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Thomas Gisiger: Ein Schweizer findet in Hamburg sein Glück

Thomas Gisiger zeigt auf die Schweizer Karte
Thomas Gisiger lebt in Hamburg und bekennender «Heimweh-Schweizer». Er stammt aus Solothurn. Petra Krimphove

Ins Theater? Etwas essen? Oder beim Drink neue Leute kennenlernen? Wer in die «2. Heimat» geht, muss sich nicht entscheiden. Der Schweizer Thomas Gisiger hat in Hamburg einen Ort geschaffen, an dem sich Kunst und Kulinarik verbinden.

In der Lobby hängt über einem der Sofas eine Schullandkarte der Schweiz. Thomas Gisiger steigt auf das Polster und zeigt auf Solothurn, seine Heimatstadt. «Ich bin Heimweh-Schweizer», bekennt er. In Hamburg hat er jedoch eine Zweite Heimat kreiert und gefunden.

Früher wurden in dem Backsteingebäude Schiffsmaschinen produziert, nebenan Fische verarbeitet und Gurken eingelegt. Heute sind im Phoenix-Hof viele Kreative zuhause. Die «2. Heimat» zog vor einigen Jahren hierhin.

Gisiger hat in der Schweiz einst Dekorationsgestalter gelernt – das ist an jeder Ecke der Räume zu spüren. Doch dann, im Jahr 1997, wollte er seine kreative Seite leben. Er machte in Hannover eine einjährige Ausbildung zum Clown. «Seither bin ich staatlich anerkannter Clown», sagt er.

Nach einigen Jahren im Rheinland, unter anderem an einem Kinder- und Jugendtheater, zog es ihn dann vor 20 Jahren nach Hamburg und in die Selbständigkeit.

«Alles, was ich mache, hat mit der Schweiz zu tun»

In der «2. Heimat» kann er all seine Talente verbinden. Hier ist er Dekorateur, Gastgeber, Schauspieler – er spielt in vielen Stücken mit, hat einige selbst geschrieben – und er ist Koch. «Alles, was ich mache, hat mit der Schweiz zu tun», sagt er.

Neben der Bühne ist die Küche sein Reich. Hier kocht er besonders gerne Schweizer Spezialitäten. «Das habe ich von meiner Mutter gelernt.»

Was auf den Tisch kommt, hängt auch vom Paket des Abends ab, der dauert offiziell zwischen drei und fünf Stunden. Mal beinhaltet der Preis eine Aufführung und anschliessend ein Dreigangmenü und eine Weinbegleitung, mal gibt es schlichte Pasta.

Die Küchenwände hat Thomas Gisinger während der Corona-Zeit mit Zeichnungen dekoriert. Da war Zeit für den Dekorateur in ihm.

Die Abende in der «2. Heimat» beginnen mit einem Begrüssungsdrink und einer Einführung. Dann geht es in den kleinen Theaterraum zu einer Vorführung – und schliesslich werden alle an einem langen Holztisch platziert und mit selbst gekochten Speisen verwöhnt.

Manchmal wird hier spät abends auch noch getanzt. Das bedeutet lange Tage für Thomas Gisiger. Früh morgens kommt er an Aufführungstagen ins Theater, abends verlässt er es mit als Letzter.

Jedes Mal ist es ein Aha-Moment, wenn sich nach der Vorführung an der einen Seite des stufig ansteigenden kleine Theaterraums ein mächtiger Vorhang zur Seite schiebt und den Blick auf eine 24 Meter lange gedeckte Tafel («vermutlich die längste Hamburgs») öffnet. Hier sind schon Freundschaften entstanden, und auch eine Ehe. «Die beiden haben auf der Bühne geheiratet und dann bei uns gefeiert.»

Seit der Pandemie ist es schwieriger

Vor der Pandemie war die «2. Heimat», damals noch an einem anderen Ort, meist komplett ausgebucht. Heute müssen Gisiger und sein Partner Andreas Löher, mit dem er die «2. Heimat» führt, wie viele andere Kulturschaffende in der Stadt mit Kreativität um ihr Publikum werben und ihr eigenes Profil entwickeln.

Die Corona-bedingten Schliessungen stecken auch dem kleinen Theater noch in den Knochen. «Wir haben uns bis heute nicht komplett erholt», gesteht Gisiger. Zwar half der Staat mit Unterstützungsleistungen, doch das Publikum ist seither nicht mehr so ausgehfreudig.

Und dennoch: Die «2. Heimat» hat sich ihren Platz in Hamburg erobert. Vielleicht hilft dabei auch, dass die Hanseaten neben ihrer Stadt auch die Schweiz lieben. Die beiden verbindet einiges, findet er. «Abwarten und gucken, und sich dann öffnen.»

Thomas Gisiger
Thomas Gisiger in der Küche der «2. Heimat» – die Wände hat er selbst bemalt. Petra Krimphove

«Ein Herzensöffner»

Die Schweiz ist allgegenwärtig im Bühnenrepertoire. Unter anderem schlüpft der Solothurner seit vielen Jahren in die Rolle des «Ueli im Glück», eine Figur, in der auch ein gutes Stück von ihm selbst steckt, er hat das Stück geschrieben und nennt es «einen Herzensöffner».

Der Schweizer Ueli reist auf der Suche nach sich selbst und auf der Flucht vor seinem Vater, der alle Ideen des Sohns blockiert, rastlos durch die Welt. Bis ihm schliesslich jemand rät, nach Hause zurückzukehren und dort seinen Weg zu gehen. Das Stück ist ein Klassiker, den er seit 20 Jahren spielt. Offenbar trifft es einen Nerv beim Publikum.

Es gehe darin um die grosse Frage, wo man eigentlich hingehöre, die wohl viele, die ihr Heimatland verlassen haben, ein Leben lang beschäftigt, sagt Gisiger und wird ernst. Auch er liebäugelt ab und zu damit, in die Schweiz zurückzukehren, ins behagliche Solothurn. Doch er weiss zugleich, dass es ihm dort vermutlich doch wieder zu eng werden würde.

Hier in der «2. Heimat» veranstaltet er auch regelmässig den «Salon Swiss»: Dieser beginnt mit einem Aperol und führt dann Gang für Gang durch die Welt der Schweizer Spezialitäten, angereichert mit Geschichten über und aus der Schweiz. Immer wieder fragen ihn die Gäste auch nach Reisetipps.

«Eigentlich bin ich ein Botschafter meiner Heimat», sagt er.

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