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Uno-Welternährungsgipfel: “Es ist nicht zu spät, aber höchste Zeit!”

Markus Allemann

Wie kann die wachsende Weltbevölkerung trotz Klimawandel ernährt werden? Vom 26. bis 28. Juli will sich die Uno an einem Pre-Summit in Rom auf den Welternährungssystem-Gipfel vorbereiten. Laut Markus Allemann, Geschäftsleiter der Schweizerischen Stiftung für Entwicklungszusammenarbeit Swissaid, schielt sie dabei auf die prall gefüllten Kassen der "Global Players".

2009 fand in Rom zum letzten Mal ein Gipfel zu den globalen Ernährungssystemen statt. “Welternährungsgipfel der vertanen Chancen” titelten die Zeitungen dazumal. Das bräuchte sich dieses Jahr beim Welternährungsgipfel in New York nicht zu wiederholen, denn Wissenschaft und Praxis haben in den vergangenen Jahren gute Entscheidungsgrundlagen geliefert.

Zusammengefasst lauten sie: Wer unter der Bedingung des Klimawandels kommenden Generationen gesunde, kulturell angepasste Nahrung sichern will, muss für gerechte und nachhaltige Ernährungssysteme sorgen.

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Die Profiteure der vergangenen Jahrzehnte beurteilen das anders. Ihr Glaube an die Vermarktung von Einzeltechnologien ist ungebrochen. Die UNO versucht diese “Global Players” einzubinden (“private partnerships”) und schielt dabei auf ihre prall gefüllten Kassen. Im Jahr 2021 legen sie die Hits aus den 60er und 70er Jahren wieder neu auf: Teure hochleistungsfähige Saatgutsorten, Pestizide, Flächenbewirtschaftung und weltumspannende, auf Kostenminimierung angelegte Lieferketten. Alles weit weg vom benötigten Paradigmenwechsel.

Die Grenzen des Ökosystems Erde lassen sich nicht wegdiskutieren: Das Artensterben findet in hohem Tempo statt. Der Stickstoffkreislauf ist überfordert. Die Bodenressourcen sind erschöpft. Noch mehr Pestizide und Dünger in die Böden einzubringen ist keine Option. Menschen aus ihren Regenwäldern für Sojafelder zu vertreiben ebenfalls nicht. Unser Klimasystem hat den tipping point wohl bald erreicht. Kann die Umkehr gelingen? Oder wird dieser Irrsinn, angetrieben durch das achtlose Essverhalten der globalen Mittel- und Oberschicht, fortgeschrieben?

SWISSAID arbeitet seit Jahren im globalen Süden. Die Erkenntnisse sind eindeutig. Die beschriebenen Methoden der Saatgut- und Agrarindustrie haben ausgedient. Sie behindern den Fortschritt und schaffen zu viele Verliererinnen. Es ist höchste Zeit, dass die Shareholder von Bayer und der Syngenta Group den Praktikerinnen aufmerksam zuhören.

Die Bäuerin in Nicaragua, Tschad, Myanmar und Indien weiss, wie sie ihre Kinder divers und gesund ernähren kann und gleichzeitig die Biodiversität schützt. Ein Anschauungsbeispiel sind die von den Bauern selbst verwalteten Saatgutsorten. Es geht ohne Patente und Gentechnologie.

Der Kampf für resiliente, ökologische und gerechte Ernährungssysteme hat eine lange Geschichte. Seit den 70er Jahren ist die kostengünstige, lokal angepasste, äusserst effektive Methode als «Agroökologie» bekannt. Damit die Transformation der globalen Ernährungssysteme gelingen kann, muss die UNO die Agroökologie aber endlich als grundlegend erklären.

Der Ausgangspunkt des agroökologischen Wissens ist die Bäuerin oder der Bauer selbst. Die Erfolgsfaktoren sind der Wissensaustausch, die fortlaufende Anpassung und Vermehrung des Saatguts unter den Bäuerinnen und Bauern, die Stärkung der Bodenfruchtbarkeit und der Diversität im Anbau, die Sicherung der lokalen Märkte sowie langfristiges und vernetztes Handeln. Dank der Digitalisierung sind heute im Vergleich zu vor 20 Jahren neue Möglichkeiten vorhanden, einen transparenten Austausch von Erfahrungswissen im lokalen wie im globalen Massstab zu bewerkstelligen.

In der Zukunft der neuen und intelligenten Ernährungssysteme dürfen die selbstbezogenen Geschäftsmodelle der Multis keine Rolle mehr spielen. Wenn sie sich ernsthaft gegen den Hunger und für eine gesunde Ernährung im Norden wie im Süden einsetzen wollen, müssen sie die zentrale Rolle der Bäuerinnen und Bauern anerkennen und sich den agroökologischen Erkenntnissen unterordnen.

Ein wichtiger Teil der Forschergemeinde in der Schweiz und weltweit hat deshalb offen zum Boykott des Welternährungsgipfels aufgerufen. Ihrer Ansicht nach bezieht der bisherige Prozess des Welternährungsgipfels die Betroffenen und deren Bedürfnisse zu wenig ein.

Es ist nicht zu spät. Die Schweiz soll mithelfen, den Welternährungsgipfel zu einem Erfolg zu machen und die UNO daran erinnern, dass ihre Legitimität auf der Einhaltung der Menschenrechte und der Verteidigung der Schwachen fusst. Gerade in der Schweiz haben Forschende in den vergangenen Jahren viel neues, agroökologisches Wissen erarbeitet und getestet.

Überdies ist die Schweiz mit der Bedeutung von Familienbetrieben als Pfeiler des Ernährungssystems vertraut. Die kleine Schweiz hat alle Voraussetzungen, eine wichtige Vorreiterrolle zu spielen. Die Agroökologie lehrt uns nämlich auch, dass es auf die Grösse nicht ankommt.

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