 
Britische Familien erheben schwere Vorwürfe gegen Sterbehilfe-Organisation Pegasos
 
Familien aus Grossbritannien beschuldigen die Schweizer Organisation Pegasos, ihren Angehörigen beim Sterben geholfen zu haben – ohne ausreichende medizinische Rechtfertigung und ohne die Familie zu konsultieren.
In einem Vorort von London lebt Judith Hamilton in einem Albtraum. Ihr Sohn Alastair, 47 Jahre alt, hatte ihr nur gesagt, dass er in den Urlaub nach Paris fahre. Wenige Tage später entdeckte die Polizei, dass er in Wirklichkeit in die Schweiz geflogen war, um dort mit Hilfe von Pegasos zu sterben – einer Organisation, die Sterbehilfe anbietet.
«Er hat mich umarmt und gesagt: ‚Ich liebe dich, Mama.‘ Ich wusste nicht, dass das sein Abschied war», erzählt Judith.
Alastair litt unter unerklärlichen Bauchschmerzen, befand sich aber nicht im Endstadium einer Krankheit.
«Sein Leben war nicht perfekt, aber es war ein Leben, um das ihn Tausende beneidet hätten», sagt seine Mutter.
Beim Durchsehen seiner Kontoauszüge entdeckte sie eine Überweisung von 12’000 Schweizer Franken an Pegasos.
«Es ist wie ein Unternehmen. Wenn man genug Geld hat, bekommt man die Dienstleistung», kritisiert sie.
Eine Organisation im Zentrum der Kritik
Pegasos wurde 2019 gegründet und richtet sich vor allem an Sterbewillige aus dem Ausland. Die Bedingungen sind einfach: Man muss über 18 Jahre alt sein, als urteilsfähig gelten und die Kosten begleichen.
Im Gegensatz zu anderen Schweizer Organisationen verlangt Pegasos keine unheilbare Krankheit.
Dieses Modell empört David Canning, dessen Schwester Anne sich im Januar im Kanton Solothurn das Leben genommen hat.
«Ich dachte, es gäbe eine psychiatrische Untersuchung, ein Gespräch, dass das Ganze mehrere Tage dauern würde. In Wirklichkeit geschah alles an einem Vormittag», berichtet er.
Pegasos hat sich im Weiler Roderis in der Gemeinde Nunningen (SO) niedergelassen, wo sie in einem neu errichteten Gebäude tätig ist. Die Einwohner empfinden jedoch ein Unbehagen.
«Wir erhielten einen Brief, der ihre Ankunft ankündigte. Wir mussten die Realität akzeptieren», sagt ein Anwohner. Der Gemeindepräsident von Nunningen, Philipp Muster, versucht derzeit, die Baugenehmigung der Organisation zu widerrufen.
Eine Petition mit mehreren Hundert Unterschriften wurde gegen die Präsenz von Pegasos eingereicht.
Ein rechtlicher Graubereich
In der Schweiz regelt Artikel 115 Externer Linkdes Strafgesetzbuches die Sterbehilfe: Sie ist nur erlaubt, wenn sie nicht aus selbstsüchtigen Motiven erfolgt.
«Wenn man sich bereichert, ist es nicht mehr uneigennützig“, erklärt die Basler Anwältin Meret Rehmann. «Das Problem ist, nachzuweisen, wie das Geld verwendet wird», fügt sie hinzu.
Diese Grauzone weckt Misstrauen bei anderen Akteuren. «Das sind Fälle, die wir niemals durchführen würden», sagt Jean-Jacques Bise, Präsident von Exit Suisse romande.
«Bei uns muss das Gesuch begründet, wiederholt und ärztlich bestätigt werden.» Auch der Preis sorgt für Diskussionen: Während Exit Suisse romande 100 Franken verlangt, kostet der Sterbeprozess bei Pegasos rund 10’000 Franken.
Die Recherche zum Thema der Sendung «Mise au point» des Westschweizer Fernsehens RTS (auf Französisch):
Pegasos verteidigt sich
Auf Anfrage der RTS lehnte Pegasos jedes Interview ab. Auf ihrer Website beruft sich die Organisation auf ein «grundlegendes Menschenrecht», nämlich das Recht, Zeitpunkt und Art des eigenen Todes zu wählen.
Ein Mitarbeiter, Sean Davidson, der aus dem Vereinigten Königreich an der Organisation der Reisen in die Schweiz beteiligt ist, erklärte jedoch: «Pegasos will nur ausländischen Menschen helfen, von der Schweizer Gesetzgebung zur Sterbehilfe zu profitieren. Geld ist nicht der Antrieb.»
Er betont: «Ich finde den Service von Pegasos sehr effizient. Sie wollen den Stress und die Hürden für Menschen aus dem Ausland minimieren – ohne überflüssige Bürokratie.
Das ist vereinfacht, effizient, aber vollkommen gesetzeskonform. Sie prüfen die medizinischen Unterlagen sorgfältig und führen eine eingehende psychiatrische und medizinische Beurteilung durch.»
Davidson räumt jedoch ein, dass nicht immer alles perfekt gelaufen sei: «Es wurden Fehler gemacht, aber sie werden sich nicht wiederholen. Das führte zu einer Änderung der Pegasos-Politik.
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Die Organisation hat eine breitere Definition der Zulassungskriterien entwickelt und eine Lernphase durchlaufen. Nun gilt eine strikte Regel: Jede Person, die in die Schweiz kommt, muss ihre Familie informiert haben. Es muss ein Austausch zwischen der Person, ihrer Familie und Pegasos stattfinden.»
Angehörige fühlen sich schlecht informiert
Diese Argumente überzeugen Megan Royal nicht. Ihre Mutter reiste im Sommer in die Schweiz, um mit Pegasos zu sterben – nach Einführung der neuen Verfahren.
Megan ist noch immer erschüttert über die Art, wie sie informiert wurde: «Sie haben mir eine WhatsApp-Nachricht geschickt. (…) Das ist eine Beleidigung. Das Ganze wurde ohne jegliche Würde abgewickelt.»
Ihre Mutter Maureen, 58 Jahre alt, litt unter Schmerzen, die Ärzte nicht diagnostizieren konnten, und – laut Tochter – auch unter psychischen Problemen.
Pegasos hatte beschlossen, Angehörige schriftlich zu kontaktieren. Doch Maureen gab sich per E-Mail als ihre Tochter aus.
«Sie sagten, sie hätten den echten Brief meiner Mutter überprüft und meine Antwort überprüft, indem sie mir über eine gefälschte E-Mail schrieben. Hätten sie das nur richtig kontrolliert, hätten sie gesehen, dass sie meiner Mutter schrieben – nicht mir», erklärt Megan.
Nach diesem Vorfall versprach Pegasos, die Identität der Angehörigen künftig per Videoanruf zu überprüfen. Für Megan kommt das zu spät: «Wenn Pegasos ihr Versprechen gehalten hätte, wenn Pegasos in einer idealen Welt gar nicht existieren würde, dann müssten Familien wie wir heute nicht diesen Schmerz erleben», sagt sie.
Für Megan beginnt nun ein langer Trauerprozess – und sie ist nicht allein. Laut RTS entscheiden sich zwischen 200 und 300 Menschen pro Jahr, in der Schweiz mit Hilfe von Pegasos zu sterben.
Die Sterbehilfe ist in der Schweiz gut akzeptiert, der Sterbetourismus weniger, auch wegen der Kosten:
 
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Die Schweiz will nicht länger für den «Sterbetourismus» zahlen
 
        In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
    
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