
Fussfesseln: ungewisse Zukunft trotz positiven Erfahrungen

In verschiedenen Kantonen laufen seit mehreren Jahren Versuche mit elektronischen Fussfesseln. Die Erfahrungen damit sind positiv.
Trotzdem hat es der Bundesrat Ende Jahr abgelehnt, Electronic Monitoring als zusätzliche Strafvollzugsform gesetzlich zu verankern. Die Zeit dafür sei noch nicht reif, heisst es seitens des Bundesamtes für Justiz.
«Die Erfahrungen mit Electronic Monitoring sind durchwegs positiv», sagt Marianne Isenschmid, Co-Leiterin der Abteilung Bewährungshilfe und alternativer Strafvollzug des Kantons Bern.
Bern ist einer von sieben Kantonen, in denen seit mehreren Jahren Versuche mit Electronic Monitoring im Strafvollzug laufen: Die Kantone Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Tessin, Waadt und Genf haben diese alternative Strafvollzugsform 1999 versuchsweise eingeführt; 2003 auch Solothurn.
«Ganz klar Strafcharakter»
Ist Electronic Monitoring für die Delinquenten eine Strafe? Diese Frage taucht im Zusammenhang mit dem Einsatz von elektronischen Fussfesseln immer wieder auf. Marianne Isenschmid: «Electronic Monitoring hat ganz klar Strafcharakter. Die Fussfessel am Knöchel ist immer präsent. Und Electronic Monitoring stellt hohe Anforderungen an die Disziplin der Teilnehmenden, sie müssen ständig die Uhr im Auge behalten.»
Mit einer Fussfessel ist die Freiheit alles andere als grenzenlos. Hält sich die strafverbüssende Person nicht genau an den Tagesplan, wird vom Sender in der Fussfessel über ein Modem ein Alarm übermittelt.
Wer länger arbeitet oder im Stau steht, muss dies der Vollzugsstelle umgehend melden – ansonsten ist mit Sanktionen zu rechnen. Das heisst, die Freizeit kann eingeschränkt werden.
Electronic Monitoring als Chance
Gemäss einem Evaluationsbericht des interkantonalen Modellversuchs wird Electronic Monitoring als sozialverträglichste Vollzugsform bezeichnet.
Im Gegensatz zum Freiheitsentzug respektive zur Halbgefangenschaft wird die betroffene Person nicht aus ihrem Lebensumfeld gerissen. Und anders als bei der gemeinnützigen Arbeit würden sich für den Delinquenten die Problemfelder nicht ausweiten, sagt Isenschmid. «Electronic Monitoring bietet eine grosse Chance, die aktuelle Lebenssituation zu verändern. Dadurch können nachhaltig Rückfallrisiken gesenkt werden.»
So müsse beispielsweise ein Delinquent, der die Abende normalerweise in der Bar verbringt, plötzlich zu Hause eine Beschäftigung finden. Er müsse sein Leben neu organisieren, seine Gewohnheiten ändern.
Ein weiterer grosser Vorteil zur gemeinnützigen Arbeit oder zur Geldstrafe sieht Isenschmid darin, dass für Teilnehmende von Electronic-Monitoring eine soziale Begleitung vorgesehen ist.
«Zeit ist noch nicht reif»
Trotz positiver Bilanz der Versuchskantone – die auch auf die möglichen Kosteneinsparungen verweisen – hat sich der Bundesrat im Dezember 2007 dagegen entschieden, Electronic Monitoring im Strafvollzug gesetzlich zu verankern.
Der Bundesrat begründete seinen Entscheid mit dem revidierten Strafgesetzbuch, das Anfang 2007 eingeführt worden war. Damit wurden die kurzen Freiheitsstrafen, der Hauptanwendungsbereich für elektronische Fussfesseln, mehrheitlich durch Geldstrafen und gemeinnützige Arbeit ersetzt.
