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UNHCR ist mit 75 im Überlebenskampf: Weniger Geld, mehr Not

Keystone-SDA

Am 14. Dezember vor 75 Jahren ist das Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR gegründet worden. Im Jubiläumsjahr steckt die Organisation in ihrer schwersten Finanzkrise. Was bedeutet das für Millionen Vertriebene - und für die Flüchtlingspolitik in Europa?

(Keystone-SDA) 75 Jahre – das ist eigentlich immer ein Grund zum Feiern, aber der scheidende Chef des UNHCR, Filippo Grandi, ist alles andere als in Jubellaune. Die Organisation befindet sich in einer existenziellen Finanzkrise.

Zudem hat sich der Umgang mit Flüchtlingen seit 2015 stark verändert, von der Willkommenskultur – als Notleidende etwa in Deutschland an Bahnhöfen begrüsst wurden – in blanke Ablehnung und Grenzabschottungen vielerorts. Gleichzeitig hat sich die Zahl der Vertriebenen auf mindestens 122 Millionen Menschen weltweit praktisch verdoppelt, unter anderem durch Kriege und Gewalt in Syrien, Afghanistan, im Sudan und der Ukraine.

Der Iraker Barham Saleh, der Grandi am 1. Januar als Uno-Hochkommissar für Flüchtlinge folgt, muss um das Überleben des UNHCR kämpfen.

Wieso Finanzkrise?

Die USA, die jahrelang rund 40 Prozent des UNHCR-Budgets gestemmt hatten, kürzten ihre Gelder zuletzt drastisch. Ebenso schnallten andere grosszügige Geldgeber wie Deutschland und Grossbritannien den Gürtel enger. Der Beitrag der USA liegt mittlerweile bei nur noch gut 40 Prozent von dem, den sie 2024 zahlten.

Das UNHCR rechnet damit, dass dieses Jahr nur 3,9 Milliarden Dollar zusammenkommen, ein Viertel weniger als 2024. Einem Drittel der rund 36 Millionen Menschen, die es bislang unterstützte, kann nicht mehr geholfen werden. Das UNHCR hat bereits ein Viertel der Mitarbeiter – mehr als 5000 Leute – entlassen.

Warum wurde das UNHCR gegründet?

Es entstand nach dem Zweiten Weltkrieg, um Vertriebenen vor allem in Europa zur Rückkehr in die Heimat zu helfen. Es sollte eigentlich nur drei Jahre existieren. Dann kam es immer wieder zu neuen Flüchtlingskrisen – bis heute.

Parallel zum UNHCR beschloss die Weltgemeinschaft, dass Verfolgte mit der Genfer Flüchtlingskonvention besser geschützt werden müssen. Nach der Konvention von 1951 haben Verfolgte das Recht, von anderen Ländern aufgenommen zu werden. Jedes Land muss Asyl gewähren. Armut, Hunger oder Naturkatastrophen sind keine anerkannten Fluchtgründe. Nur Verfolgte gelten als Flüchtlinge, alle anderen sind Migranten, die keinen besonderen Schutz geniessen.

Ist die Flüchtlingskonvention überholt?

Die USA haben im September in New York am Rand der UN-Generalversammlung gefordert, das Asylwesen zu reformieren, damit niemand das Asylrecht missbraucht, um Einwanderungshürden zu umgehen, wie es vom Aussenministerium hiess.

Warum soll eine Regierung einem Flüchtlingshilfswerk mehr Geld geben?

Weil das UNHCR Menschen in Not unweit ihrer Heimat hilft. 71 Prozent der Vertriebenen weltweit lebt in Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen nahe ihrer Heimat. «Das kann auch einen Beitrag dazu leisten, dass sie nicht den Weg nach Europa suchen», sagt Thorsten Klose-Zuber, Generalsekretär von Help – Hilfe zur Selbsthilfe e.V.

Was könnten die Mittelkürzungen in Europa für Folgen haben?

Für Grandi ist klar: «Wenn humanitäre Hilfe zurückgeht, werden wieder Menschen Richtung Europa drängen.» Er erinnert an 2015, als Geld fehlte und Hilfen für syrische Flüchtlinge im Nahen Osten gekürzt werden mussten. Unter anderem deswegen seien in dem Jahr Millionen Syrierinnen und Syrier aus Verzweiflung Richtung Europa gezogen.

Was droht, wenn der Solidaritätskonsens von 1950 schwindet?

Klose-Zuber sagt: «Damals gab es einen Konsens, dass wir ein System aufbauen mit Flüchtlingskonvention und UNHCR, damit wir die Schrecken der Weltkriege für immer hinter uns lassen. Wenn wir das abschaffen und wieder jeder nur auf sich schaut, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass wir wieder in eine Katastrophe rutschen.»

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