Schaffhausen 75 Jahre nach der Bombardierung
Am 1. April 1944 bombardierten die Amerikaner statt Nazi-Deutschland irrtümlich die Schweizer Grenzstadt Schaffhausen. Wie wirkt dieses Bombardement heute nach? Ein Ortstermin am Tag des Jubiläums.
Warum an diesem 1. April 2019 um 11 Uhr die Kirchenglocken geläutet haben? Die meisten jungen Passanten in Schaffhausen, denen wir die Frage stellen, haben keine Ahnung. Ältere wissen es hingegen sofort: Vor 75 Jahren fielen Bomben über Schaffhausen.
Ob dies irrtümlich geschah oder mit Absicht, darüber gehen die Meinungen auch heute noch auseinander. In einer nicht repräsentativen Umfrage, die wir unter Flanierern in der Schaffhauser Altstadt durchführen, halten sich beide Ansichten etwa die Waage.
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Irrtum oder Absicht?
Auf Spurensuche
Sieht man Schaffhausen die Bombardierung heute noch an? Wir begeben uns auf Spurensuche.
Am Bahnhof sticht an einer Hausmauer ein Schild ins Auge – ein Denkmal für die über 40 Todesopfer der Bombardierung? Fehlanzeige: Die Gedenktafel erinnert daran, dass hier der philippinische Nationalheld José Rizal 1887 in einem Hotel genächtigt hat.
Von einer Gedenktafel für die Bombenopfer ist weit und breit nichts zu sehen, obwohl gerade hier, beim Bahnhof, besonders viele Menschen gestorben sind.
Der Historiker Matthias Wipf bedauert, dass es kein eigentliches Bombardierungsdenkmal in Schaffhausen gibt. «Es wurde damals zwar ein Wettbewerb ausgeschrieben und auch eine Plastik ausgewählt, aber der beauftragte Künstler brachte diese leider nie zu Ende», erzählt Wipf.
Nach dem Tod des Künstlers habe man zwei Statuen aus dessen Nachlass ausgewählt und längsseits des Münsters sowie im Kräutergarten des Klosters aufgestellt. Aber kaum jemand wisse, dass diese Statuen an die Bombardierung gemahnen, sagt Wipf und fügt an: «Schade.»
Die meisten Opfer sind auf dem Waldfriedhof begraben. Auch dort kein Hinweis. Auf der Tafel mit der Karte der weitläufigen Grabstätten sind die Gräber der Bombenopfer und das Denkmal nicht gekennzeichnet. Wir streifen eine halbe Stunde durch den Wald, vorbei an frischen Gräbern, historischen Grabsteinen und religiösen Statuen. Endlich entdecken wir einen Friedhofsmitarbeiter. «Die Gräber der Bombenopfer?», fragt er, kratzt sich am Bart und überlegt lange. Er wüsste es gern. Er weiss es nicht.
«I’m sorry»
In krassem Gegensatz zur schaffhausischen Ausblendung dieser Geschichte steht die Gedenkfeier, welche die Stadt an diesem 1. April organisiert: Mit viel Brimborium und nationaler Prominenz werden auf dem Friedhof Kränze niedergelegt.
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Kranzniederlegung am 1. April 2019
Später an der Gedenkfeier ist die Kirche voll mit älteren Leuten. Viele von ihnen haben das Bombardement miterlebt oder Angehörige verloren.
US-Botschafter Edward T. McMullen war da. Er sprach empathische Worte, zeigte sich aber wenig selbstkritisch. Er beschränkte sich darauf, die Geschehnisse nochmals zu skizzieren, die Rolle der Amerikaner als Befreier Europas herauszustreichen und zu sagen: «I’m sorry.»
Den eigentlichen Ärger – oder vielmehr die Blamage – liess er aus: Dass die Amerikaner es nämlich während etlichen Kriegs-Jahren nicht zustande brachten, ihre Piloten so weit zu bilden, dass diese die Schweiz von Deutschland hätten unterscheiden können. «Als man riesige Schweizerkreuze auf Hausdächer zeichnete und auf Feldern auslegte, um die Grenze zu markieren, wussten die Amerikaner oft gar nicht, was diese Kreuze bedeuten sollten, wie Befragungen internierter Piloten zeigten», so Wipf. Für die Amerikaner waren Schweizerkreuz und Hakenkreuz offenbar Hans was Heiri.
Den Amerikanern trotz allem dankbar
Wütend auf die Amerikaner sind die Schaffhauser und Schaffhauserinnen nicht. «Das waren sie nie», sagt Wipf. Man habe die USA immer als Befreier vom Nazi-Joch empfunden. «Die Bevölkerung konnte höchstens nicht verstehen, warum sich die Amerikaner in Geographie so schlecht auskannten und sogar markante Landpunkte wie Bodensee oder Rheinfall nicht lokalisieren konnten.»
Ähnliches zeigt sich auch in unserer kleinen Umfrage. Niemand äussert sich kritisch über die Amerikaner. Viele der älteren Generationen äussern sich vielmehr selbstkritisch: Die Schweiz habe eben viel Dreck am Stecken gehabt, weil sie Waffen an die Deutschen geliefert habe, so der Tenor.
Wir treffen auch auf einige Amerikaner und Amerikanerinnen, die in Schaffhausen die Frühlingssonne geniessen. Sie wollen sich nicht vor der Kamera äussern – von Schweizer Geschichte hätten sie keine Ahnung.
75 Jahre Bombardierung von Schaffhausen
Das Museum im Zeughaus SchaffhausenExterner Link zeigt ab dem 6. April die Ausstellung «Bomben auf Schaffhausen». Und im Museum zu AllerheiligenExterner Link findet vom 18. Mai bis 20. Oktober 2019 eine Sonderausstellung statt zum Thema «Kunst aus Trümmern. Schweizer Kulturspenden nach der Bombardierung Schaffhausens 1944».
Zum 75. Jahrestag erscheint zudem ein Buch des Historikers Matthias Wipf mit dem Titel „Die Bombardierung von Schaffhausen – ein tragischer Irrtum“.
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