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Ein Monat an der Spitze des Sicherheitsrats: Wie der Aussenminister die Schweizer Leistung sieht

Persona batte con martelletto sul tavolo.
Der Vorsteher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten, Ignazio Cassis, eröffnet die Sitzung des UNO-Sicherheitsrats am 30. Mai 2023 in New York. Copyright 2023 The Associated Press. All Rights Reserved.

Am Mittwoch endete in New York die einmonatige Präsidentschaft der Schweiz im UNO-Sicherheitsrat. Die Schweizer Diplomatie sei an ihre Kapazitätsgrenze gestossen, sagt Aussenminister Ignazio Cassis im Interview.

RSI: Der Direktor der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO), Rafael Grossi, hat auf Einladung der Schweiz vor dem Sicherheitsrat einen Plan vorgestellt, um eine nukleare Katastrophe im ukrainischen Kraftwerk Saporischschja zu verhindern. Sie bezeichneten diesen Plan als “einen kleinen grossen Schritt nach vorn”. Warum?

Ignazio Cassis: Das Kernkraftwerk Saporischschja ist mit seinen sechs Reaktoren das grösste in Europa. Ein nuklearer Unfall wäre eine humanitäre Katastrophe nicht nur für die Ukraine und Russland, sondern für alle Länder bis hin nach Osteuropa. Die Anlage befindet sich direkt an der Kampflinie zwischen der Ukraine und Russland und ist jetzt teilweise von den Russen besetzt.

Da es nicht möglich ist, diesen Ort in eine Schutzzone zu verwandeln, und der Konflikt noch nicht beigelegt werden kann, müssen wir einen Weg finden, um das Risiko zu verringern, dass er angegriffen und als Militärbasis genutzt wird.

Diese beiden Elemente sind zwei der fünf Grundsätze, die vom UN-Sicherheitsrat erörtert und von allen unterstützt wurden. Auch von der Ukraine und Russland.

Der Monat der Schweizer Präsidentschaft ist abgelaufen. Können Sie eine erste Bilanz ziehen?

Es war ein sehr arbeitsreicher Monat. Wir haben erst vor zwei Wochen, also mitten im Präsidialmonat, mit den Vorbereitungen für die Sitzung über das Kernkraftwerk begonnen, nachdem sich eine Gelegenheit mit Rafael Grossi, dem Generaldirektor der IAEO, ergeben hatte. Bei diesem Thema arbeitete ich gut mit Grossi zusammen, und er mit mir.

Er wollte unbedingt dafür sorgen, dass das Thema noch während der Schweizer Präsidentschaft behandelt wird. Denn er wusste, dass es alles andere als einfach würde, eine zivilisierte Diskussion zu führen, ohne dass am Ende jemand sagt: “Ich erhebe Einspruch”, womit alles zusammenbrechen würde. Stattdessen ist es uns gelungen, das durchzuziehen.

Sind Sie zufrieden damit, wie sich die Schweiz auf der internationalen Bühne präsentiert hat?

Ich habe den Monat der Präsidentschaft eröffnet und abgeschlossen. Ich habe ihn mit einer Diskussion darüber eröffnet, wer wir sind und wie wir das Vertrauen wiederherstellen können.

Dann fuhr Präsident Alain Berset [Innenminister, d. Red.] mit dem Schutz der Zivilbevölkerung in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Roten Kreuz fort. Einige Tage später folgte meine Kollegin Viola Amherd [Vorsteherin des Verteidigungsministeriums, Anm. d. Red.], die anlässlich des 75-jährigen Bestehens der Blauhelme hier war, und am Mittwoch fand die letzte Sitzung statt.

Ich muss sagen, dass wir an der Kapazitätsgrenze unseres Systems angelangt sind. Man merkt es nicht, aber jedes einzelne Treffen erfordert eine Menge Vorbereitung.

Ein heisses Thema in der Schweiz ist das derzeitige Verbot von Waffenreexporten in die Ukraine. Ist der Bundesrat bereit, seine Linie zu ändern? Und welche Konsequenzen hätte dies für die Neutralität?

Das Thema wird in abstrakter Form auf den Tisch des Bundesrates zurückkehren, nachdem es in den letzten Tagen sehr konkret geworden ist, als die Landesregierung den Wunsch des Parlaments unterstützt hat, 25 Leopard-2-Panzer nach Deutschland zu exportieren. Damit verbunden ist die Zusicherung, dass sie nicht in die Ukraine gebracht werden.

Ich glaube, dass es einen Spielraum gibt. Wir nehmen uns die Zeit, alles richtig zu machen, ohne unsere Neutralität zu verletzen, die ein Eckpfeiler der Funktionsweise der Schweiz bleibt.

Sie können sich das Interview hier anhören (auf Italienisch):

Übertragung aus dem Italienischen: Marc Leutenegger

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