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Sandoz-CEO: «Die US-Zölle schaden der Gesundheit»

Ein Mann
Gilbert Ghostine ist seit März 2023 CEO von Sandoz. Er ist ehemaliger Geschäftsführer des Genfer Unternehmens Firmenich. SWI swissinfo.ch / Thomas Kern

Gilbert Ghostine, CEO des Pharmakonzerns Sandoz, setzt sich kritisch mit den US-Zöllen auseinander und erklärt, wie wichtig es ist, bei der Herstellung bestimmter Medikamente nicht von China und Indien abhängig zu sein.

Pharmazeutische Produkte waren bisher von den neuen US-Zöllen ausgenommen, aber die Branche wird möglicherweise nicht lange verschont bleiben. Die Pharmaindustrie, einschliesslich der Produktion von Generika, könnte von Zöllen in Höhe von mindestens 25 Prozent betroffen sein.

Für ein Pharmaunternehmen wie Sandoz, das von engen Lieferketten und niedrigen Margen abhängig ist, bedeutet dies, dass es seine Strategie in den USA überdenken muss, was möglicherweise mit Preiserhöhungen einhergeht.

Gilbert Ghostine, CEO der Sandoz AG, nimmt am Hauptsitz in Basel Stellung zu den aktuellen Herausforderungen.

Geboren 1960: libanesische und kanadische Staatsbürgerschaft

Ein langjähriger Globetrotter: 20 Umzüge in den letzten 40 Jahren auf vier Kontinenten

Seit Februar 2023: Präsident von Sandoz

Seit Oktober 2022: Mitglied des Verwaltungsrats von Danone

Seit Juli 2022: Mitglied des Verwaltungsrats von «Four Seasons Hotels and Resorts»

2014-2023: Geschäftsführer des Aromen- und Riechstoff-Herstellers Firmenich mit Sitz in Genf

1993-2014: Zahlreiche Führungspositionen auf vier Kontinenten bei Getränkehersteller Diageo

2001: Advanced Management Program, Harvard Business School

1985: Master in Business Management, Saint Joseph University, Libanon

Swissinfo: Nehmen wir an, die US-Zölle – etwa für Generika, die aus der EU importiert werden – würden stark ansteigen, würden Sie dann Ihr Produktportfolio auf dem US-Markt ändern oder sogar reduzieren? Geschäftsführer Richard Saynor hat erklärt, dass einige Produkte vom US-Markt genommen werden könnten. Welche?

Gilbert Ghostine: Wir überprüfen unser Portfolio regelmässig, um die Wertschöpfung, die Verfügbarkeit von Medikamenten für Patientinnen und Patienten und die Zuverlässigkeit der Versorgung zu gewährleisten.

In einigen Fällen können bestimmte Produkte aufgrund von Faktoren wie Preiszerfall, steigenden Lieferkettenkosten oder veränderten regulatorischen Anforderungen wirtschaftlich nicht mehr tragbar sein. In diesem Fall könnten wir in Erwägung ziehen, einige unserer Geschäftsbereiche zu rationalisieren oder neu zu priorisieren.

Für die kommenden Jahre streben wir eine führende Position bei Biosimilars auf dem US-Markt an und haben die Einführung mehrerer neuer Produkte geplant.

Beobachten Sie einen Anstieg der Preise für Generika in den USA, auch wenn diese Preise nicht direkt von Sandoz festgelegt werden?

Wir lehnen die Einführung von Zöllen auf pharmazeutische Produkte ab, speziell auf Generika und Biosimilars, da diese zu Preiserhöhungen, einer Verringerung des Angebots sowie zu potenziellen Engpässen bei bestimmten Medikamenten führen könnten.

Wir sind der Ansicht, dass diese Zölle dem amerikanischen Gesundheitssystem nicht guttun, geschweige denn den Patientinnen und Patienten.

Ein Mann
Gilbert Ghostine beim Interview mit Swissinfo im Verwaltungsratssaal von Sandoz in der Nähe des Basler Bahnhofs. SWI swissinfo.ch / Thomas Kern

Glauben Sie generell, dass dieser Zollkrieg negative Auswirkungen auf Ihre Gewinnmargen haben könnte, nicht nur in den USA, sondern weltweit?

