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Mit teurerem Benzin und Road Pricing gegen Stau

Ist Road Pricing die Antwort auf Staus? Keystone

Der Bund braucht mehr Geld für Ausbau und Unterhalt von Strassen und Autobahnen. Als Finanzierungsquelle kommt für den obersten Schweizer Strassenbauer eine Benzinpreiserhöhung und längerfristig das Road Pricing in Frage.

Spätestens 2015 wird der Bund die Mineralölsteuer anheben, was den Benzinpreis um 4 bis 7 Rappen pro Liter – der heutige Preis liegt bei knapp 1 Fr. 60 Rappen pro Liter – erhöhen wird. Dies sagte Rudolf Dieterle, Direktor des Bundesamtes für Strassen (Astra), in einem Interview mit der SonntagsZeitung (03.01.2010).

Das Problem bei den Strassen ist nicht nur, dass sie gebaut werden, sondern auch unterhalten werden müssen. Dazu fehlt in der Schweiz schlicht das Geld. Irgendwo muss es gefunden werden.

Heute wird das Schweizer Strassennetz finanziert durch die Mineralölsteuer, die jährliche Fahrzeugsteuer und die Autobahn-“Vignette”, die man jedes Jahr für die Benützung der Autobahnen bezahlen muss.

Aber die Gelder aus der Mineralölsteuer reichen nicht mehr aus, so wie das vor zehn Jahren der Fall war, als die Steuer eingeführt wurde. Zudem brauchen die Autos heute weniger Benzin. Künftig wird es auch mehr Hybrid- oder Elektrofahrzeuge geben, was keine Gelder aus Mineralölsteuern bringen wird.

Wie die Finanzierung der Strassen gesichert werden kann, ist für Astra-Sprecher Thomas Rohrbach eine politische Entscheidung. Regierung, Parlament und Stimmvolk müssten sich drei Fragen stellen, sagt er gegenüber swissinfo.ch. “Will ich nichts verändern? Das würde bis zu einem gewissen Punkt zu Verschlechterungen des Strassenangebotes führen. Bin ich bereit, mehr zu bezahlen, und wie? Oder drittens, will ich ein grundlegend neues System?”

Mobility pricing

Der “grundlegende Systemwechsel bei der Finanzierung”, wie ihn Astra-Chef Dieterle im SonntagsZeitung-Interview zur Sprache brachte, ist das Road Pricing, bei dem die Automobilisten nach gefahrenen Kilometern bezahlen müssen. “Dies nicht zusätzlich zum heutigen System, sondern einzig und allein nach dem Prinzip ‘wer fährt, zahlt’ – der Preis ist abhängig von Zeit und Ort”, präzisiert Rohrbach.

Der Astra-Sprecher betont, dass das Bundesamt Mobility Pricing lediglich als eine Möglichkeit vorschlage. “Technisch ist das kein Problem. Wir sprechen nicht von morgen. Das braucht Zeit, mehrere Jahre oder Jahrzehnte”, so Rohrbach. Zeit genug, um die Fragen wie das Monitoring der Strassenbenutzung zu lösen, wie man ausländische Autofahrer zur Kasse bitten soll, wie der Datenschutz gewährleistet werden kann.

Die Form des Pricing hat den zusätzlichen Vorteil, dass es wie ein Anreizsystem wirken kann. “Man könnte den Preis für die Mobilität variabel gestalten: Zu Stosszeiten müsste man zum Beispiel mehr bezahlen als zu anderen Verkehrszeiten. So würde der Verkehr mehr aufgeteilt”, so Rohrbach.

Anreizsteuer

Felix Walter, Partner von Ecoplan (Forschung und Beratung in Wirtschaft und Politik) und Direktor des früheren Nationalfonds-Forschungsprojektes “Verkehr und Umwelt”, schildert gegenüber swissinfo.ch die mögliche Wirkung, die Mobility Pricing haben könnte, wenn das System als Anreizsteuer angewendet würde.

Heute sind sich die Leute nicht bewusst, was ihre Mobilität für Kosten verursacht. Die Rechnungen für Fahrzeugversicherung und -steuer erhalten sie nicht an jenen Tagen, an denen sie ihre Fahrten machen. Eine Anreizsteuer dagegen könnte einen Einfluss haben auf die Arbeits- und Wohnortswahl. Telefon-, Videokonferenzen und Mailverkehr könnten billiger sein als das Arbeiten in einem Büro, sagt Walter.

Die Leute würden wieder vermehrt in den Städten leben oder an Orten mit guten öffentlichen Verkehrsmitteln, wenn das Pendeln weniger attraktiv würde. “Die Grösse der Wirkung hängt natürlich von der Höhe des Road Pricing ab. Aber generell wird es einen Trend in Richtung Re-Urbanisierung und eine Reduktion der wildwuchernden Stadtausbreitung geben”, so Walter.

Er betont, dass das System der schweizerischen Marktwirtschaft zur Folge hat, dass die Leute den vollen Preis bezahlen, für das, was sie benutzen. “Es ist wichtig, dass Preise nicht ökologich falsche Anreize geben sollten. Wenn man lange fährt und nur einen Teil der Kosten trägt, ist das ein falscher Anreiz.”

Heisse Kartoffel?

Das Road Pricing hat aber nicht nur Freunde. Ein Vorschlag der Landesregierung im Jahr 2007, der Städten und Agglomerationen Pilotprojekte ermöglichen sollte, wurde im Parlament von den rechtsbürgerlichen und Mitteparteien überfahren.

Der Wirtschafts-Dachverband Economiesuisse bezeichnete das Road Pricing als “unangebracht, teuer und ineffizient”. Ausserdem sehe die schweizerische Bundesverfassung explizit vor, dass Strassen gebührenfrei seien.

Rohrbach bestreitet, dass das Astra die Öffentlichkeit in Richtung Road Pricing steuern will. Doch sei es die Aufgabe des Bundesamtes, über mögliche Probleme zu informieren. Er glaubt, dass die Leute derzeit ungenügend über Road Pricing informiert sind.

“Wir arbeiten daran, damit wir wenigstens einige erste Antworten oder Fakten auf den Tisch legen können, sollte das Thema später einmal politisch aktueller werden.”

Julia Slater, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Englischen: Jean-Michel Berthoud)

Verschiedene Länder und Städte in Europa setzen bereits unterschiedliche Road-Pricing-Formen ein.

London und Stockholm reduzieren das Verkehrsaufkommen in ihren Zentren mit einer Überlastungssteuer.

Deutschland und Österreich besteuern Lastwagen für jeden auf Autobahnen gefahrenen Kilometer.

Die Niederlande planen ein umfassendes System für das ganze Land ab 2012.

Das Verkehrsministerium hat im letzten November einen Strategie-Bericht über neue Wege zur Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur vorgelegt.

Der Bericht fordert eine Mobilitätsabgabe für alle Verkehrsmittel. Diese soll einerseits die Verkehrsströme lenken und andererseits mittelfristig einen Ausgleich schaffen zur den sinkenden Mineralölsteuereinnahmen, weil Fahrzeuge Energie immer effizienter verbrauchen.

Der Bericht bezeichnet den Zustand der Infrastruktur als “gut”: Strasse, Schiene, Luft, Strom, Gas- und Telekommunikationsnetze arbeiten demnach zuverlässig und erreichen jeden Landesteil.

Allerdings wird die Nachfrage in den nächsten 20 Jahren weiter zunehmen.

Die Schweiz muss laut dem Bericht bereit sein, als “Infrastruktur-Hub” eine aktive Rolle innerhalb der Europäischen Union zu spielen.

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