Zudem zeige der Widerstand der Kantone, dass die Zeit für eine definitive Einführung von Electronic Monitoring auf Gesetzesebene noch nicht reif sei, sagt Bernardo Stadelmann, Vizedirektor und Leiter des Direktionsbereichs Strafrecht im Bundesamt für Justiz.
Auch Kantone skeptisch
Nicht nur der Bundesrat zeigt sich skeptisch, sondern auch die Kantone: In der jüngsten Umfrage des Bundesamtes für Justiz hat sich eine Mehrheit der Kantone gegen die gesetzliche Einführung von Electronic Monitoring sowohl als Strafe oder Massnahme als auch als Vollzugsform ausgesprochen.
Es sei insgesamt zu aufwändig, so etwa der Kanton Schwyz. Der Kanton St. Gallen hält es für wenig sinnvoll, kurz nach der Revision des Straf- und Massnahmenrechts bereits wieder neue Formen einzuführen. Und gemäss dem Kanton Zug wird der Strafcharakter von Electronic Monitoring von Seiten der Justiz stark in Frage gestellt.
Ungewisse Zukunft
Der Bundesrat hat Ende 2007 die Versuche mit Electronic Monitoring zum dritten Mal verlängert. 2009 will der Bundesrat definitiv über die weitere Zukunft des elektronisch überwachten Strafvollzugs entscheiden.
«Wird Electronic Monitoring nicht gesetzlich als Hauptsanktion verankert oder als Strafvollzugsform beibehalten, entsteht eine Lücke. Electronic Monitoring würde in der Palette von Vollzugsmöglichkeiten fehlen», so Isenschmid. «In ganz Europa wird auf Electronic Monitoring gesetzt (Vgl. rechte Spalte). Es wäre schade, wenn sich die Schweiz trotz gutem Know-how und positiven Erfahrungen von dieser Strafvollzugsform abwenden würde.»
swissinfo, Corinne Buchser
Voraussetzung dafür sind Arbeit, Wohnung und Telefonanschluss. Die strafverbüssende Person muss zudem einen Kostenbeitrag von 20 Franken pro Tag leisten.
Die Fussfessel besteht aus einem Band mit einem Sender, auf dem das individuelle Wochenprogramm des Delinquenten erfasst ist.
Beim Electronic Monitoring reicht die Kontrolle des Individuums durch die Strafvollzugsbehörden bis in die Privatsphäre: Es wird genau festgelegt, wann die strafverbüssende Person zur Arbeit gehen und wann sie wieder zu Hause sein muss, wann sie einkaufen oder auswärts essen gehen darf.
Electronic Monitoring (EM) wurde 1980 in den USA eingeführt, um die überfüllten Gefängnisse zu entlasten. Heute verbüssen in den USA über 100’000 Kriminelle ihre Strafe mit elektronischen Fussfesseln.
Seit 2007 wird in den USA ein neuer Einsatz von EM getestet: Mit einem Sensor an der Fussfessel wird anhaltend geprüft, ob der Träger Alkohol im Blut hat. Auf diese Weise sollen Täter, die ihre Verbrechen unter Alkoholeinfluss begangen haben zur Abstinenz gezwungen werden.
In Europa wird die elektronische Fussfessel in den Ländern Schweden, Niederlande und Grossbritannien landesweit eingesetzt.
Das erste europäische EM-Programm startete 1989 in Grossbritannien. In Grossbritannien sind heute fast 30’000 Fussfesseln im Einsatz.
In Grossbritannien wird EM ansatzweise bei polizeilichen Massnahmen angewendet. Unter anderem setzen die Beamten EM bei einzelnen Hooligans ein, indem über diese während des Fussballspiels ein Hausarrest verhängt wird, der auf diese Weise kontrolliert und überwacht werden kann.
In der Schweiz haben seit 1999 über 2000 Personen ihre Freiheitsstrafen mittels Electronic Monitoring verbüsst.

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