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In Bern weiterhin kein Stimmrecht für Ausländer

In der Waadtländer Gemeinde Renens konnten die Ausländer im Februar 2004 zum ersten Mal abstimmen. Keystone

Kein Stimmrecht für Ausländer auf Gemeindeebene im Kanton Bern: Der Grosse Rat hat am Dienstag entsprechende Forderungen von linker Seite nach emotionaler Debatte einmal mehr knapp abgelehnt.

Das Kantonsparlament lehnte die beiden Vorstösse äusserst knapp mit 73 zu 77 Stimmen, respektive mit 73 zu 78 Stimmen ab.

In den vergangenen Jahrzehnten war die Einführung des Stimmrechts für niedergelassene Ausländer auf Gemeindeebene im Kanton Bern mehrfach Thema. Der letzte Versuch stammt aus dem Jahr 2005, wo das Parlament auf ein entsprechendes Geschäft schliesslich gar nicht eintrat.

Für Andreas Ladner, Professor für Schweizerische Verwaltung und Staatspolitik am Hochschulinstitut für öffentliche Verwaltung (IDHEAP) in Lausanne, ist die Ablehnung in Bern keine Überraschung.

Gegenüber swissinfo sagt er: «Diese Vorlage ist besonders in der Deutschschweiz umstritten und stösst immer wieder auf Ablehnung.» Die Westschweiz sei offensichtlich integrationsfreundlicher gestimmt.

Die Tatsache, dass die Vorlage in mehreren Kantonen des französischsprachigen Landesteils bereits eingeführt ist, erklärt Ladner mit der unterschiedlichen politischen Kultur.

«In der Westschweiz, wo in den Gemeinden eher eine repräsentative politische Kultur herrscht, ist die Hürde möglicherweise kleiner, den Ausländern das Stimm-und Wahlrecht zu geben als in der Deutschschweiz, wo der demokratische Entscheidungsprozess stärker ausgeprägt ist», sagt der Politologe.

FDP gab den Ausschlag

Zünglein an der Waage war die Fraktion der Freisinnig-demokratischen Partei (FDP), die sich gegen die Vorstösse aussprach, sehr zum Ärger der links-grünen Fraktionen. Maxime Zuber von der Sozialdemokratischen Partei (SP) hielt der freisinnigen Fraktion denn auch eine anderslautende Haltung der FDP Schweiz in dieser Frage vor.

«Es geht hier nicht um eine Grundsatzdebatte über das Ausländerstimmrecht, sondern um eine Frage der Gemeindeautonomie», betonte die Sozialdemokratin Monika Barth. Wer eine starke, innere Bindung zu seiner neuen Heimat habe, solle dort auch mitreden können, doppelte der Sozialdemokrat Ricardo Lumengo nach.

Unterstützt wurde die Forderung unter anderem von der Evangelischen Volkspartei (EVP) und den Grünen.

Zuerst Einbürgerung

Die Schweizerische Volkspartei (SVP), die FDP und die Eidgenössische Demokratische Union (EDU) hatten gegen die beiden Vorstösse mobil gemacht. Das Thema sei hinlänglich bekannt und bereits oft diskutiert worden.

Inhaltlich gebe es zum Thema nichts Neues, allerdings hätten sich inzwischen im Kanton die Machtverhältnisse verschoben, weshalb der Vorstoss jetzt wieder aufgewärmt werde, kritisierte Andreas Blank von der SVP.

Zuerst brauche es Integration, dann Einbürgerung und mit ihr das Stimmrecht. Dies sei für die SVP nach wie vor der richtige Weg. Dieser Haltung schloss sich neben der FDP auch die EDU an.

Kann Integration fördern

Von Kantonsseite waren im Vorfeld der Debatte positive Signale ausgesendet worden. Verschiedene Kantone hätten inzwischen das Ausländerstimmrecht auf Gemeinde- und teilweise auch auf Kantonsebene eingeführt, andere diskutierten darüber, wie in der Antwort auf die beiden Vorstösse zu lesen war.

Eingeführt haben es die Kantone Jura, Neuenburg, Waadt, Appenzell Ausserrhoden, Graubünden, Freiburg, Genf und Basel-Stadt.

Inwiefern die Integration durch mehr demokratische Mitsprache gefördert wird, ist umstritten. «Die einen sagen, das Wahl- und Stimmrecht sei ein Mittel, die Ausländer zu integrieren. Die andern, zum Beispiel die SVP, sagen, dass das Wahl- und Stimmrecht erst gewährt werden soll, wenn die Integration gelungen sei», fasst Ladner zusammen.

Der Politologe meint dazu: «Es ist sicher so, dass jemand, der die Möglichkeit hat, abzustimmen, sich stärker mit den politischen Problemen auseinandersetzt als jemand, der diese Möglichkeit nicht hat. Dies kann eine Integration fördern.»

swissinfo und Agenturen

Den Ausländern politische Rechte zuzugestehen gehört zu den alten Forderungen vor allem seitens der Linken.

Neuenburg war der erste Kanton, der Ausländern bereits 1850 auf Gemeindeebene das Stimmrecht gab. Doch blieb Neuenburg lange Zeit eine Ausnahme.

Bei seiner Gründung 1978 gewährte der Kanton Jura Ausländern das Stimmrecht in Gemeinde- und Kantonsangelegenheiten und auch das aktive und passive Wahlrecht auf Gemeindeebene.

Das Beispiel machte Schule, besonders seit dem Jahr 2000. Meistens fanden die Änderungen im Rahmen von Revisionen der Kantonsverfassungen statt.

Stimmrecht auf Gemeindeebene haben: Neuenburg, Jura, Appenzell Ausserrhoden (aber nur in 3 von 20 Gemeinden), Waadt, Graubünden (keine Gemeinde wendet es an), Freiburg und Genf.

Stimmrecht auf Kantonsebene: Jura, Neuenburg, Freiburg.

Aktives Wahlrecht auf Gemeindeebene: Neuenburg, Jura, Waadt, Freiburg.

Auf Bundesebene haben Ausländer nirgends politische Rechte.

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