
Für mehr E-Voting scheint die Schweiz noch kaum bereit

Für viele Auslandschweizer:innen ist das Ja zur E-ID ein Erfolg, eine Erleichterung – und eine Hoffnung auf mehr. Doch das knappe Resultat mahnt zur Vorsicht. Analyse.
Das Anliegen der Diaspora ist verständlich: Wer im Ausland lebt, bleibt mit der Schweiz verbunden – im Kontakt mit Behörden, Banken und durch politische Teilhabe. Doch überall erheben sich Hürden.
Denn entgegen allen Erwartungen ist das alles mit der Digitalisierung nicht leichter geworden, im Gegenteil. Viele Schweizer Banken haben ihre Auslandkundinnen und -kunden mit hohen Gebühren und der Auflösung von Konten verschreckt.
Die Schweizer Behörden haben die Digitalisierung zwar vorangetrieben, doch für vieles braucht es noch Papier, wegen der Unterschrift.
Lehren für das E-Voting
Und die Demokratie? Die Abstimmungsunterlagen reisen noch immer per Post – was seit Jahren für Frust sorgt.
Mit der E-ID und der App „Swiyu“ kommt nun Bewegung in die Sache. Die Auslandschweizer-Organisation begrüsst den Schritt – sie hat ihn lange gefordert.

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Die Fünfte Schweiz hat die E-ID sehr deutlich unterstützt
Kein Wunder, dass die Diaspora deutlich zustimmte: Für sie ist die E-ID mehr als eine digitale Identität. Sie ist ein Versprechen. Sie baut die Hürden der Papierwege ab und kann damit eine Grundlage für vieles sein, allem voran auch für ein schweizerisches E-Voting-System.
Ängste, Furcht und Sorgen
Wenn das knappe Ergebnis vom 28. September aber eine Botschaft trägt, dann diese: In der Schweiz ist das Vertrauen in den Staat und seine digitalen Fähigkeiten in den letzten Jahren nicht gewachsen, sondern gesunken.
Gleichzeitig gibt es Ängste vor einer immer tiefer in unseren Alltag und unsere Beziehungen eingreifenden Digitalisierung.
Die Gründe dafür reichen weit über die Nachwehen der Corona-Zeit hinaus, in der sich Kreise von Staatskritiker:innen formierten. Das zeigen die 49,6 % Nein-Stimmen: Das Unbehagen in der Bevölkerung gegenüber dem Sog des Digitalen ist breit.
Neben der Angst vor Kontrollverlust wächst auch die Angst vor den Fähigkeiten künstlicher Intelligenz sowie die Furcht vor Cyberkriminalität.
Verletzlich sind alle
Viele erleben digitale Angriffe auf persönliche oder geschäftliche Konten. Als verletzlich erweisen sich sogar die führenden Digitalunternehmen, Sicherheitsfirmen – und ja, auch der Bund. Kurz: alle.
Als der Bund im Jahr 2023 einen neuen Anlauf für Tests mit E-Voting unternahm, war künstliche Intelligenz noch kein Thema im Alltag der Öffentlichkeit. Heute haben viele damit Bekanntschaft gemacht. Ihre Macht fasziniert – und verunsichert zutiefst.
Doch immerhin: Der Bund geht vorsichtig vor mit dem elektronischen Wahl- und Abstimmungssystem. Es gibt Hackertests, Evaluationen, klare Begrenzungen auf wenige Kantone und Zielgruppen. Ein möglicher Schaden wäre begrenzt.
Doch die entscheidende Frage lautet nicht: Wie sicher ist das System? Sondern: Wie viel Vertrauen können all diese Sicherheitsmassnahmen überhaupt schaffen?
Ein neues Werkzeug
Denn die Angriffe auf das Vertrauen geschehen anderswo, weit weg vom bisher robusten Schweizer E-Voting-System: bei den grossen Datenlecks, bei spektakulären Hacks und mit jeder neuen unerwarteten Fähigkeit von KI, die uns verblüfft und verunsichert.
Dieser Verunsicherung ist mit Gütesiegeln nicht beizukommen. Sie ist aber auch kein Grund, die bisherigen Tests zu stoppen. Nur: Jetzt forsch ein flächendeckenderes E-Voting zu fordern, dafür scheint die Zeit nicht reif.
Das ist auch nicht nötig. Mit der E-ID hat die Diaspora ein neues Werkzeug, das vieles ermöglicht.
E-ID und AGOV: Vieles wird möglich
Vielleicht wird sie künftig sogar zur sicheren Übermittlung von Abstimmungsunterlagen dienen. Völlig ausgeblendet in der Debatte um die E-ID wurde bisher ausserdem das Potenzial, dass in der Verifizierungs-App AGOV des Bundes steckt.
Zudem steht fest: Auch E-Collecting wird bald getestet – Auslandschweizer:innen können damit schon bald Initiativen und Referenden mitunterzeichnen. Das blieb ihnen bisher verwehrt.
All das eröffnet neue Möglichkeiten – mehr, als man sich vor Kurzem erträumt hätte. Jetzt gilt es, das Beste daraus zu machen.
Editiert von Samuel Jaberg
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