Ökostrom mit Gütesiegel
Ob der Strom von einem Atomkraftwerk oder von Sonnen-Kollektoren stammt, können Konsumenten kaum unterscheiden. Neue Gütesiegel sollen da Abhilfe schaffen - Umweltverbände haben am Donnerstag (26.07.) eine Bewertung der Labels vorgestellt.
Noch können Schweizer Haushalte nicht frei wählen, woher sie ihren Strom beziehen wollen. Doch die Liberalisierung des Elektrizitätsmarktes lässt sich wohl nicht aufhalten – auch wenn Gegner der aktuellen Vorlage die Strom-Markt-Liberalisierung zurzeit mit einem Referendum bekämpfen.
Klar ist: Strom ist nicht mehr bloss Strom. Um sich bereits heute auf dem Markt zu positionieren, haben die Produkte Namen erhalten, lanciert mit Plakat-Kampagnen und TV-Spots. Rolf Wüstenhagen, Ökonom an der Universität St. Gallen, sieht bereits Parallelen zur Strom-Markt-Liberalisierung in Deutschland.
Allerdings hätten dort die immensen Werbe-Investitionen nicht den gewünschten Erfolg gebracht. «Der grosse Teil der Konsumenten ist dem regionalen Verteiler treu geblieben. Nur mit erneuerbarer Energie konnte man sich ein Stück des Kuchens holen, allerdings ist das dennoch ein Nischenprodukt geblieben.»
In der Praxis haben bereits verschiedene grosse Strom-Anbieter entsprechende Produkte lanciert. So kennt beispielsweise die nordschweizerische Axpo neu das «prisma blue». Oder die bernischen BKW bieten ihre Wasserenergie unter der Marke «1to1 water star» an. «Es handelt sich dabei um Windenergie und einen Mix weiterer erneuerbarer Energieträger», erklärt René Hug, Marketing-Verantwortlicher bei den BKW.
Markt-Eroberung mit klingenden Namen
Noch strenger sind die Selektionskriterien bei der bündnerischen Rätia Energie: Das Unternehmen konzentriert sich künftig ganz auf erneuerbare Energien, auch bestehende Aktien von Atomkraftwerken will man abstossen. Trotz der unsicheren Zukunftsperspektive erklärt Giovanni Jochum von Rätia Energie gegenüber swissinfo: «Wir glauben an die Energie aus kleinen Wasserkraftwerken und wollen uns auch auf andere ökologischen Energieträger abstützen.» Die klingenden Namen dieser Produktion: «Pure Power Graubünden» und für den ausländischen Markt «Pure Power St. Moritz».
Neben verkaufsträchtigen Namen verlangen die Konsumentinnen und Konsumenten von «sauberer Energie» aber auch Transparenz: Die Produzenten müssen zeigen, dass ihr Strom auch wirklich von Solarpanels, Windgeneratoren und kleinen Wasserkraftwerken stammt. Dazu ist eine unabhängige Zertifizierung zentral.
Grosse Schweizer Anbieter nach deutschen Normen
Der Ingenieur und Energiefachmann Stephan Gasser hat die am Donnerstag vorgestellte Studie über Zertifizierungs-Systeme verfasst. Und er kam kurz und bündig zum Schluss: «Die aktuellen Zertifizierungen reichen für ökologische Produktion nicht aus. Es gibt substanzielle Unterschiede zwischen verschiedenen Standards.»
Die beiden grossen Schweizer Stromkonzerne Axpo und Atel orientierten sich nach deutschen Normen, so Gasser. Und dort genüge es zu garantieren, dass der Strom aus Wasserkraft stamme, um als nachhaltig zu gelten. «Doch in der Schweiz sind die Anforderungen höher, wir sind uns an Qualität ohne Kompromisse gewohnt.» Stichworte sind da etwa wirkliche Wasserkraftwerke, die nicht primär als Speicherseen für die Veredelung von Strom aus Kernkraftwerken dienen, oder auch genügende Restwassermengen beim Abfluss eines Stausees. An die Konstruktionsweise von Solarzellen können so ebenfalls gewisse Bedingungen gestellt werden.
Beim Schweizer Label «Naturemade star» haben Umweltverbände und Produzenten gemeinsam die Bedingungen ausgehandelt. In der nun veröffentlichten Analyse der Umweltverbände schwang denn dieses auch oben aus. Als Vergleichsgrösse dienten die Labels TÜV, Grüner Strom und Energievision. Doch die Ökovorteile haben Folgen: «Um das Zertifikat zu erhalten, werden wir unsere Produktion etwa um 10 Prozent reduzieren müssen, gleichzeitig sind die Kosten höher», betont Rätia Energie.
Nachfrage noch unklar
Es bleibt die Frage, ob die Konsumentinnen und Konsumenten denn auch bereit sein werden, einen höheren Preis für ihren Ökostrom zu bezahlen. «Man kann das mit den biologischen Nahrungsmittel vergleichen», sagt dazu Stephan Gasser. «Sobald in grösserem Stil ein Bioprodukt angeboten wird – zu einem akzeptablen Preis ohne Kompromisse – dann wird die Nachfrage spürbar steigen.»
Darauf spekulieren einige Energieproduzenten. Und sie gehen zurzeit davon aus, dass sie dereinst – nach der Öffnung des Strom-Marktes auch für Privatkunden – ein Stück dieses Kuchens werden einheimsen können. Und dafür wird eben bereits jetzt Werbung gemacht – frühe Kundenbindung als Investition in eine noch ungewisse Zukunft.
Daniele Papacella
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch