Lohnschutz». Aber was heisst das konkret? Hat sich die SP bewegt oder bleiben insbesondere die bestehenden Schweizer Lohnschutzmassnahmen für sie weiterhin unantastbar?
Die Antwort des SP-Fraktionschefs Roger Nordmann auf eine entsprechende Frage des Schweizer Fernsehens SRF ist nichtssagend: «Wir wollen ein Rahmenabkommen mit der EU mit einem intakten Lohnschutz.» Etwas aussagekräftiger ist hingegen die Frage, welche die SP ihrerseits an die Adresse der Regierung richtet: «Wie kann das heutige Lohnschutz-Niveau erhalten bleiben?», fragt sie und signalisiert damit – ob bewusst oder unbewusst – , dass sie das Schweizer Lohnniveau sichern will, aber über die Massnahmen zur Sicherung dieses für sie wichtigsten Ziels mit sich reden lässt.
CVP: nicht zu jedem Preis
Weit weniger zu reden gab die Haltung der CVP, obwohl sich die Partei auch erst in dieser Woche von einem «Nein» zu einem «Ja, aber nicht zu jedem Preis» windete. Wie die SP spielt auch die CVP den Ball der Regierung zu. Sie verlangt ein Umsetzungsgesetz mit der Begründung, dass Parlament und Volk bei der dynamischen Rechtsentwicklung mit der EU frühzeitig mitbestimmen können.
Das klare Ja der FDP
Die FDP sagte Ende Februar «Ja – aus Vernunft». Stabile wirtschaftliche Verhältnisse sind ihr nun doch wichtiger als Souveränität. Kommt hinzu, dass eine Aufweichung des Lohnschutzes für sie kein Gesichtsverlust bedeuten würde.
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Aber ist es überhaupt das Ziel der EU, den Lohnschutz in der Schweiz abzubauen?
Die EU anerkennt selbst Lohnschutzmassnahmen nach dem Prinzip ‹gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort›. «Aber einzelne von der Schweiz getroffene Massnahmen verletzen laut EU das Personenfreizügigkeits-Abkommen [FZA]», sagt Christa ToblerExterner Link, Professorin für Europarecht am Europainstitut der Universität Basel,
Trotzdem ist die EU im Entwurf zum Rahmenabkommen der Schweiz entgegengekommen, indem sie gewisse Schweizer Massnahmen toleriert. «Es wäre eine Regelung, die man für die Schweiz erlauben würde, die für die EU-Staaten so nicht gilt. Das zeigt, dass die EU die besondere Situation der Schweiz anerkennt. Das ist bereits ein Entgegenkommen», sagt die EU-Rechtsexpertin. Sie zweifelt, ob die EU jetzt nochmals bereit wäre, der Schweiz Sonderregelungen zuzugestehen.
Eine entscheidende Rolle wird der SP zukommen. «Sagt die SP weiterhin nur Ja zum Rahmenabkommen unter Einhaltung aller sogenannten roten Linien beim Lohnschutz? In diesem Fall dürfte die Chance für ein weiteres Entgegenkommen der EU nicht sehr gross sein», schätzt Tobler. «Wenn ihre Position aber flexibler wird und sie über die Art der Massnahmen diskutieren lässt, solange das Niveau der Lohnschutzmassnahmen gewährleistet ist, dann sind die Chancen besser.» Die jüngsten Signale der SP machen diesen Anschein.
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Pfand oder Bumerang?
Die grosse Kammer des Parlaments wird am 18. März zur sogenannten Kohäsionsmilliarde, zum zweiten Schweizer Beitrag an wirtschaftlich schwächere EU-Staaten, Stellung nehmen. Spätestens dann sollten die Positionen bezogen sein. Abgesehen von der SVP, die den Beitrag geschlossen ablehnt, haben auch Exponenten der FDP und CVP angedeutet, dass sie das Geld nicht bedingungslos sprechen wollen. 2018 beschloss bereits die kleine Parlamentskammer, die Milliarde als Pfand für die Verhandlungen ums Rahmenabkommen in der Hand zu behalten.
Aus dem Nationalratssaal zu Bern sind also Rauchzeichen nach Brüssel zu erwarten: Es wird klarer werden, wie es um die Schweizer Beziehung zur EU steht. Zu erwarten sind aber auch Signale ins Land: Man wird erfahren, wer Ja sagt, wer Nein – und wer beim «Aber», «Falls» oder «Lieber noch nicht» bleibt.
Lohnschutz-Massnahmen
Über einige Bestimmungen im sogenannten Entsendegesetz sind sich die EU und die Schweiz uneinig. Das Gesetz ist Teil der flankierenden Massnahmen zum Personenfreizügigkeitsabkommen (FZA), um insbesondere das hohe Lohnniveau und andere Arbeitsbedingungen in der Schweiz zu sichern. Zu diesen Bestimmungen gehört die sogenannten Acht-Tage-Regel, wonach sich ausländische Firmen, die in der Schweiz tätig sein wollen, mindestens acht Tage im Voraus in der Schweiz anmelden müssen. So sollen die Schweizer Behörden genügend Zeit haben zu kontrollieren, ob die hiesigen Lohnschutzmassnahmen eingehalten werden. Die EU möchte diese Frist auf 4 Tage verkürzen. Ausserdem stört sie sich an der Kaution, welche ausländische Firmen hinterlegen müssen, sowie an der Kontrolldichte und den Sanktionen bei Missbrauch oder Umgehung.
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