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Barbara Gysi: «Auslandschweizer sind eine Art Botschafter für unser Land» 

Barbara Gysi auf einem Balkon des Bundeshaus.
Die SP-Nationalrätin Barbara Gysi vertritt in der parlamentarischen Freundschaftsgruppe «Auslandschweizer» die Interessen der Fünften Schweiz im Parlament. Swissinfo/Claire Micallef

Kinderrenten, Sozialversicherungen und die doppelte Staatsbürgerschaft: Die SP-Nationalrätin Barbara Gysi setzt sich im Bundeshaus für die Interessen von Schweizer:innen im Ausland ein – und fordert ein stärkeres aussenpolitisches Profil der Schweizer Regierung.  

Barbara Gysi, seit 2011 SP-Nationalrätin des Kantons St. Gallen, präsidiert die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats. Neben den Themen Gesundheitsversorgung, Klimapolitik und Gleichstellung setzt sich die 61-Jährige als Mitglied der parlamentarischen Freundschaftsgruppe «Auslandschweizer» für die Anliegen der Fünften Schweiz ein.  

Die Fünfte Schweiz im Bundeshaus: Im Gegensatz zu Frankreich oder Italien, die ihren im Ausland lebenden Bürgerinnen und Bürgern Wahlkreise einräumen, haben die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer keine direkte Vertretung unter der Bundeskuppel.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass ihre Interessen nicht berücksichtigt werden. Mehr als 60 Mitglieder von National- und Ständerat (von 246) sind in der parlamentarischen Freundschaftsgruppe «Auslandschweizer» versammelt.

In jeder Sessionswoche lassen wir einen von ihnen in unserem neuen Format «Die Fünfte Schweiz im Bundeshaus» zu Wort kommen.

Swissinfo: Welches Geschäft hat für Sie während dieser Session Priorität?  

Barbara Gysi: Im Zentrum stand für mich die Vorlage zum Bundesgesetz über die Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, bei der es um Leistungen für Betreuung und Hilfe zuhause ging, was das selbstbestimmte Wohnen stärkt. Externer Link Dann das Tabakproduktgesetz, das die Volksinitiative «Kinder und Jugendliche ohne Tabakwerbung» umsetzt, sowie die Klimafonds-Initiative der SP und der Grünen. Aktuell erleben wir mit der Verwüstung von Blatten wieder sehr dramatisch, wie wichtig ausreichende Massnahmen sind. Ich verstehe daher nicht, warum eine Mehrheit des Parlaments die Initiative wohl ablehnen wird.  

Gibt es spezifische Themen, die für Auslandschweizer:innen besonders relevant sind?

Ich denke hier weniger an ein spezifisches Sessionsgeschäft, sondern vielmehr an die Rolle der Schweiz in der Welt und ihre Zusammenarbeit mit internationalen Gremien. Soll es ein Freihandelsabkommen mit den USA geben? Wie gehen wir mit dem Zollstreit um? Wie agiert die Schweiz angesichts der weltweiten Krisen mit Kriegen und Hunger, soll die Armee aufgestockt werden?  

Also vor allem Themen im Zusammenhang mit dem aktuellen Weltgeschehen?

Genau. Zusätzlich gibt es spezifische Fragen, die für Schweizerinnen und Schweizer im Ausland sehr relevant sind, zum Beispiel wie sie sich über unser Krankenversicherungsgesetz versichern können oder Fragen zu den Renten. 

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Wie sehen Sie die Rolle der Schweiz heute in der Welt?  

Meines Erachtens sind wir leider in Rücklage. Ich wünsche mir ein viel offensiveres Vorgehen des Bundesrats in Bezug auf den Gazakrieg. Dieses Wegducken finde ich problematisch. Überall, wo das Völkerrecht verletzt wird, müsste auch die Schweiz aktiver sein.

Wir sind Mitglied der UNO, beherbergen viele internationale Organisationen in Genf, sind Depositarstaat für viele völkerrechtliche Verträge; damit kommt der Schweiz eine andere Rolle zu. Diese müssen wir aktiver wahrnehmen, ohne uns dabei einseitig auf eine Seite zu schlagen.

Beim Zollstreit mit den USA ist die Haltung des Bundesrats meiner Meinung nach zu angepasst, anstatt sich in der internationalen Gemeinschaft stärker zusammenzuschliessen.  

