Das halten Auslandschweizer:innen vom verschärften Abtreibungsrecht in den USA

Seit 2022 haben viele US-Bundesstaaten ihre Politik zur Regelung der reproduktiven Rechte verschärft. Mehrere Dutzend Schweizer:innen, die in den USA leben, haben auf einen Aufruf von SWI swissinfo.ch reagiert, um über ihre Erfahrungen zu berichten und ihre Meinung zu äussern. Während die Mehrheit die Änderungen negativ beurteilt und einige sogar eine Rückkehr in die Schweiz in Erwägung ziehen, unterstützt eine Minderheit die Einschränkungen.
Im Juni 2022 entschied das höchste Gericht der USA, der Supreme Court, das historische Urteil «Roe vs. Wade» für ungültig zu erklären. Dieses hatte seit 1973 das Recht auf Abtreibung auf Bundesebene garantiert.
Mit dem neusten Gerichtsurteil ist es nun jedem Bundesstaat selbst überlassen, seine Politik im Bereich der reproduktiven Rechte und damit der Abtreibung selbst festzulegen.
Kaum war das UrteilExterner Link des Obersten Gerichtshofs gefallen, verschärften viele konservative Bundesstaaten ihre Gesetze. Einige von ihnen hatten die Bestimmungen schon in der Schublade, die in Kraft treten sollten, sobald es die Umstände zuliessen.
Die Schweizer Diaspora in den Vereinigten Staaten stellt mit 83’700 Staatsangehörigen weltweit die drittgrösste Gemeinschaft von Auslandschweizer:innen (nach Frankreich und Deutschland), wie aus Zahlen des Bundesamts für StatistikExterner Link (BFS) für 2024 hervorgeht. Die dortige Gemeinschaft ist also ein unmittelbarer Zeuge der jüngsten Entwicklungen.
Ein Klima der Angst
Ende Januar rief SWI swissinfo.ch die Schweizerinnen und Schweizer in den USA über verschiedene Plattformen und Info-Kanäle dazu auf, sich zu dieser Entwicklung zu äussern. Wie empfinden sie die Verschärfung der Bestimmungen in der Abtreibungspolitik?
Fast hundert Kommentare und E-Mails gingen ein. Bemerkenswert ist, dass die überwältigende Mehrheit der Personen, die sich gemeldet haben, anonym bleiben möchte.
Warum? «Weil ich noch hier lebe», gibt Deborah S. aus Florida an. Carolina B. aus Arizona schrieb: «Ich möchte mich nicht dem Hass aussetzen.»
Eine Mehrheit lehnt Verschärfungen ab
Die meisten Schweizer:innen, die SWI swissinfo geantwortet haben, sehen den konservativen Kurs eher kritisch, den mehrere Bundesstaaten eingeschlagen haben.
Dies ist nicht besonders überraschend, da sich die Diaspora im Allgemeinen eher auf dem progressiven Flügel des politischen Spektrums positioniert.
Mehrere Personen unterstützen jedoch eine restriktivere Abtreibungspolitik.
Dies gilt auch für Markus G., der 2014 mit seiner Schweizer Frau nach Florida ausgewandert ist. Der Vater von drei Kindern (im Alter zwischen 20 und 25 Jahren) hat eine sehr klare Meinung zur Abtreibung: «Ich habe das Thema nie mit meiner Tochter besprochen, aber meine Frau und ich sind mit der restriktiven Politik in Florida einverstanden.»
Nach der Aufhebung des Urteils Roe vs. Wade hat der Bundesstaat im Südosten der USA seine Politik im Bereich des freiwilligen Schwangerschaftsabbruchs verschärft und verbietet diesen nun bereits nach sechs Schwangerschaftswochen (vorher 15).
Ausnahmen sind bei ernsthaften Risiken für die schwangere Frau oder den Fötus sowie bei Vergewaltigung oder Inzest bis zu einer Höchstgrenze von 15 Schwangerschaftswochen vorgesehen.
«Alte Schule»
Carolina B. lebt in Arizona. Im April 2024 hatte der Oberste Gerichtshof dieses Bundesstaates ein Gesetz aus dem Jahr 1864 wieder eingeführt, das jegliche Abtreibung verbietet. Eine Ausnahme gab es demnach nur im Falle einer akuten Lebensgefahr der Mutter.
Das Gesetz wurde aber nur einen Monat später, im Mai 2024, vom Senat des Bundesstaates Arizona aufgehoben. Es kam sogar zu einer Lockerung der Einschränkungen.
In Arizona sind nun Schwangerschaftsabbrüche so lange erlaubt, bis der Fötus ausserhalb des Mutterleibs überleben könnte; in der Regel ist das frühestens in der 24. Schwangerschaftswoche der Fall. Zuvor war eine Abtreibung spätestens in der 15. Schwangerschaftswoche möglich.
Die 57-jährige Schweizerin Carolina B. bezeichnet sich selbst als «alte Schule» und hat ihren Töchtern klar gemacht, dass sie nicht abtreiben dürfen, wenn sie schwanger werden, «ausser natürlich bei medizinischen Problemen oder Vergewaltigung».
Sie ist der Ansicht, dass jede Person für ihre Handlungen zur Rechenschaft gezogen werden muss und dass «die Macht der Frau über ihren Körper beginnt, wenn sie Sex hat und schwanger wird» – in Anlehnung an den Slogan «My body, my choice» («Mein Körper, meine Wahl»).
Aus diesem Grund hat Carolina B. kein Problem damit, dass jeder Bundesstaat individuell über seine Politik in diesem Bereich entscheidet.
Auch eine Frage des Geldes
Eine Frau, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen möchte, obwohl sie in einem Bundesstaat lebt, in dem dieser verboten oder stark eingeschränkt ist, kann in Erwägung ziehen, für eine Abtreibung in einen Nachbarstaat zu gehen, wo dieser erlaubt ist.
Allerdings erfordert dies finanzielle Mittel, über die nicht alle Betroffenen verfügen. Philipp N. aus Texas sagt: «Gerade bei wirtschaftlich benachteiligten Menschen kann eine ungeplante Schwangerschaft das Studium oder den Job bedrohen oder eine bereits prekäre Finanzlage weiter verschärfen.»
Darüber hinaus schrecken einige Gliedstaaten nicht davor zurück, rechtliche Schritte gegen Frauen einzuleiten, die in anderen Staaten einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen. Auch Ärztinnen oder Ärzte, die eine Abtreibung durchführen, können in Schwierigkeiten geraten.
In den letzten Monaten haben mehrere Staaten, die in der Abtreibungsfrage fortschrittlich sind, den gesetzlichen Schutz von Patientinnen und medizinischem Personal vor Strafverfolgung durch andere Staaten verstärkt. Dies gilt insbesondere für die Bundesstaaten Pennsylvania, Delaware, Hawaii, Illinois und New Mexico.

