
Auswandern mit der AHV: «Das Attribut ‹Profiteure› ist völlig fehl am Platz»

Viele Schweizer Rentnerinnen und Rentner ziehen mit ihrer AHV ins Ausland – oft begleitet von Vorurteilen und Kritik. Auswanderer Michael Enderle widerspricht diesen Stereotypen und zeigt auf: Auswandern im Rentenalter erfordert Mut, Vorbereitung und Eigenverantwortung.
«Im Rentenalter auszuwandern, braucht viel Mut», schrieb Michael Enderle diesen Frühling in einer Mail an Swissinfo. «Manchmal wäre mehr Toleranz und Offenheit gegenüber anderen Menschen ein wünschenswertes Gedanken- und Umsetzungsgut», so Enderle weiter.
Er bezieht sich dabei auf die Debatten in der Schweizer Presse über die Schweizerinnen und Schweizer, die sich mit der AHV-Rente im Ausland – vorzugsweise in Thailand – zur Ruhe setzen und so vom Schweizer Staat profitieren würden. «Das Attribut ‘Profiteure’ ist dabei völlig fehl am Platz», so der pensionierte Geschäftsmann.
Denn Pensionierte, die die Schweiz verlassen und anschliessend von der AHV-Rente leben können, hätten ja schliesslich ein Leben lang einbezahlt. «Ausserdem ist es die Entscheidung jedes Einzelnen, wo er seine Pension verbringen will», sagt Enderle.
Die Schlagzeilen über die vermeintlichen Profiteure, hat auch uns dazu bewogen, das Thema Sozialhilfe für Auslandschweizer:innen zu beleuchten:

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Warum nach Thailand auswandern?
Michael Enderle gehört zu den Neu-Rentnern, die nach Thailand ausgewandert sind. Er ist im vergangenen Oktober mit seiner Frau Regula nach Phuket ausgewandert.
Er, der in seiner beruflichen Karriere über zwölf Jahre im Ausland, hauptsächlich in Indien, verbracht hatte, wollte mit seiner Frau nochmals ein neues Projekt wagen.
«Das Leben im Ausland und das Verkehren in Expat-Kreisen hat uns all die Jahre immer sehr bereichert», erzählt der 65-Jährige im Video-Call mit Swissinfo.
Ein gepflegter Mann im Poloshirt sitzt an diesem Dienstagnachmittag vor seinem Laptop, wo er sonst seinen Geschäftstätigkeiten in der Schweiz nachgeht. Enderle hat noch einige wenige Beratungsmandate, die er von Thailand aus erfüllen kann.
Er und seine Frau besassen eine schöne Wohnung in Frauenfeld. «Eines Abends bin ich auf der Terrasse gesessen und habe in den Sonnenuntergang geschaut. Da habe ich mich gefragt, ob das jetzt die nächsten 20 Jahre so sein wird», sagt Enderle. Das konnte er sich nicht vorstellen.
Und so hat sich das Ehepaar ein Jahr Zeit genommen, um den Schritt ins Ausland vorzubereiten. Die Wahl der Auswanderungsdestination war schnell klar.
«In unserer Zeit in Indien sind wir immer wieder nach Thailand in den Urlaub gefahren.» Sie hatten in Phuket bereits Bekannte, die Insel hat ihnen gefallen. Und: Die wohlwollende und freundliche Kultur der Thais hat es ihnen angetan.
Weitere hilfreiche Artikel zum Auswandern und Leben im Ausland finden Sie auf unserer Seite «Auswandern leicht gemacht». Offizielle Informationen des Bundes sind auf der Seite des EDA verfügbar, für weiterführende Beratungen steht die Auslandschweizer-Organisation (ASO) zur Verfügung.
Familie über Kontinente hinweg: Nähe trotz Distanz
Der Auswanderungsentscheid der Enderles überraschte das Umfeld in der Schweiz nicht. «Fast alle unsere Liebsten fanden es einen ‘coolen’ Schritt», sagt der Auslandschweizer.
Schon bei ihrem Engagement in Indien für eine Textilmaschinenfirma und anschliessend beim Swiss Business Hub in Indien war nicht die ganze Familie mit dabei.
«Unser Sohn wollte damals mit 17 Jahren seine kaufmännische Lehre in der Schweiz abschliessen.» Für ihn hätten sie mit Freunden eine Lösung gefunden. «Ich war in dieser Zeit aber regelmässig in der Schweiz», sagt Enderle.
Die Tochter kam mit 14 Jahren mit nach Indien, studierte nach der Highschool in verschiedenen anderen Ländern und lebt und arbeitet mittlerweile in der Schweiz.
Die Kommunikation mit ihren Kindern sei schon während der vorherigen Auslandjahren mehr über den virtuellen Weg gelaufen als «Face to Face». Trotzdem stünden sie sich sehr nahe.
Vielleicht falle ihnen diese örtliche Trennung auch einfacher, weil das Ehepaar Enderle noch keine Grosskinder hätte. Enderle habe im Umfeld einige ausgewanderte Grosseltern, die wegen der Enkel das Heimweh packe.

