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Historisches Lexikon, eine Geschichte mit Fortsetzung

Marco Jorio, Chefredaktor des Historischen Lexikons der Schweiz. Keystone

Am Dienstag legt die Schweizer Regierung dem Parlament die Zukunft des Historischen Lexikons der Schweiz (HLS) dar. Sie antwortet damit auf ein Postulat von Bruno Frick.

Ständerat Frick befürchtet, dass das HLS mit der Veröffentlichung des letzten Bandes verschwinden wird. Um sich auf den neusten Stand zu bringen, hat sich swissinfo mit dessen Redaktionsleiter Marco Jorio unterhalten.

Im November 2006 ist der fünfte Band des HLS herausgekommen. Damit ist nun mehr als ein Drittel des Werkes von insgesamt 13 Bänden verfügbar.

Die Arbeiten der Redaktion sind zwar nicht abgeschlossen, doch da 80% der Artikel bereits geschrieben sind, ist das Ende dieser langwierigen Aufgabe in Sicht. Die ersten Artikel wurden 1991 verfasst.

Nun stellt sich die Frage nach der Zukunft des Projekts. In einem von 17 weiteren Parlamentsmitgliedern mitunterzeichneten Postulat verlangt Ständerat Bruno Frick vom Bundesrat einen Bericht über die Zukunft des Lexikons.

Er fragt in seinem Vorstoss namentlich, was mit den 115’000 Artikeln geschieht, die in der elektronischen Ausgabe des Lexikons (e-HLS) gratis zur Verfügung stehen.

Im weiteren stellt Frick fest: “Die Zukunft des HLS ist meines Erachtens zusammen mit der Stärkung der Geisteswissenschaften in der Schweiz anzugehen.” Dies könnte durch einen langfristigen Umbau des HLS in eine Dokumentations- und Informationsstelle zur Schweizer Geschichte geschehen.

Um mehr über den gegenwärtigen Stand der Dinge zu erfahren, hat sich swissinfo mit Marco Jorio, dem Chefredaktor des HLS unterhalten.

swissinfo: Wie erfolgreich ist die elektronische Ausgabe des Lexikons?

Marco Jorio: Auf dem Internet sind bereits 55% der Artikel abrufbar. Die elektronische Ausgabe wird immer erfolgreicher. In den letzten zwei Jahren haben sich die Abrufe bereits verdreifacht.

Ein grosser Teil der Öffentlichkeit nutzt das e-HLS offenbar, um historische Informationen über die Schweiz zu erhalten.

swissinfo: Ein Vorteil der elektronischen Version ist natürlich, dass sie gratis ist, während jeder gedruckte Band fast 300 Franken kostet.

M.J.: Ja, aber ich denke, dass das nicht die einzige Erklärung ist. Wir stellen fest, dass eine ganze Generation – vor allem Junge und Personen mittleren Alters – sich grösstenteils über das Internet informieren.

Die elektronische Version, die keine Illustrationen hat, ist zur Zeit gratis. Da das Lexikon vom Bund finanziert wird, und damit von den Steuerpflichtigen, kommt die Investition diesen also teilweise wieder zugute.

swissinfo: Sie sagen, dass es zur Zeit gratis ist. Könnte sich das ändern?

M.J.: Das ist nicht auszuschliessen, aber gegenwärtig ist nicht vorgesehen, etwas dafür zu verlangen.

swissinfo: Muss man sich über die Zukunft dieser elektronischen Literatur Sorgen machen?

M.J.: Sicher. Parlament und Regierung haben beschlossen, die erste Etappe zu finanzieren, also die Veröffentlichung von dreizehn Bänden in drei Sprachen.

Was danach kommt, ist nicht bekannt. Das Schlimmste wäre, wenn der Bund sich nach der Veröffentlichung zurückzöge. Das würde das Ende der Datenbank bedeuten.

Und das wäre eine Dummheit. Es wäre, wie wenn man eine Brücke baute – wir sind eine Art Brücke zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit – und danach den Unterhalt des Baus einstellen würde. Die Investition von 100 Mio. Franken muss aber genutzt werden.

swissinfo: Die Idee des Postulats Frick ist es, aus dem HLS ein Informations- und Dokumentationszentrum für Geschichte zu machen. Was halten Sie davon?

M.J.: Im Prinzip ist es das schon. Das Wichtigste war zunächst, das Lexikon zu erstellen. Aber bereits 1987 hatte man die Idee, es in das Informationszentrum umzuwandeln, das wir seit 30 Jahren verlangen.

Dieses Zentrum würde das Lexikon schreiben und auf dem neusten Stand halten. Aber in der Geschichtsschreibung fehlen uns auch viele Instrumente, zum Beispiel ein neuer Schweizer Atlas, eine Datenbank mit Familiennamen oder eine regelmässige Veröffentlichung der Quellen.

Das Zentrum müsste sich also mit all den Lücken befassen, die in der Infrastruktur der Forschung fehlen, und die Resultate einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen.

swissinfo: Das Zentrum sollte auch die Geisteswissenschaften und die Geschichte wiederbeleben. Heisst das, dass diese Bereiche heute vernachlässigt werden?

M.J.: Das kann man den Zahlen entnehmen. Die Geisteswissenschaften, wo 60% aller Studierenden eingeschrieben sind, erhalten nur 20% vom Budget des Nationalfonds für wissenschaftliche Forschung. Der grösste Teil der Investitionen geht in andere Wissenschaften.

Wir sehen auch, dass die Forschung in den Geisteswissenschaften in der Schweiz im Vergleich zum Ausland nicht mehr an der Spitze steht. Es fehlt uns vor allem die Infrastruktur, dank der wir Informationen regelmässig zur Verfügung stellen können. Das gegenwärtige Angebot ist zu unregelmässig und zu zerstückelt.

swissinfo, Olivier Pauchard
(Übertragen aus dem Französischen: Charlotte Egger)

Das HLS in Zahlen:
Nach Abschluss 13 Bände in jeder Sprache
36’000 Artikel auf insgesamt rund 10’600 Seiten
8500 Illustrationen
Ende August waren 79,9% der Artikel geschrieben
Davon sind 58,2% auf dem Internet abrufbar
Für die Redaktion arbeiten:
40 Redaktorinnen und Redaktoren
2’500 Autoren und Autorinnen
120 wissenschaftliche Mitarbeitende
75 Übersetzer und Übersetzerinnen

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