«Ein anständiges Einkommen für Kleinbauern? Die Tür steht offen»
Vom Welternährungssystem-Gipfel im September erhofft sich der Leiter der Syngenta Stiftung Verbesserungen für die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern: Mehr Einkommen, mehr Widerstandskraft. "Das ist schwierig – aber möglich", schreibt Simon Winter.
Die Vereinten Nationen (UNO) nehmen den Mund ziemlich voll: «Wir können für eine gerechte, widerstandsfähige Welt sorgen, in der niemand auf der Strecke bleibt». Der GipfelExterner Link soll dabei eine wichtige Rolle spielen – und sogar Fortschritte bei allen 17 UNO-Entwicklungszielen bewirken! Das wäre fantastisch. Aber wo fangen wir bei dieser Riesenaufgabe am besten an?
Wenn wir eine wachsende Weltbevölkerung unter den Bedingungen des Klimawandels satt machen wollen, müssen wir laut Uno unsere Ernährungssysteme ändern. Sie lädt daher am 23. September 2021 in New York zu einem Gipfel. SWI swissinfo.ch widmet dem Thema eine Serie.
Als Leiter der Syngenta Stiftung, die sich im Unterschied zu Syngenta nicht auf kommerzielle Landwirtschaftsbetriebe, sondern auf Kleinproduzierende konzentriert, liegen mir zwei Themen besonders am Herzen: Kleinbäuerinnen und Kleinbauern müssen besser verdienen und weniger krisenanfällig werden. («Resilienter», heisst das im Fachjargon). Kleine Höfe sind in vielen Ländern eine tragende Säule der Ernährungssysteme. Mit «klein» meine ich maximal zwei Hektaren gross – etwa eineinhalb Fussballfelder – aber meistens viel kleiner. Weltweit gibt’s rund 475 Millionen solche Höfe. Zusammen sorgen sie für Essen auf ein paar Milliarden Tellern. Wer verdient aber im Ernährungssektor miserabel? Häufig die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern. Sie gehören auch zu den Menschen, die am meisten unter dem Klimawandel leiden. Verbesserung tut in beiden Bereichen dringend not.
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«Weiter wie bisher ist bei der Welternährung keine Option»
Bei der kürzlichen VorbereitungskonferenzExterner Link zum Gipfel gab’s einen Workshop zu «living incomes» – sprich zur anständigen Entlöhnung, von der man leben kann. Was kam dabei heraus? Als Teilnehmer sehe ich jetzt eine offene Tür für Regierungen und Unternehmen. Schreiten sie mit handfesten Vorsätzen über die Schwelle, wird der September-Gipfel Früchte tragen. Der Weg ist jedenfalls frei für verbindliche Einkommensziele und die dafür nötigen Bündnisse. Diese könnten das Leben von Millionen schlecht bezahlter Arbeitskräfte grundlegend verändern.
Wichtig scheint mir hier festzuhalten, dass unsere Stiftung dies nicht im Interesse von Syngenta fordert. Wenn jene Kleinbäuerinnen, mit denen wir zusammenarbeiten, mehr Geld verdienen, hat Syngenta direkt nichts davon. Das zusätzliche Einkommen fliesst zuerst in Sachen wie Schulgebühren, Essen, eine weitere Ziege, vielleicht eine Bewässerungspumpe. Wenn dann wieder der Einkauf für den nächsten Aussaat ansteht, kommt die erschwingliche Auswahl im zehn Kilometer entfernten Mini-Agroladen nicht von Syngenta, sondern von zahlreichen lokalen Firmen.
Die Syngenta Stiftung ist eine Non-Profit-Organisation, die von Syngenta nach Schweizer Recht gegründet wurde. Die Stiftung konzentriert sich auf Kleinbäuerinnen und Kleinbauern mit noch wenig oder keinem Marktzugang, während Syngenta hauptsächlich mit kommerziellen Landwirten zusammenarbeitet. Die Stiftung ist mit dem Konzern eng verbunden, rechtlich aber ist sie unabhängig und hat einen eigenen Stiftungsrat.
Menschenwürdige Bezahlung in einem ganzen Sektor durchzusetzen, ist schwierig – aber machbar. Allerdings bringen auch die fleissigsten Anstrengungen dort nichts, wenn wir die Umwelt vernachlässigen. Hier bleibt die grösste Herausforderung der Klimawandel. Die kleinbäuerliche Landwirtschaft muss zunehmende Wetterschwankungen und ihre Folgen besser aushalten können. Viele Veränderungen können Abhilfe schaffen. Dazu zählen gesündere Böden, effizientere Ressourcennutzung, bessere Lagerung nach der Ernte sowie Versicherungen gegen Überschwemmungen oder Dürre. Für Kleinbauern muss auch schnell Geld dabei herausspringen. Sie haben kein Finanzpolster für «irgendwann». Rasche, nachhaltige wirtschaftliche Vorteile sind unabdingbar. Politische und kommerzielle Anreize helfen hier ebenso wie Fortschritte auf dem Feld.
Tönt das selbstverständlich? Ist es auch – für grosse Landwirtschaftsbetriebe in Industrieländern. Dort gehören Bodenanalysen, Kühlketten und Versicherungspolicen zum Alltag. Solche Betriebe erzielen meist ordentliche Umsätze, wenn auch zum Teil dank Staatshilfen. Für Millionen Kleinbauern gilt das aber nicht. Was steht dem im Wege?
Ein grosses Problem sind die schwachen Erträge. Kleinbauern fehlt oft der Zugang zu Betriebsmitteln wie Saatgut, sowie zu Dienstleistungen, Fachwissen und Beratung. Unsere StiftungExterner Link und ihre vielen Partner setzen sich hier stark ein. Wir sind gegen die oft ideologisch gefärbte Fehlannahme, dass Kleinbauern automatisch besser fahren ohne Zugang zu modernen Pflanzensorten, sprich Saatgut. Meistens ist genau das Gegenteil der Fall! Aber besserer Zugang allein garantiert noch kein nachhaltig anständiges Einkommen.
Meines Erachtens müssen die Global Living Wage CoalitionExterner Link und Gleichgesinnte vor allem zwei Hürden überwinden:
Zuoberst auf meiner persönlichen Liste steht die Politik. Für menschenwürdige Löhne bedarf es auch des passenden Rahmens. Sozial- und Arbeitsgesetze, steuerliche Entlastung und unternehmerische Initiativen spielen alle eine Rolle. Dafür müssen mehrere Ministerien zusammenarbeiten und auch Bauern, Gewerkschaften und Arbeitgeber um Rat bitten. Die praktische Umsetzung ist dann noch schwieriger – aber möglich!
Die zweite häufige Hürde ist der Marktzugang. Kleinbauern stehen als Verkäufer am schwachen Ende einer langen Versorgungskette. Vom Konsumentenpreis erhalten sie nur einen Bruchteil. Um das zu ändern, bedarf es kürzerer Wertschöpfungsketten und höherer Markttransparenz. Aber es braucht auch feste Verpflichtungen seitens der Käufer. Kleinbauern müssen mehr für ihre Produkte verdienen, als deren Erzeugung kostet – inklusive der Arbeitskraft.
Ich hoffe inständig, dass der Gipfel Verbesserungen in beiden Bereichen auslöst. Es gibt dort jedoch viele andere mögliche Prioritäten – sowie zahlreiche weitere Hindernisse auf dem Weg zu Ernährungssystemen, in denen «niemand auf der Strecke bleibt».
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