Angesichts der bereits bestehenden Zölle, die sich auf China konzentrieren und nur geringe Auswirkungen auf Kanada haben, können wir diese neuen Zölle im Rahmen unserer Prognosen für das Gesamtjahr absorbieren.

Darüber hinaus rechnen wir nur mit geringen indirekten Auswirkungen auf Seiten der Vertragshersteller – der Contract Manufacturing Organizations (CMO). Wir verfolgen die Entwicklungen genau und sind zuversichtlich, dass wir weitere Preismassnahmen bewältigen können.

Ist Ihnen bekannt, ob Generika von den Zöllen verschont werden könnten?

Ich bin ein ewiger Optimist und glaube, dass sich der gesunde Menschenverstand am Ende durchsetzen wird. Denn mit der Gesundheit der Bevölkerung lässt sich nicht spielen.

Unsere Teams in den USA werden regelmässig ins Weisse Haus eingeladen, um die Besonderheiten von Generika und Biosimilars zu erläutern. Diese Teams legen namentlich dar, dass der Aufbau einer Fabrik in den USA – wo wir derzeit nicht produzieren – drei bis fünf Jahre dauern würde. Rund zwei weitere Jahre müssten einkalkuliert werden, um bestimmte Genehmigungen zu erhalten.

Ich möchte betonen, dass die Verfügbarkeit von Generika von entscheidender Bedeutung ist, um der Bevölkerung den Zugang zu erschwinglichen Medikamenten zu gewährleisten.

Wir vertrauen auch den Schweizer Behörden, besonders dem Bundesrat, dem Staatssekretariat für Wirtschaft Seco und der Schweizer Botschaft in Washington; ihr Engagement ist vorbildlich, um gute Lösungen zu finden.

Schliesslich muss man auch die Bedeutung dieses ganzen Themas relativieren, denn die USA machen weniger als 20 Prozent unseres Gesamtumsatzes aus.

Unsere Debatte über die US-Zölle und deren mögliche Auswirkungen auf die Schweiz:

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Sandoz betrachtet die Verfügbarkeit von Medikamenten als eine ihrer Daseinsberechtigungen. Wovon hängt diese Verfügbarkeit ab?

Ein Schlüsselelement ist die Sicherheit der Versorgung mit Inhaltstoffen. In dieser Hinsicht war die Covid-19-Pandemie ein echter Weckruf für die westliche Welt, die sich ihrer Abhängigkeit von China und Indien bewusst wurde, speziell bei den Wirkstoffen.

Aus diesem Grund stellen wir nun alle Wirkstoffe für unsere Antibiotika und Biosimilars für die Märkte in Europa und den USA selbst in Österreich her. In dieser Sparte sind wir im Übrigen das einzige europäische Unternehmen, das so vorgeht.

Wie reagieren Sie auf Schwankungen bei der Nachfrage?

Das ist ein weiterer Schlüsselfaktor. Ein besonders strenger Winter führt beispielsweise zu einer aussergewöhnlich hohen Nachfrage nach Antibiotika. Aus technischen Gründen ist es nicht möglich, über Nacht einen Überschuss an Medikamenten zu produzieren.

Zusätzlich zu den Nachfrageschwankungen kann auch das Angebot schwanken. Im Jahr 2025 wird Sandoz in der Lage sein, alle geplanten Mengen zu produzieren, aber es könnte eintreten, dass einige unserer Konkurrenten weniger produzieren als geplant.

Aus diesen verschiedenen Gründen waren im vergangenen Jahr von den 1200 Produkten, die wir in der Schweiz vermarkten, etwa hundert nicht vorrätig.

Was kann man gegen chronische Engpässe bei Medikamenten tun?

Wir suchen in vielen Ländern in Zusammenarbeit mit den Behörden nach Lösungen, in der Schweiz mit dem Schweizerischen Heilmittelinstitut SwissmedicExterner Link.

Bei Lieferengpässen in der Schweiz können wir leider nicht ohne Weiteres Medikamente verwenden, die für ein EU-Land vorgesehen sind. Grund sind spezielle Vorschriften für Beipackzettel und Beschriftungen auf den Packungen.

