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Kulturkrieg um Laubbläser: In Zürich entscheidet das Stimmvolk

Ein Mann entfernt Herbstlaub mit einem Laubbläser
Sollte die Vorlage angenommen werden, sollen benzinbetriebene Laubbläser in Zürich ganzjährig verboten werden, während der Einsatz von Elektro-Laubbläsern auf den Herbst beschränkt bleiben soll. Keystone / Alessandro Della Valle

Die grösste Schweizer Stadt wird am 28. September über strenge neue Regeln für Laubbläser abstimmen. Ist der ganze Lärm um diese Geräte gerechtfertigt?

Wenn es etwas gibt, das den Lärm von Laubbläsern übertrifft, dann ist es sicherlich der Lärm von Menschen, die darüber streiten. Von Meinungsartikeln bis hin zu Reddit-Kanälen werden die Geräte fast beeindruckend heftig attackiert – wegen ihres Lärms und ihrer Umweltbelastung – und verteidigt – wegen ihrer zeitsparenden Nützlichkeit.

Für einen Autoren des Wall Street Journal sind Laubbläser das «personifizierte Böse»Externer Link; für die Schauspielerin Cate Blanchett sind sie eine «Metapher für das, was mit uns als Spezies nicht stimmt»Externer Link.

In der Schweiz wurde das «weltweit berüchtigtste Elektrowerkzeug» (Washington Post) nun politisch. Die Stimmberechtigten in Zürich entscheiden am 28. September über ein neues GesetzExterner Link: Wird es angenommen, sind benzinbetriebene Laubbläser und -sauger auf Stadtgebiet das ganze Jahr über verboten, während elektrische Geräte nur in den laubreichsten Monaten von Oktober bis Dezember verwendet werden dürfen – sofern vorher keine Ausnahme genehmigt wurde.

Wie kam es dazu? Die Argumente der Gegnerinnen und Gegner von Laubbläsern sind klassisch: Die Geräte seien zu laut, wirbelten Staub, Bakterien und andere gefährliche Partikel auf, schädigten die Biodiversität und würden zunehmend nicht nur zum Entfernen von Blättern verwendet, wie vom Hersteller vorgesehen, sondern auch für das Wegblasen von Müll.

Benzinbetriebene Varianten verbrennen fossile Brennstoffe für Aufgaben, für die – so die Grüne Partei – eigentlich «Besen und Rechen» ausreichen würden.

Mehr als nur skurril?

So nahm das Thema den üblichen schweizerisch-politischen Weg: Linke Politikerinnen und Politiker im Zürcher Stadtparlament beantragten 2022 ein Verbot, die Regierung erarbeitete einen Gesetzestext, der Anfang 2025 debattiert, geändert und schliesslich angenommen wurde.

Rechte Parteien starteten daraufhin ein Referendum, um den Bürgerinnen und Bürgern das letzte Wort zu geben. Auf Stadtebene ist dies dasselbe Verfahren, das in der Vergangenheit auf nationaler Ebene auch Abstimmungen zu ungewöhnlichen Themen wie Absinth oder Kuhhörnern ermöglichte.

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Doch die Lage ist nicht so einfach. Während der Debatten im Stadtparlament schwenkte zum Beispiel ein rechter Gegner des Gesetzes mitten im Sitzungssaal einen elektrischen Laubbläser und wurde dabei mit dem argentinischen Präsidenten Javier Milei verglichen, der mit einer Kettensäge aufgetreten ist.

Zudem gab es Live-Vergleiche zwischen Haartrocknern und LaubbläsernExterner Link am Fernsehen.

Letztlich stiess die Abstimmung in den Medien auf ein ungewöhnlich hohes Interesse, wobei Journalistinnen und Journalisten nicht nur auf das skurrile Potenzial, sondern auch auf die grössere Bedeutung der so genannten «Laubbläser-Kriege» aufmerksam wurden, wie die Westschweizer Zeitung Le Temps sie nannte.

Die französische Zeitung Le Monde sieht in der Abstimmung einen kleinen Kampf in den globalen «Kulturkriegen» zwischen einem gutmeinenden urbanen linken Lager und dessen «anti-woker» Gegenreaktion.

Zürich – ein «nützlicher Seismograph für kleine schweizerische Erschütterungen» – wird seit Jahrzehnten von der Linken regiert, berichtet der Korrespondent von Le Monde in der SchweizExterner Link und fragt: Rächt sich die Rechte jetzt mit Referenden wie diesem?

Um dies zu veranschaulichen, zitiert er den Chefredaktor der Neuen Zürcher Zeitung, der Laubbläser zusammen mit Fleischkonsum und Autofahren zu den Zielscheiben eines «immer dichteren Netzes von Regeln, Verboten, Erwartungen und autoritären Empfehlungen» zählt, die von den Stadtbehörden erlassen werden.

Auch der Zürcher Gewerbeverband sieht das ähnlich: In seiner Ablehnung des Gesetzes beklagt er eine «grassierende Verbotskultur», die «unternehmerfeindlich» sei.

Das Boulevardblatt Blick listete das Gesetz sogar als Paradebeispiel dafür auf, was städtische und ländliche Mentalitäten in der Schweiz unterscheidet. Eine Regelung zur Einschränkung von Laubbläsern, schrieb der Blick – sei «typisch Zürich, oder?».

