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«Bei der E-ID entschieden viele kurzfristig aus dem Bauch»

Die Gegnerschaft der elektronischen Identität E-ID hatte einen Überraschungssieg in Reichweite.
Die Gegnerschaft der elektronischen Identität E-ID hatte einen Überraschungssieg in Reichweite. Keystone / Peter Schneider

Die Schweiz stimmt der E-ID zu – doch es zeigt sich ein Misstrauen gegenüber dem Staat. Lukas Golder von GFS Bern analysiert die Gründe.

Grosse Überraschung bei der E-ID. Das Ja schien erst ein klarer Fall, dann wurde es zur Zitterpartie. Was ist passiert?

Wir sehen einen Mobilisierungseffekt auf dem Land, den wir von der Pestizid- und Trinkwasserinitiative her kennen: Das bäuerliche Milieu wurde sehr stark aktiviert und damit auch die Behördenkritik. Aus diesem Milieu kam der Nein-Anteil.

Lukas Golder
Meinungsforscher Lukas Golder. zvg

Prognosen haben das nicht kommen sehen. Gab es einen blinden Fleck?

Die Mobilisierung in diesem Milieu erfolgte innert kürzester Frist. Dass sich dieses Wählersegment so kurzfristig und in diesem Ausmass aktivieren liess, ist erstaunlich. Treiber dafür war eine finanziell stark unterlegte Kampagne des Hauseigentümer-Verbands mit Unterstützung des Bauernverbands. Diese Mobilisierung riss die E-ID mit und brachte dort das Resultat unter Druck.

Was lernen wir an diesem Sonntag über das Vertrauen der Schweiz in ihre Behörden?

Wenn ein grundsätzliches Misstrauen herrscht, wirkt sich das auf solche Kompromissvorlagen aus und ganz besonders auf staatliche Lösungen. Diesbezüglich hat sich eine Bruchlinie gezeigt, die seit Covid herrscht.

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Resultate der Abstimmungen vom 28. September in der Schweiz

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Hier finden Sie die Resultate der Abstimmung vom 28. September 2025 in der Schweiz über E-ID und Abschaffung des Eigenmietwerts.

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Wir sehen also, dass sich der Staat schwer tut mit seinen Lösungen, und dass die Bruchlinien aus der Covid-Zeit noch immer existieren. Wer in diesem Kontext die Menschen richtig aktiviert, bringt sie an die Urne, auch wenn die Beteiligungsrate in diesem Milieu eigentlich sinkt.

Eine Diskrepanz besteht auch zwischen Parlament und Volk. Hat sie dieses Ausmass überrascht?

Durchaus. Im Parlament haben die einstigen E-ID-Gegner ins Ja-Lager gewechselt, speziell die Grünen und sogar die SVP, die später wieder austrat. Aber bis zuletzt blieb auch eine Skepsis bei technologiekritischen Kreisen, etwas bei den Frauen, die den Risiken von Technologien mehr Gewicht beimessen als Männer. Das gilt auch für die weniger gebildeteten Schichten, die gemäss unseren Umfragen in der E-ID mehr Risiken als Chancen sahen.

Der Nutzen der E-ID stand in der Kampagne nicht im Vordergrund. Ein Fehler?

Das ist nicht eindeutig. Grundsätzlich begrüssen die Leute Modernisierungsschritte in diesem Bereich. Aber diese Sicht auf den Nutzen wurde auch stets begleitet von den Hinweisen aufs Risiko: Das private Konzerne dann doch auf diese Daten zugreifen könnten. Oder dass der Staat in anderen Digitalisierungsprojekten Fehler machte und zeigte, dass er für die steigende kriminelle Energie im digitalen Raum anfällig wie allen andern ist.

Den Anschluss an die digitale Zukunft nicht zu verlieren, war ein Kernagument der Befürworter. War das allenfalls zu abstrakt?

Grundsätzlich ist dieses Argument belastbar. Doch wer aus einer von Skepsis geprägten Grundemotion hinaus an die Urne geht, kann ihr natürlich wenig abgewinnen. Da entscheidet dann der Bauch. Vielleicht fühlte sich die Ja-Seite etwas zu siegessicher und hat auf der Bauchebene wenig entgegensetzen können

Hätten die Auslandschweizer:innen stärker mobilisieren sollen? Hätte das einen Unterschied machen können?

Mit diesem knappen Ausgang haben viele Faktoren zum Entscheid beigetragen. Gerade jene, die von einer modernen globalisierten Schweiz profitieren, waren am Ende knapp in der Mehrheit. Zu dieser Gruppe gehören auch die Schweizerinnen und Schweizer im Ausland, die nicht selten gut bezahlt, gut ausgebildet und beruflich ambitioniert sind.

Ist das knappe Ja auch ein Auftrag an die Behörden?

Definitiv. Die Sicherheit der Anwendung muss nun im Vordergrund stehen. Auch das Tempo war bisher sehr hoch, viele fühlten sich nicht mitgenommen.

Beim Eigenmietwert haben sich die Immobilien-Eigentümer durchgesetzt. Wie schwer wiegt die Niederlage für die Mietenden?

Wir sind in der Schweiz auf dem Weg in einen neuen Konflikt zwischen Mietenden und Immobilienbesitzenden. Es mangelt an Wohnungen, und die Besitzenden werden zurzeit ökonomisch gestärkt.

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Deutliches Ja: Der Eigenmietwert wird abgeschafft

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht 57,7% der Stimmberechtigten sagten Ja zur Abschaffung des Eigenmietwerts. Damit geht ein jahrzehntelanger politischer Streit zu Ende.

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Bei der Eigenmietwert-Kampagne hielt sich der Mieterverband zurück, weil er seine Kräfte auf die eigene anstehnde Initiative für faire Mieten konzentriert. Das eröffnet eine neue Phase. Heute sind die Hauseigentümer die grossen Sieger. Aber die Mietenden werden ihre Rechte bald wieder einfordern.

Wie bei der 13. AHV hat jene Schicht sich einen Sieg geholt, die am meisten davon profitiert: Ältere Immobilienbesitzer aus der Deutschweiz. Gestalten diese Pensionäre im Moment die Schweiz?

Es gibt das Muster, dass das Gewicht des Alters bei Abstimmungen zunimmt. Die Ausgangs- und Interessenlage heute war aber komplexer. Es gibt zum Beispiel auch ältere Hauseigentümer:innen mit Interesse an einem Eigenmietwert, etwa wenn sie ein altes Haus vererben wollten. Heute wurde eine Steuer abgeschafft, weil alle Interessen der Eigentümer gebündelt wurden. Das Alter war dabei nicht der eigentliche Treiber.

Wie tief ist der Röstigraben?

Tief, sehr ausgeprägt. Entscheidend war er bei der E-ID und sehr ausgeprägt bei der Abschaffung des Eigenmietwerts. In der Romandie war auch die Mobilisierung tiefer, da die Abschaffung des Eigenmietwerts weniger bewegte. Aus dem simplen Grund, weil diese Steuer in der Romandie traditionell nicht so hoch ist, wie in der Deutschschweiz.

Editiert von Samuel Jaberg

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