Vielleicht könnte eine Lösung für dieses Problem darin bestehen, die Packungsbeilagen durch Strichcodes zu ersetzen.

Darüber hinaus erwerben einige Länder Sicherheitsvorräte für einige wichtige Medikamente – so auch die Schweizer Behörden – oder bitten uns, Vorräte für ihre Bevölkerung anzulegen.

Ein Mann hält ein Tablet in der Hand
Sandoz produziert nun in Österreich die Wirkstoffe für Biosimilars und Antibiotika für die Märkte in Europa und den USA. SWI swissinfo.ch / Thomas Kern

Wie steht es um die Verfügbarkeit Ihrer Medikamente im Globalen Süden, etwa in Afrika?

Jedes Land ist anders, und ich glaube nicht, dass eine allgemeine Aussage über einen ganzen Kontinent möglich ist. Wir behandeln alle Länder auf die gleiche Weise.

Natürlich variieren die Gesundheitssysteme, ihre jeweilige Regulierung sowie der Grad der wirtschaftlichen Entwicklung von Land zu Land sehr.

Zudem vermarkten wir unsere Produkte in bestimmten Märkten direkt, während wir in anderen über externe Vertriebspartner oder staatliche Behörden gehen.

Die Schweiz würde sich wünschen, dass Sandoz zur Gesundheitssouveränität des Landes beiträgt, aber das Unternehmen produziert gar nicht in der Schweiz. Sandoz hat sich jedoch dafür entschieden, in einigen Nachbarländern zu produzieren, auch wenn die Kosten dort höher sind als beispielsweise in Indien. Dafür erhält Ihr Unternehmen Subventionen von der EU. Erhalten Sie auch Zuschüsse aus der Schweiz?

Die Schweizer Behörden fühlen sich sehr wohl mit unserer Produktionsbasis, die sich zu 70 Prozent in Europa befindet, das heisst in Österreich, Deutschland, Slowenien und in geringerem Ausmass auch in Spanien.

An unseren europäischen Standorten gibt es Quoten und Produktionslinien, die für die Schweiz und andere Länder, einschliesslich der USA, reserviert sind.

In Kundl im österreichischen Tirol betreiben wir eine grosse Anlage, die alle Antibiotika einschliesslich ihrer Wirkstoffe für den europäischen Markt herstellen kann.

In den letzten drei Jahren haben wir dort 250 Millionen Euro investiert, um die Kapazitäten zu erweitern. 50 Millionen Euro davon haben wir von der EU erhalten, dank einer österreichischen Intervention, die von den Schweizer Behörden unterstützt wurde. Wir haben jedoch keine Subventionen aus der Schweiz erhalten.

Grafik Sandoz in Zahlen
SWI swissinfo.ch / Kai Reusser

In der Schweiz gibt es gewisse Anreize für den Kauf von Generika anstelle von Originalmedikamenten, aber der Erfolg dieser Anreize scheint begrenzt zu sein.

Bei den Medikamenten, deren Patentschutz abgelaufen ist, sind fast die Hälfte der in der Schweiz verkauften Medikamente Generika. Diese Quote steigt, da die Apotheken nun gleich viel Geld erhalten, unabhängig davon, ob sie ein Originalmedikament oder ein Generikum abgeben.

Im vergangenen Jahr wurden durch Generika über 600 Millionen Schweizer Franken eingespart. Dennoch liegt die Generikaquote in der Schweiz immer noch deutlich niedriger als in der Europäischen Union, wo sie 80 Prozent beträgt.

Sandoz legt grossen Wert auf Biosimilars, die als biologische Arzneimittel gelten, die mit Originalmedikamenten gleichwertig sind. Liegt der Grund für dieses Interesse in einem besonders hohen Mehrwert?

Historisch gesehen hat Sandoz 1996 sein erstes Biosimilar auf den Markt gebracht und damit eine neue Arzneimittel-Kategorie geschaffen. Bis 2024 sind wir in diesem Bereich um 30 Prozent gewachsen und sind heute mit einem Jahresumsatz von fast drei Milliarden US-Dollar Weltmarktführer.