Kein Einzelfall

Ob die ganze Angelegenheit jedoch tatsächlich «eine der absurdesten Kontroversen» in Zürich darstellt, wie die NZZ kürzlich titelte, ist schwer zu beurteilen.

Befürwortende der Regelung betonten, dass Zürichs Laubbläser-Strategie keinen Sonderfall darstelle: Die zweitgrösste Schweizer Stadt, Genf, hat bereits ähnliche Regeln eingeführtExterner Link.

In den USA haben über hundert Städte benzinbetriebene Laubbläser verboten oder eingeschränkt; Kalifornien hat sämtliche benzinbetriebenen Gartengeräte gleich ganz abgeschafft.

Direktabstimmungen – wenn auch in kleinerem Rahmen – sind ebenfalls nicht ungewöhnlich: Im März 2025 kippten die Stimmberechtigten in Winter Park, Florida (30’000 Einwohnerinnen und Einwohner), ein Gesetz, das Laubbläser verbietet.

Unterdessen ist auch das Thema Lärm keineswegs nebensächlich. Die Schweiz ist nicht gerade als lautes Land bekannt. Die britische Daily Mail behauptete sogar einmal fälschlicherweiseExterner Link, dass man hierzulande nach 22 Uhr die Toilette nicht mehr spülen dürfe.

Aber die Schweiz besteht nicht nur aus friedlichen Alpentälern: Eine Studie von 2020 stellte fest, dass eine Million Menschen im Land in der Nähe ihrer Wohnungen unter schädlicher Lärmbelastung litt.

Die Zahl der Lärmbeschwerden nimmt zuExterner Link – namentlich wegen Verkehrslärm. Und die Gesundheitsrisiken würden «massiv unterschätzt», sagte eine Expertin im vergangenen Jahr gegenüber dem Schweizer Radio SRF. Massnahmen wie lärmmindernder Asphalt und Vorschriften gegen getunte Autos nehmen zu.

Eine laute Geschichte

Es ist auch nicht das erste Mal, dass in der Schweiz Volksabstimmungen über Lautstärken abgehalten wurden – und ebenso wenig das erste Mal, dass eine solche Abstimmung grössere politische Fragen aufgriff.

So beschwerten sich 2023 beispielsweise Neubewohnerinnen und -bewohner der bernischen Gemeinde Aarwangen über KuhglockenExterner Link, die sie nachts wachhielten. Daraufhin stimmten die Bürgerinnen und Bürger prompt einem Gesetz zu, das die historische und traditionelle Präsenz von Kuh- und Kirchenglocken im Ort anerkannte – «sowohl bei Tag als auch bei Nacht».

Der Fall wurde weithin als Symbol dafür gesehenExterner Link, wie sich manche ländliche Gebiete mit der Neudefinition ihrer Identität im Zug von Wachstum und Urbanisierung schwertun.

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Auf nationaler Ebene wurde 2008 in einer Volksabstimmung gefragt, ob laute Kampfflugzeuge der Armee – eine wiederkehrende Quelle von Ärger in der Schweiz – über Tourismusgebieten verboten werden sollten.

Die Idee wurde abgelehnt, doch eine Nachanalyse zeigteExterner Link, dass der Hauptfaktor für die Entscheide nicht der Lärm an sich war, sondern die allgemeine Haltung zur Schweizer Armee.

Die Abstimmung sorgte ausserdem für Kontroversen, als sich herausstellte, dass andere Interessen im Spiel waren: Franz Weber, dessen Stiftung die Initiative lanciert hatte, besass ein Hotel nicht weit entfernt vom Militärflugplatz Meiringen.

In jüngerer Zeit sind Feuerwerke ins Visier der direkten Demokratie geraten. Nachdem im vergangenen Jahr eine Volksinitiative eingereicht wurde, die den Verkauf von lauten Raketen und Knallkörpern verbieten will, werden die Stimmberechtigten in den kommenden Jahren über das Thema abstimmen; das Parlament berät derzeit darüber. Umfragen haben gezeigt, dass ein Verbot in der Bevölkerung auf breite Unterstützung stösst.

Zeitgeist-Abstimmungen

In Zürich hingegen, wo es vor der Abstimmung am 28. September keine Meinungsumfragen gibt, ist unklar, wie die Bürgerinnen und Bürger abstimmen werden. Die Stadt tendiert nach links – was sich auch in der Zusammensetzung ihrer Regierung widerspiegelt, sehr zum Missfallen der NZZ.

Doch dies ist nicht immer ein eindeutiger Indikator dafür, wie direktdemokratische Abstimmungen ausgehen. In einem Referendum im November 2024 zu einem weiteren klaren «Kulturkampf»-Thema fiel das Resultat zugunsten der Behörden aus, jedoch nicht überwältigend: 57% der Bevölkerung stimmten dafür, dass in amtlichen Mitteilungen weiterhin der Genderstern verwendet werden soll.

Editiert von Marc Leutenegger/ts, Übertragung aus dem Englischen mithilfe von Deepl: Christian Raaflaub

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Debatte
Gastgeber/Gastgeberin Zeno Zoccatelli

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