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2009 – Jahr der Image-Schäden

Hans-Rudolf Merz 2009: Zwischen Imageschaden, Fauxpas, Alleingang und Auftragstreue. Keystone

Obschon auf der ganzen Welt bekannt als Land der Neutralität, des Friedens und entsprechend friedlicher Konfliktlösungen, musste die Schweiz 2009 ein weiteres kontroverses, mit Negativ-Schlagzeilen gespicktes Jahr einstecken.

In den vergangenen zwölf Monaten war die Schweiz einem oft peinlich anmutenden Reputationsverlust ausgesetzt.

Dabei ging es in erster Linie um Negativschlagzeilen in den Bereichen Steueroasen-Vorwurf, UBS-Schlammbad, endloses Libyen-Drama und zuletzt noch Minarettverbot.

Dabei zeigte sich, wie stark die Schweiz fast von allen Seiten in die Kritik genommen wurde. Doch schliesslich scheint sie es, nach eigenen verärgerten Ausschlägen und Anstössen, geschafft zu haben, eine gerade Linie durch den Sand zu ziehen.

Auch für andere Länder war 2009 kaum ein einfaches Jahr – besonders für jene nicht, deren Finanzkrisen-Schmerzen im Verlauf der Monate in einen allgemeinen Wirtschafts-Rückgang ausliefen.

Im Februar geriet der Schweizer Finanzplatz in einen weiteren Strudel, als die Grossbank UBS ihren US-Kunden und US-Doppelbürgern die bisherige Unterstützung in der Steuerumgehung entzog.

Mit dem Bezahlen einer Busse von 819 Mio. Franken folgte sie dem US-Befehl, das Schweizer Bankgeheimnis zu verwässern, und überliess den US-Behörden die Namen von Tausenden ihrer US-Kunden.

Gleichzeitig wehrte sich der Bundesrat, die Schweizer Regierung, gegen Attacken der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) und der G-20-Staaten, die sich über die Rolle der Schweiz als Steueroase beschwerten (Schwarze und Graue Listen).

Libyenkrise

Bundesrat Hans-Rudolf Merz, 67, gleichzeitig Finanzminister und Bundespräsident, war doppelt gefordert: So fielen sowohl die Steuerbegehren als auch die Finanzplatz-Herausforderungen ohnehin in seinen Bereich.

Und er hatte gerade noch Zeit, um sich all diesen Begehren zu beugen, als sein Treffen mit dem iranischen Präsidenten Ahmadinedschad in Genf zum Fauxpas geriet.

Es brach auch gleich der nächste Krisenherd auf, der Merz als Repräsentant des gesamten Bundesrats gegen aussen forderte: Zwei Schweizer Geschäftsleute wurden in Libyen festgenommen – und sitzen seither dort als Geiseln fest.

Merz sah sich zu einer Entschuldigung gezwungen: Es ging um die 2008 in Genf erfolgte Festnahme eines Sohns des libyschen Herrschers Gaddafi – die Geiselnahme der Schweizer war als Vergeltungsmassnahme gedacht.

Doch die Entschuldigung nützte nichts – die beiden Schweizer sitzen bis heute in Libyen fest. Die Schweizer Medien legten die Entschuldigung von Merz jedoch als Schwäche aus – und der Bundespräsident geriet unter starken Druck (Alleingang nach Tripolis).

Derweil provozierte der damalige deutsche Finanzminister im Indianer-Jargon, in Italien kam es zu Razzien gegen Schweizer Banken und neuerdings benutzt Paris Bankkundenlisten aus dubiosen Quellen als Druckmittel.

Polanski-Querschläger und Minarett-Aufschrei

Weitere negative Schlagzeilen folgten auf die Verhaftung des bekannten Filmregisseurs Roman Polanski, auf Grund eines seit langem ausgestellten Haftbefehls der US-Behörden. Polanski hatte deshalb die USA lange nicht mehr betreten, reiste innerhalb Europa aber frei herum, bevor die Schweiz plötzlich dem Ansinnen der USA doch noch entsprach und ihn festnahm.

Der Umstand, dass die Schweiz mit den USA ein bilaterales Auslieferungsabkommen abgeschlossen hat, hielt die öffentliche Meinung der internationalen Kulturszene nicht davon ab, mehr als nur die Augenbrauen hoch zu ziehen. Besonders in Frankreich, dessen Nationalität der Doppelbürger Polanski auch besitzt, war die Entrüstung gross.

Polanski befindet sich zur Zeit weiterhin in Hausarrest in seinem Chalet in Gstaad, und das Auslieferungs-Prozedere nimmt derweil seinen Lauf.

Doch die gedämpfte Kritik wegen dem Schweizer Verhalten im Fall Polanski war nichts im Vergleich zum weltweiten Aufschrei, nachdem das Schweizer Stimmvolk Ende November die Volksinitiative für ein Minarettverbot gut hiess.

Die internationalen Medien nannten den Entscheid «intolerant», «absurd» und sogar «rassistisch», und die arabische Presse brachte sogar noch kritischere Schlagzeilen.