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Vorbereitung ist alles
Ihn und seine Frau Regula hatte aber vor zwei Jahren das Fernweh gepackt. «Die kalten, grauen Monate in der Schweiz haben mir zugesetzt», sagt Enderle.
Nach vielen Jahren in Indien sehnte sich das Ehepaar Enderle wieder nach einer «schöneren, meeresnahen und vor allem wärmeren Umgebung».
Dass das Leben in Thailand günstiger sei als in der Schweiz habe dabei einen positiven Nebeneffekt.
Im Gespräch mit Michael Enderle wird schnell klar, er und seine Frau haben sich gut auf die Auswanderung vorbereitet. Die Voraussetzungen für die Aufenthaltsbewilligungen, die Einreiseformalitäten und die Steuerbedingungen für Enderles Beratungsfirma in der Schweiz – alles wurde genau abgeklärt, geprüft und entsprechend organisiert.
«Die Krankenkasse war ein eigenes Projekt innerhalb unseres Auswanderungsprojekts», sagt Enderle. Er und seine Frau haben schliesslich je eine internationale Krankenkasse in einem sogenannten Expat-Plan gefunden.
«Die Krankenkasse ist aber für viele auswanderungswillige Schweizerinnen und Schweizer ein Grund, doch nicht definitiv auszuwandern», so Enderle.
Denn eine Abmeldung in der Schweiz hat die Beendigung der Schweizer Krankenkasse zur Folge – und adäquate private Anschlusslösungen haben auch ihren Preis.
Die Politik sucht nach einer Lösung, dass dies nicht mehr so ist:

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Gegen Klischees und Vorurteile
Eine Auswanderung habe viel mit Eigenverantwortung zu tun, ist Enderle überzeugt. «Diese trägt man auch gegenüber den Schweizer Institutionen, die den in Not geratenen Schweizerinnen und Schweizer zur Hilfe kommen würde, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert», sagt er.
Aber: Man müsse unbedingt allen möglichen künftigen Lebenskonstellationen schon bei der Auswanderungsplanung Rechnung tragen.
Trotzdem stört sich der Ausgewanderte daran, dass die Schweizer Rentnerinnen und Rentner in Thailand pauschalisiert und unter anderem als Schmarotzer angeprangert werden.
«Überall gibt es diese Stereotypisierung, aber diese trifft auf das Individuum einfach nicht zu», sagt Enderle. Er fragt sich, ob man denn Rentnerinnen und Rentner, die nach Neuseeland auswandern wollten, ebenfalls als Profiteure bezeichnen würde.
«Der individuelle Mensch hat sein eigenes Verantwortungsbewusstsein, seinen eigenen Circle und seine eigene Vorgehensweise, wie er sein Leben leben oder gestalten will», das sei nie stereotyp.
«Wo und wie man seine Pension verbringen will, ist doch jedem selbst überlassen», sagt Enderle.
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