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Flucht von Fachkräften
Einige Staaten drohen gynäkologischen Fachkräften schwere strafrechtliche Sanktionen an, wenn sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen oder diese unterstützen. Dies hat zu einer gewissen Abwanderung von Mitarbeitenden in Gesundheitseinrichtungen geführt, wodurch sich wiederum die medizinische Versorgung der Frauen in diesen Bundesstaaten verschlechtert hat.
Philipp N. berichtet, dass die derzeitigen Gesetze in Texas dazu führen, dass das Gesundheitspersonal zurückhaltend ist, gewisse Untersuchungen auszuführen, die normalerweise während einer Schwangerschaft gemacht werden.
Der Staat verbietet dort jegliche Abtreibung, mit Ausnahme von Fällen von Vergewaltigung oder Inzest. Sie bleibt ebenfalls erlaubt, wenn die Gesundheit oder das Leben der schwangeren Person in GefahrExterner Link ist.
Diese Ausgangslage würde dazu führen, dass das Gesundheitspersonal die Rechtsabteilung ihres Spitals konsultieren müsste, bevor eine Patientin mit Schwangerschaftskomplikationen behandelt werde, manchmal unter Lebensgefahr für die Patientin.
«Eine Frau, die eine Familie gründen möchte, sollte den Umzug in einen liberaleren Staat planen, um sicherzugehen, dass sie im Falle von Komplikationen Zugang zu einer modernen Versorgung hat», schreibt Philipp N.
Rückkehr in die Schweiz
Einige der Personen, die dem Aufruf von SWI swissinfo zu Erfahrungsberichten geantwortet haben, sind von den gesellschaftlichen Entwicklungen in ihrem Wohnstaat und in den USA im Allgemeinen verunsichert.
Teilweise schliessen sie sogar eine Rückkehr in die Schweiz nicht aus, selbst wenn sie in Staaten leben, in denen das Recht auf Abtreibung garantiert ist.
Andrea T. lebt seit 2008 in Kalifornien. Sie möchte «eine gewisse Kohärenz mit ihrem ethischen und moralischen Denken bewahren».
Ein Verbleib in den USA würde sie «nicht in ihrer tiefen Überzeugung von der Gültigkeit der Menschenrechte bestärken». Daher traf sie die Entscheidung, wieder in Genf zu leben, wo sie herstammt.
Tanja D. ist verheiratet und hat eine Tochter. Die Familie lebt seit 2019 in Pennsylvania – einem liberalen Bundesstaat. Dennoch: «Wenn es so weit kommen sollte, dass die elementaren Menschenrechte, insbesondere die Rechte der Frauen, stärker in Frage gestellt werden als heute, würden wir das Land sicher verlassen und nach Beschäftigungsmöglichkeiten in meiner Firma ausserhalb der USA suchen.»
Oder den Staat wechseln
Andere Schweizer:innen denken darüber nach, aber der Schritt ist nicht leicht, wenn ein ganzes Leben an einem Ort in den USA aufgebaut wurde.
«Ich habe darüber nachgedacht, in die Schweiz zurückzukehren», schreibt Arthur Kull aus Idaho, einem in Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche sehr restriktiven Bundesstaat, «aber alle unsere Freunde sind hier, und da ich mich stark in das örtliche Vereinsleben einbringe, handelt es sich um eine schwierige Entscheidung.»
André C. bedauert seinerseits, dass seine Tochter, die von Texas zum Studieren nach Kalifornien gegangen ist, aufgrund der Abtreibungspolitik in Texas wahrscheinlich nicht zurückkehren wird, um in seiner Nähe zu leben und zu arbeiten.
Editiert von Pauline Turuban, Übertragung aus dem
Französischen: Gerhard Lob

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