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Schweizer Rentner:innen im Ausland litten kaum unter der Pandemie

Une femme âgée porte un masque au bras
© Keystone / Gaetan Bally

Die Coronavirus-Pandemie hatte erhebliche Auswirkungen auf zahlreiche Bevölkerungsgruppen – die im Ausland lebenden Schweizer Pensionierten scheinen jedoch finanziell und emotional weitgehend verschont geblieben zu sein, wie eine neue Studie aufzeigt.

Die teilweise wiederholt verhängten Lockdownshaben viele Menschen emotional belastet. Bei den Schweizer Rentner:innen im Ausland scheint dies jedoch weniger der Fall zu sein: Laut Marion Repetti, Leiterin des Instituts für SozialarbeitExterner Link an der Haute École et École Supérieure de Travail Social im Wallis HES-SO, gibt es dafür mehrere Gründe. Die Soziologin hat gerade den zweiten Teil einer Studie abgeschlossen über Schweizer:innen, die sich im Rentenalter für eine Auswanderung nach Spanien entschieden haben.

Ein Sprung ins kalte Wasser?

Marion Repetti
Marion Repetti ist Soziologin und Leiterin des Instituts für Soziale Arbeit an der Haute École et École Supérieure de Travail Social im Wallis. zVg

Aus den Interviews von Repetti geht hervor, dass sich diese Personen nicht weiter von ihren Familien entfernt fühlten, als wenn sie in der Schweiz gewohnt hätten. Für die Soziologin “ist diese Wahrnehmung typischerweise darauf zurückzuführen, dass diese Schweizer:innen geografisch gar nicht so weit weg wohnen.” Spanien ist immerhin mit dem Auto erreichbar.

Die bewusste Entscheidung auszuwandern und die Gewohnheit, weit weg von ihren Familien zu sein, könnte auch erklären, warum sich diese Gruppe von Schweizer Rentner:innen nicht besonders isoliert fühlten. Eine weitere Studie von Oana CiobanuExterner Link, Professorin an der Hochschule für Sozialarbeit und Gesundheit in Lausanne, über die Auswirkungen der Entfernung auf das Gefühl der Einsamkeit unterstützt diese Feststellung.

Sie zeigt, dass in Familien, in denen die Mitglieder nahe beieinander leben, die Grosseltern schneller unter Isolation leiden. Umgekehrt ist der Leidensdruck geringer, wenn die Kinder weit entfernt wohnen – da die Erwartungen, sich zu treffen, ohnehin geringer sind.

Technologische Hilfsmittel

Ein weiterer Grund ist die Nutzung neuer Technologien, um mit den Familien zu kommunizieren. “Diese Technologien sind Teil ihres täglichen Lebens”, sagt Repetti.

Während der Pandemie berichteten ihr mehrere Schweizer Rentnerinnen, dass sie durch das Vorlesen Zeit mit ihren Angehörigen verbrachten. Eine andere Dame las ihrer Schwester vor, die an Covid-19 erkrankt war und lange Zeit in der Schweiz im Krankenhaus lag.

Die Finanzen sind in Ordnung

Bei Soliswiss, einer genossenschaftlichen Selbsthilfeorganisation für Auslandschweizer:innen, stammen rund 30% der Anfragen von pensionierten Schweizer:innen. Und ihre Zahl hat sich während der Pandemie nicht sonderlich verändert. Direktorin Nicole Töpperwien führt dies darauf zurück, dass “Pensionierte ein festes Einkommen haben. Sie waren daher finanziell nicht oder nur wenig von den Massnahmen betroffen, welche die Wirtschaft betrafen.”

Diese im Ausland lebenden AHV-Empfänger:innen (Alters- und Hinterbliebenenversicherung) könnten es sich jedoch aus finanziellen Gründen ohnehin nicht leisten, in die Schweiz zurückzukehren. Tatsächlich sind es oft wirtschaftliche Überlegungen, die sie in erster Linie zur Ausreise bewegen.

Die Zahl der über 65-Jährigen, die in die Schweiz zurückkehren, ist in den letzten Jahren stabil geblieben, auch wenn 2020 im Vergleich zu 2019 ein leichter Anstieg zu verzeichnen ist. Dagegen stieg die Zahl der Rentenempfänger:innen im Ausland allein zwischen 2017 und 2022 um 10%.

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Soziale Belastung und gesellschaftlicher Druck

In der ersten von Repetti durchgeführten Studie aus dem Jahr 2016 begründeten die meisten Befragten ihre Auswanderung mit wirtschaftlichen Gründen. Dabei wurden zwei Hauptposten genannt: Zum einen Gesundheitskosten, insbesondere Zahn- und Augenkosten, die nicht von der Krankenversicherung gedeckt werden. Und zum anderen Immobilienprobleme, entweder weil die Miete zu hoch wurde oder weil sie ihre Hypothek nicht mehr zurückzahlen konnten.

Aus der zweiten Studie geht auch hervor, dass sich Schweizer:innen, die im Ruhestand ins Ausland gehen, als “Alte” diskriminiert fühlen. “Das liegt daran, wie die AHV das soziale Leben strukturiert und diese Personen in die Kategorie der inaktiven Menschen einordnet”, sagt Repetti.

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Die Auslandschweizer:innen erwähnen auch die Auswirkungen der öffentlichen Politik auf die Gesellschaft. In der Schweiz stellt der Mangel an Kinderbetreuungseinrichtungen hohe Erwartungen an die Grosseltern. Nach einer Auswanderung halten sie zwar die familiären Bindungen aufrecht, aber die Distanz ermöglicht es ihnen, ihre Beteiligung zu kontrollieren. Grossmütter, die am stärksten von diesem Phänomen betroffen sind, können entscheiden, wie viel Zeit sie für die Betreuung ihrer Enkelkinder aufwenden, indem sie beispielsweise für die Schulferien nach Hause kommen.

Verstärkte Unsicherheit bei der Rückkehr

Wenn Rentner:innen die Schweiz verlassen, denken sie aus den oben genannten Gründen in der Regel nicht daran, eines Tages zurückzukehren. Manchmal sind sie jedoch dazu gezwungen, insbesondere nach einer Trennung, dem Tod des Partners oder der Partnerin oder bei gesundheitlichen Problemen.

Diese zwangsweise zurückkehrenden Personen geraten in die prekäre Situation, der sie eigentlich entfliehen wollten. Armutsprobleme treten in der Regel im Alter von 75 Jahren auf und betreffen vor allem Frauen.

“Die Ruhestandsmigration wird wenig verstanden und die prekäre Lage von Menschen im Ruhestand wird in der Schweiz nicht ausreichend berücksichtigt”, betont Repetti. Es ist schwierig, ihre Zahl zu schätzen, aber Schätzungen zufolge befinden sich 20% von ihnen in einer finanziell unsicheren Situation.

Die Soziologin hält es für einen Mythos zu glauben, dass die AHV das Problem der Armut gelöst hat. Die AHV-Rente sollte nicht als Haupteinkommensquelle im Ruhestand betrachtet werden, sondern im Gegenteil die Ersparnisse aus der zweiten und dritten SäuleExterner Link ergänzen.

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