Es stimmt, dass für uns die Entwicklung von Biosimilars aufgrund des hohen Mehrwerts dieser Medikamente eine Priorität darstellt.

Der Bereich der Biosimilars ist aber auch sehr komplex und beinhaltet hohe Eintrittshindernisse. Die Entwicklung eines Biosimilars erfordert Investitionen in Höhe von 200 bis 250 Millionen US-Dollar über einen Zeitraum von acht bis zwölf Jahren, die Durchführung zahlreicher klinischer Studien und die Zulassung durch die zuständigen Behörden.

Im Vergleich dazu kostet die Entwicklung eines Generikums «nur» drei bis fünf Millionen US-Dollar und dauert «nur» zwei bis drei Jahre.

Ist die Entwicklung von Originalmedikamenten angesichts Ihrer umfassenden Kompetenzen, speziell im Bereich der Biosimilars, der nächste Schritt von Sandoz?

Diese Stossrichtung kommt für uns nicht in Frage, denn das Wachstumspotenzial in unseren derzeitigen Sparten ist enorm. Durch das Auslaufen von Patenten für Originalpräparate wird in den nächsten zehn Jahren ein neuer Markt im Umfang von 500 Milliarden US-Dollar entstehen.

Natürlich warten wir nicht, bis ein Patent abgelaufen ist, um mit der Arbeit zu beginnen, und wir investieren jährlich fast eine Milliarde Dollar in unsere eigene Entwicklung und unsere regulatorischen Bemühungen.

Wenn wir lange vor Ablauf des Patentschutzes mit der Arbeit an Medikamenten beginnen, wissen wir natürlich nicht, ob und welche Konkurrenten an denselben Medikamenten arbeiten – daher birgt diese Entscheidung per definitionem ein Risiko.

Haben Sie Pläne für die Entwicklung von GLP-1, den beliebten Medikamenten zur Behandlung von Diabetes Typ-2- und zur Gewichtsabnahme?

Angesichts des Erfolgs dieser Medikamente stellt deren Produktion eine enorme Chance für Sandoz dar, und vor allem für Patientinnen und Patienten, die diese zu erschwinglichen Preisen erwerben wollen.

Infolge des bevorstehenden Ablaufs der Patente werden wir ab 2026 Versionen dieser Medikamente in einigen Ländern auf den Markt bringen: Kanada, Brasilien, Mexiko und Saudi-Arabien.

Wird Sandoz vermehrt in Niedriglohnländern produzieren, zum Beispiel in Indien, wo Sie starke Konkurrenz haben?

In Europa haben wir drei grosse Industrieparks, die über eine sehr lange industrielle Erfahrung verfügen und sehr gut in die Lieferketten integriert sind.

Diese Standorte sind sehr gross, so dass wir von Grössenvorteilen, einem geringen ökologischen Fussabdruck, einem hohen Automatisierungsgrad und höchster Qualität profitieren können.

Natürlich tragen diese Standorte zur europäischen Gesundheitssouveränität bei, zahlen lokal Steuern, beschäftigen viele Menschen und respektieren die Menschenrechte, einschliesslich der Sicherheit der Beschäftigten. All dies geschieht zur Zufriedenheit der europäischen Behörden.

Bei Ausschreibungen in Europa werden all diese Faktoren berücksichtigt, nicht nur der Preis. Daher werden wir auch weiterhin auf unsere Produktionsstätten in Europa setzen.

Unsere Vision ist es nicht, die Produktion an Standorte zu verlagern, wo die Kosten am niedrigsten sind. Gleichwohl muss ich anmerken, dass 30 Prozent unserer Produktion ausserhalb Europas erfolgt, auch in einer grossen Fabrik in Indien.

Ein Teil der Medikamente, die Sie vermarkten, wird von externen Unternehmen hergestellt. Wird sich dieses Phänomen verstärken?

Nein. Wir werden aber weiterhin 40 bis 50 Prozent unserer Produktion auslagern, da wir so flexibler auf Nachfrageschwankungen reagieren können.

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Editiert von Virginie Mangin/sj, Übertragung aus dem Französischen: Gerhard Lob/raf

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