Sie sind Mitglied der parlamentarischen Freundschaftsgruppe «Auslandschweizer». Woher kommt ihr Engagement für die Fünfte Schweiz?  

Ich habe Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer in meiner Familie: Mein Bruder lebt zusammen mit seiner Frau im Ausland, eine Cousine ist vor vielen Jahren nach Kanada ausgewandert, genauso wie eine Grosstante von uns. Umgekehrt kam meine Grossmutter aus dem Schwarzwald in die Schweiz. Wie in vielen Schweizer Familien ist Migration somit Teil meiner Biografie.  

In der Politik haben mich zudem Fragen rund um die Sozialversicherungen näher zu den Schweizerinnen und Schweizern im Ausland gebracht, obwohl es dabei natürlich auch um die Menschen in der Schweiz geht.  

Welche Erfolge konnten Sie mit Ihrem Engagement für die Schweizer:innen im Ausland erzielen? 

Keine einfache Frage, weil es immer wieder darum geht, die Bedingungen für Auslandschweizer:innen einzubringen oder zu verbessern. Wichtige Erfolge konnten wir bei der AHV erreichen. Zudem gibt es Fortschritte beim E-Voting und Verbesserungen bei der sozialen Absicherung. Hier ist die 13. AHV-Rente sehr wichtig, denn sie kommt auch Auslandschweizer:innen zugute, da sie ins Ausland exportiert wird.   

Das Wichstigste ist, dass wir den Fokus auf die Anliegen der Auslandschweizer legen können. Sie repräsentieren uns schliesslich auch im Ausland. Jeder Auslandschweizer und jede Auslandschweizerin ist eine Art Botschafter für unser Land. 

Welcher Erfolg bedeutet Ihnen am meisten?

Das ist bei den Sozialversicherungen. Es ist uns gelungen, Verschlechterungen für Auslandschweizerinnen und -schweizer beim Bezug von Ergänzungsleistungen abzuwenden. Bei solchen Erfolgen muss das Anliegen breit abgestützt sein und Unterstützung aus mehreren Parteien kommen. Hier sind die Kontakte beispielsweise zur Auslandschweizer-Organisation sehr hilfreich. 

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Gab es auch Rückschläge? 

Derzeit beschäftigt mich stark, dass im Nationalrat rechtsbürgerliche Kreise durchgesetzt haben, die AHV-Kinderrenten zu streichen. Sie argumentierten, dass viele dieser Kinderrenten ins Ausland fliessen. Das ist eine klare Leistungskürzung zulasten von Kindern. 

Sind die Interessen der Auslandschweizer:innen im Bundeshaus Ihrer Meinung nach genügend vertreten? 

Sie sind mehr oder weniger gut repräsentiert, bei spezifischen Themen werden ihre Anliegen ganz konkret aufgenommen. Aber es hat noch Luft nach oben.  

Es gibt auch Stimmen, die sich negativ gegenüber Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern äussern, etwa beim Thema doppelte Staatsbürgerschaft. Meiner Meinung nach ist es absolut legitim, dass sich Schweizerinnen und Schweizer in ihrem Wohnland einbürgern lassen und den Schweizer Pass behalten können.  

Sie sind seit 2011 im Nationalrat, gibt es im Parlament mehr negative Stimmen gegenüber Auslandschweizer:innen als früher? 

Die doppelte Staatsbürgerschaft war vor 13 Jahren weniger Thema als heute, ebenso der Vorwurf, Auslandschweizerinnen und -schweizer würden mehr profitieren. Generell wird heute bei solchen Fragen viel pointierter politisiert.                  

Wenn Sie selbst auswandern würden, welches Land würde es sein? 

Zuallererst, ich lebe gerne in der Schweiz und plane nicht, auszuwandern. Aber um die Frage zu beantworten: Es müsste ein Land sein, in dem die Demokratie hochgehalten wird. Als junge Frau wäre ich gerne nach Kanada gegangen, aber ein angelsächsisches Land reizt mich heute nicht mehr.  

Es gibt viele Länder wie etwa Indien, die ich gerne bereise, in denen ich aber nicht ständig leben möchte. Dabei finde ich es wertvoll, ein Land nicht nur als Touristin kennenzulernen, sondern auch während eines längeren Aufenthalts, allenfalls in Form eines Arbeits-Einsatzes.

Editiert von Samuel Jaberg

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