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Zwischen den Welten

Lisa (rechts) mit ihrer Schulkollegin Rebekah an der Textilausstellung in Sydney. swissinfo.ch

Klatsch und Tratsch statt Unterricht, eine spezielle "Bibelstunde" und Shopping, bis der Geldbeutel leer ist. Austauschschülerin Lisa (17) ist hin- und hergerissen und bewegt sich auf europäischen Spuren in Australien. (Teil 7)

Sie lebt zwischen zwei Welten.

Und schon startet wieder eine neue Schulwoche. Ups, ich habe völlig vergessen, meine Hausaufgaben zu lösen. Na ja, es kontrolliert sie ja sowieso keiner. Im Fach Kindererziehung ist die Lehrerin wieder einmal nicht da. Also gibt’s eine Klatsch- und Tratschstunde. Das Thema: Die Party vom letzten Samstag.

Man höre und staune: Jede Person, die dort war, wird durchgehechelt. Unglaublich, was man da alles zu hören bekommt! Auch ich werde nicht verschont.

Meine Gastschwester Jessica hatte mich schon vorgewarnt. Hier sollen öfters mal Gerüchte aus der Luft entstehen. Ich habe schon die unglaublichsten Dinge über Leute gehört und stehe solchem Geschwätz kritisch gegenüber.

Der Mensch dieser Welt ist eben sensationslüstern. Davon leben schliesslich auch die Medien! Doch so lange ich selber weiss, was ich tue, ist alles in Ordnung. Und: Auch beim «Schwatzen» lerne ich Englisch!

«Singend» nach Sydney

Ich habe übrigens eine tolle Gesangslehrerin gefunden, die mir Privatunterricht gibt. So kann ich dran bleiben, und meine Stimmbänder rosten nicht ein. Am letzten Mittwoch hatte ich die erste Lektion. Ich freue mich schon auf die nächste Gesangsstunde.

Am Freitag besuchten wir mit der Handarbeitsklasse eine Textilausstellung in Sydney, eine riesige Messe auf einem Areal, wo gewöhnlich Pferderennen stattfinden. Obwohl mich solche Exkursionen grundsätzlich wenig interessieren, verbrachten wir einen guten «schulfreien» Tag.

Da wir vor der Rückreise eine Stunde auf den Zug warten mussten, erlaubte uns unsere Lehrerin einen kurzen Besuch in einem Shoppingcenter. Ich habe noch nie in meinem Leben ein so grosses Einkaufszentrum gesehen! Ich glaube, eine Woche würde nicht genügen, um alles sehen zu können.

Lisa entdeckt Europa in Australien

Weil am Abend kein Bus mehr vom Schulort Lithgow nach Portland zu meiner Gastfamilie fährt, konnte ich bei meiner Schulkollegin Rebekah übernachten. Rebekah hatte mir schon vorher von ihrer achtköpfigen Familie erzählt. Ich war gespannt, sie alle kennen zu lernen. Ihr Vater holte uns vom Bahnhof ab.

Als wir etwa um 20 Uhr bei ihrem grossen Haus ankamen, hiessen mich Rebekah’s Mutter und Geschwister herzlich willkommen. Ich hatte Rebekah schon im Zug gefragt, ob sie nicht italienisches Blut habe. Meine Vermutung war richtig. Ihre Mutter ist Italienerin und ihr Vater Kroate.

Ihre Eltern wanderten nach Australien aus, als die Kinder noch klein waren. Deshalb erinnern sie sich nicht an Europa. Mama kochte uns Lasagne und Salat und setzte sich zusammen mit ihrem Mann zu uns an den Tisch, während wir die italienische Pasta verschlangen.

Wir führten gute Gespräche über verschiedene Länder und Sitten. Ich spürte das europäische Temperament und fühlte mich sofort wie zu Hause. Rebekahs Eltern würden so gerne einmal mit den Kindern ihr Heimatland Italien oder Kroatien besuchen, doch für die grosse Familie wäre solch eine Reise viel zu teuer.

Glücksgefühle ohne materielle Dinge

Nach dem Essen erhob sich Rebekah und sagte: «Lets go!» Ich wusste nicht wohin und wollte auch nicht nachfragen. Im Auto erklärte mir der Vater, dass wir an ein katholisches Treffen gingen. Da war ich aber gespannt.

Rebekahs Geschwister warteten dort bereits auf uns. Wir betraten eine kleine Halle, in der sich etwa 20 junge Leute eingefunden hatten. Wir bildeten zwei Teams und machten witzige Spiele. Sie erinnerten mich an die Lagerbesuchstage der Pfadi, als mein Bruder bei den Pfadfindern war.

Zum Schluss, etwa um Mitternacht, gabs Bonbons, und der Leiter las einen kurzen Text aus der Bibel. Ich bin zwar keine Kirchgängerin, doch dieser Abend gefiel mir. Ich konnte spüren, was diese Leute mit dem Treffen bewirken wollten: ein gemütliches Zusammensein, miteinander lachen und an kleinen Dingen Spass haben. Ein gutes Beispiel, dass Glücksgefühle nicht von materiellen Dingen abhängig sein müssen.

Am nächsten Tag fuhren wir wieder nach Sydney. Wir Austauschschüler besuchten dort einen Outletshop. Und dort gings dann wieder reichlich materiell zu und her. Wir verbrachten den ganzen Tag in den Einkaufsläden und kauften ein, bis unser Geldbeutel leer war.

Die Schule hat mich wieder, und eine schwierige Entscheidung naht: Welches Schulfach soll ich streichen? Denn im 12. Jahr der High School gibt es nur noch fünf Fächer. Der Mittwoch bleibt frei. Das ist zwar schön, doch bleibt mir erst einmal die Qual der Wahl.

swissinfo, Lisa Christen
(bearbeitet von Thomas Vaszary)

Lisa-Deborah Christen (17) lebt zusammen mit ihrer Mutter Elsbeth (53) und den Brüdern Albrecht (23) und Basil (20) in Hergiswil im Kanton Nidwalden. Vater Hans starb im Jahr 2000.
Lisa geht am Kollegium St. Fidelis in Stans NW zur Schule.
Während ihres Austauschjahres besucht sie zusammen mit ihrer Gastschwester Jessica die High School in Lithgow.
Anthony und Suzanne Coleman sind Lisas Gasteltern in Portland. Grant (19), Jessica (17), Mathew (6) und Daniel (4) sind ihre Gastgeschwister.

Die 17-jährige Lisa Christen aus Hergiswil NW geht für ein Jahr lang als Austausch-Schülerin nach Australien.

In Portland, New South Wales, 250 Kilometer von Sidney entfernt, lebt sie bei der Gastfamilie Coleman und besucht zusammen mit ihrer Gastschwester Jessica die Schule in Lithgow.

In ihrem Online-Tagebuch erzählt Lisa von ihren Erwartungen, Erfahrungen und Begegnungen mit den Menschen im Land ihrer Träume – jeweils samstags auf swissinfo.ch.

Wer mit Lisa Kontakt aufnehmen möchte, erreicht sie unter lisachristen86@gmx.ch.

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