Heidi immer mehr eine Fiktion

Doch Martin Hofer von der Schweizer Tochter der internationalen PR-Agentur Burson Marsteller drängt die Schweizer, sich des romantischen Heidi-Landesimages zu entledigen und auf den Boden der Tatsachen zu gelangen.

«Dieses Jahr ist ein grosser Teil der Bewunderung für das saubere Image der Schweiz verloren gegangen», sagt er gegenüber swissinfo.ch.

«Die Welt versteht die Schweiz einfach nicht mehr, weil das schöne Bild, das man im Kopf hatte, verloren gegangen ist. Andererseits war es unrealistisch, in erster Linie derart stereotypische Bilder über ein Land zu haben wie Berge, Landschaft und Effizienz.»

Die Welt ausserhalb der Schweiz sollte in die Verpackung hineinschauen und lernen, wie das Land, vor allem wie die direkte Demokratie, wirklich funktioniert. Erst dann werde man im Ausland verstehen können, wie Land und Leute in der Schweiz wirklich funktionierten.

Doch hat die Schweiz im zu Ende gehenden Jahr auch gezeigt, dass sie nicht immer eine hilflose Zuschauerin ist, sondern manchmal auch die Zähne zeigen kann.

So wurde ein neu ausgehandeltes Doppelbesteuerungs-Abkommen mit Italien, das vom Parlament in Bern ratifiziert werden musste, auf Eis gelegt, nachdem Roms aggressive Steueramnestie die Schweiz irritiert hatte.

Dasselbe passierte mit Frankreich, nachdem die Behörden in Paris gestohlene Kundenlisten nutzten, um das Bankgeheimnis zu brechen.

Alleingang-Mentalität

Kürzlich publizierte die Schweiz ein Strategiepapier zur Steuerdiskussion. Darin steht, dass die Schweiz auf keinen Fall den automatischen Informationsaustausch über Bankkunden mit anderen Ländern akzeptieren würde. Dies wurde als genügendes Zugeständnis ans Ausland erachtet.

Dazu kommt, dass die internationalen Attacken die Entschlossenheit bei zahlreichen Leuten noch verstärkt hat, ihren Willen mit Hilfe von Volksinitiativen kund zu tun, obschon solche Urnengänge Empfindlichkeiten im Ausland hervorrufen, ganz zu schweigen vom Inland.

So hat eine Umfrage der Universität Zürich im Dezember gezeigt, dass weiterhin fast drei Viertel der Schweizer Befragten das Bankgeheimnis als ausdrücklich bis mässig schützungswert erachten.

Doch Hofer warnt vor den möglichen Folgen, wenn sich die Schweiz derart in die Verteidigung ihrer Souveränität gegen Einflüsse von aussen verbeisst.

«Vielleicht müsste die Schweiz ihren Platz in der Weltgemeinschaft neu definieren», so Hofer. «Wenn andere Länder uns nicht mehr unterstützen, wenn wir sie brauchen, ist das vielleicht eine Folge des Umstands, dass die Schweizer vermehrt den Alleingang proben.»

Matthew Allen, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Englischen: Alexander Künzle)

Im Februar gab die UBS zu, ihrer US-Kundschaft bei der Umgehung von Steuern geholfen zu haben, und zahlte 780 Mio. Dollar Busse. Die US-Steuerbehörde verlangte darauf Tausende von Namen von UBS-Kunden.

Im April wurde die Schweiz von der OECD auf eine «Graue Liste» von unkooperativen Steueroasen gesetzt, zusammen mit anderen Staaten. Daraufhin revidierte die Schweiz ihre Doppelbesteuerungs-Abkommen, und wurde im September von der Liste genommen.

Im Juli hielt das Gaddafi-Regime zwei Schweizer Bürger fest. Vorwurf: Visa-Vergehen. Im August entschuldigte sich Hans-Rudolf Merz für die Verhaftung von Hannibal Gaddafi 2008 in Genf. Doch der Kniefall genügte dem libyschen Herrscher noch nicht, um die zu Geiseln gewordenen Geschäftsleute freizulassen.

Ebenfalls im August lieferte die Schweiz den US-Behörden 4450 Namen von UBS-Kunden aus, um zu vermeiden, dass die Bank vor Gericht landete.

Dieser «Deal» wurde als tonangebender Kompromiss in Sachen Bankgeheimnis-Gesetze erachtet.

Im September wurde Filmregisseur Roman Polanski in der Schweiz verhaftet, als er das Zürich Film Festival besuchen wollte. Er befindet sich jetzt in Hausarrest, und das Auslieferungsprozedere für die USA ist im Gang.

Ende November hat das Schweizervolk überraschend klar eine Volksinitiative zum Verbot von Minaretten angenommen. Das Nachspiel zu diesem Entscheid wird noch lange dauern. Auch der Europäische Gerichtshof wurde angerufen, wegen der Frage, ob mit diesem Entscheid Menschenrechte angegriffen werden.

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