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Harsche Kritik an Teilnahme von Lawrow an OSZE-Treffen

Keystone-SDA

Russlands Chefdiplomat Sergej Lawrow sorgt mit seiner Teilnahme an dem Ministertreffen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) auf Malta für heftige Kritik.

(Keystone-SDA) Die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock bezichtigte Lawrow nach dessen Auftritt in der ersten Sitzung «unerträglicher Lügen» zum Ukraine-Krieg. Ihr US-Kollege Antony Blinken stimmte mit ein und sprach von einem «Desinformations-Tsunami».

Lawrow hatte dem Westen zuvor vorgeworfen, für die Entstehung eines neuen Kalten Krieges verantwortlich zu sein. Dieser könne in ein «heisses Stadium» übergehen, sagte er. Zudem behauptete er, westliche Staaten hätten den Krieg in der Ukraine angefacht und die Kontrolle über die OSZE übernommen.

Lawrow warnte vor einer Zerstörung der OSZE, weil sie keinen Raum mehr gebe für die Lösung von Problemen. So hätte sie etwa eine Rolle spielen können bei der Untersuchung der Sprengung der Gasleitungen Nord Stream 1 und 2 von Russland durch die Ostsee nach Deutschland, sagte Lawrow bei der Sitzung. «Der Westen tut alles, was er kann, um ihre Existenzberechtigung zu untergraben», sagte er später auch vor Journalisten.

Während Lawrows Rede verliess Polens Aussenminister Radoslaw Sikorski den Saal. Im Vorfeld kündigte dieser an, nicht mit Lawrow an einem Tisch sitzen zu wollen. Mehrere Medien berichteten übereinstimmend, dass auch Vertreter Tschechiens, der Ukraine sowie der drei baltischen Staaten den Saal verliessen.

Lawrow erstmals seit 2021 in der EU

Es ist das erste Mal seit Beginn von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine vor annähernd drei Jahren, dass der russische Spitzendiplomat in ein EU-Land reist. Zuletzt war Lawrow Ende 2021 in einem EU-Land, auch damals zu einem OSZE-Ministertreffen. Als im Dezember 2022 die OSZE im polnischen Lodz tagte, verweigerte Warschau Lawrow die Einreise, obwohl die gegen ihn im Februar 2022 verhängten EU-Sanktionen kein Einreiseverbot bedeuten.

Die OSZE gilt als eines der wenigen Dialogforen der Sicherheits- und Demokratiepolitik, in denen westliche Vertreter mit Russland an einem Tisch sitzen. Im Gegensatz zu mehreren anderen europäischen Institutionen ist Russland aus der OSZE nicht ausgetreten. Moskau sieht die Organisation als Plattform, um eigene Positionen zum Krieg dort verbreiten zu können.

Baerbock mit scharfer Lawrow-Kritik

In ihrer Rede kritisierte Baerbock den russischen Aussenminister scharf für dessen Äusserungen. Zuvor stellte Lawrow das russische Massaker in dem Kiewer Vorort Butscha infrage und sprach von «Leichen, die fein säuberlich aufgelegt und drapiert wurden und der Welt dann von BBC-Korrespondenten präsentiert wurden».

Mit Blick auf die Arbeit der OSZE warf Baerbock Russland ein «zynisches Spiel» vor. «So wie Russland Bomben und Drohnen benutzt, um den Frieden und die Sicherheit in Europa ins Visier zu nehmen, so legt Putin die Axt auch an die OSZE an», sagte die Grünen-Politikerin vor Journalisten. Sie wolle Lawrow als Vertreter Russlands auf Malta nicht unkommentiert die Bühne überlassen.

Sybiha: Keine Kompromisse bei territorialer Integrität

Auch der ukrainische Aussenminister Andrij Sybiha nimmt an der zweitägigen Konferenz auf der Mittelmeerinsel teil. Sybiha sprach Lawrow in seiner Rede als «den Kriegsverbrecher an diesem Tisch» an, ohne ihn beim Namen zu nennen. «Unser Friedensplan lautet: Russland soll die Ukraine verlassen und uns in Ruhe lassen», sagte er. Sybiha betonte: «Es wird keine Kompromisse bei unserer territorialen Integrität, Souveränität oder zukünftigen Sicherheit geben.»

Bereits im Vorfeld der Konferenz regte sich unter einigen der 57 OSZE-Mitgliedsstaaten Widerstand gegen den Lawrow-Auftritt. Einige Länder erklärten zuvor, ihre Minister würden aus Protest nicht an dem Treffen teilnehmen. Die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sorgten am Abend vor dem Treffen dafür, dass der Sprecherin des russischen Aussenministeriums, Maria Sacharowa, das Visum zur Einreise entzogen wird.

OSZE steckt in tiefer Krise

Seit Beginn des Kriegs in der Ukraine steckt die Organisation in einer tiefen Krise. Russland hat sein Veto gegen mehrere wichtige Entscheidungen eingelegt, die einen Konsens erfordern. Die anderen Mitgliedsstaaten werfen Moskau vor, die Arbeit der OSZE zu unterwandern und zu blockieren.

Seit drei Jahren wird der Haushalt der Organisation nur provisorisch verwaltet. Ausserdem sind die vier Spitzenposten der OSZE, darunter die des Generalsekretärs, seit September vakant. Die Mitgliedsstaaten konnten sich nach Helga Schmids Amtszeit nicht auf eine ordentliche Nachfolge einigen.

Das Treffen auf Malta dauert zwei Tage. Am Freitag wird eine Entscheidung zum Haushalt sowie eine Einigung zu den vakanten Top-Posten erwartet.

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