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ThyssenKrupp mit Milliarden-Verlust im vergangenen Geschäftsjahr

DÜSSELDORF (awp international) – Die Wirtschaftskrise hat dem grössten deutschen Stahlhersteller ThyssenKrupp einen verheerenden Verlust zugefügt. Unter dem Strich stand ein Fehlbetrag von 1,87 Milliarden Euro, wie der Vorstand am Freitag mitteilte. Vor einem Jahr hatte der Konzern noch einen Überschuss von 2,28 Milliarden Euro verbucht. Es ist der erste Verlust seit der Fusion der beiden Stahlgiganten Krupp und Thyssen im Jahr 1999.
Der Umsatz sank im Vergleich zum Vorjahr im abgelaufenen Geschäftsjahr um knapp 13 Milliarden auf 40,6 Milliarden Euro. Das Vorsteuerergebnis lag mit 2,36 Milliarden Euro tief im roten Bereich. Das ist ein Einbruch von 5,5 Milliarden Euro. Kurz vor dem Ausbruch der weltweiten Wirtschaftskrise hatte ThyssenKrupp zum Bilanzstichtag Ende September vergangenen Jahres noch ein Rekordergebnis von 3,1 Milliarden Euro vorgelegt. In dem Verlust enthalten sind rund 1,6 Milliarden Euro durch den Aufwand für den eingeleiteten Konzernumbau, Abwertungen von Lagerbeständen und die gestiegenen Projektkosten für die im Bau befindlichen Werke in Brasilien und den USA. Letzte belasteten das Ergebnis allein um rund 250 Millionen Euro.
Vier der fünf Konzernsparten wiesen einen Verlust aus. Lediglich der Fahrstuhlbereich (Elevator) konnte seinen Gewinn um 29 Prozent auf 558 Millionen Euro steigern. Der Stahlbereich stürzte nach einem Gewinn von 1,5 Milliarden Euro mit einem Verlust von 486 Millionen Euro ab. Die bereits im Vorjahr angeschlagene Edelstahlsparte musste einen Ergebniseinbruch von gut einer Milliarde Euro auf einen Fehlbetrag von 946 Millionen Euro verkraften. Der Bereich Technologies, in den ThyssenKrupp die Werften und das Zuliefergeschäft für die Autoindustrie bündelt, stand nach einem Rekordgewinn von 741 Millionen Euro nun einen Verlust von 868 Millionen Euro. Die Dienstleistungssparte (Services) wies ein minus von 271 Millionen Euro aus.
Dank des drastischen Sparkurses erwartet der Stahl- und Industriegüterkonzern im laufenden Jahr wieder einen Gewinn. Angepeilt werde ein um Sondereffekte bereinigter Vorsteuergewinn in “niedriger dreistelliger Millionen-Euro-Höhe”, teilte der Vorstand mit. In der Zielmarke klammert der Konzern anders als bislang künftig nicht mehr die Belastungen durch die Projektkosten und die Anlaufverluste in den neuen Stahlwerken in Brasilien und den USA aus, aus denen auch in laufenden Geschäftsjahr “erhebliche” Belastungen erwartet werden.
Bei den Erlösen rechnet das Unternehmen lediglich mit einer Seitwärtsbewegung. “Wir gehen von einer Stabilisierung des Umsatzes aus”, sagte Konzernchef Ekkehard Schulz. Er verwies auf den schwachen Auftragseingang von lediglich 36 Milliarden Euro im abgelaufenen Geschäftsjahr. “Da werden wir uns ganz schön strecken müssen, um den Umsatz des abgelaufenen Geschäftsjahres von 40,6 Milliarden Euro zu erreichen”, sagte Schulz.
Zum 1. Oktober dieses Jahres hatte der Konzern einen grundlegenden Umbau durchgesetzt. Allein dadurch sollen nachhaltig 800 Millionen Euro eingespart werden. Insgesamt will der Konzern ab dem Geschäftsjahr 2010/11 die Kosten um bis zu zwei Milliarden Euro drücken.
Trotz des Milliardenverlusts will der ThyssenKrupp-Vorstand eine Dividende von 30 Cent je Aktie vorschlagen. “Wir stehen für Dividendenkontinuität”, sagte Vorstandschef Ekkehard Schulz am Freitag. Das bedeute für ihn, dass das Unternehmen in guten Zeiten massvoll zahle und in schlechten Zeiten die Ausschüttung nicht ausfallen lasse. Insgesamt würde ThyssenKrupp damit 139 Millionen Euro an seine Aktionäre zahlen. Das Geld soll aus den Rücklagen kommen. Für das Geschäftsjahr 2007/2008 hatte ThyssenKrupp bei einer Dividende von 1,30 Euro noch rund 600 Millionen Euro an seine Anteilseigner ausgeschüttet.
Zuletzt war in Presseberichten darüber spekuliert worden, dass die Dividende ganz ausfallen könnte. Der Aufsichtsrat berät am 26. November, einen Tag vor der Bilanz-Pressekonferenz über den Vorschlag. Es wird damit gerechnet, dass die Arbeitnehmerseite dagegen protestiert. Grösster ThyssenKrupp-Aktionär ist mit einem Anteil von 25,33 Prozent die gemeinnützige Krupp-Stiftung, an deren Spitze der Ehrenvorsitzende des ThyssenKrupp-Aufsichtsrats Berthold Beitz steht. Die Hauptversammlung entscheidet dann im Januar endgültig über die Ausschüttung.
Nach dem Abbau von weltweit 12.000 Arbeitsplätzen im vergangenen Geschäftsjahr plant der Thyssen-Krupp-Konzern weitere Personalreduzierungen. Dies solle über Einsparungen und Verkäufe von Unternehmensteilen geschehen, sagte Vorstandschef Schulz. Eine Zahl nannte er jedoch nicht. In einem Gespräch mit der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” hatte Schulz im vergangenen Monat einen weiteren Abbau der Belegschaft im laufenden Jahr um “nochmals 15.000 bis 20.000” Beschäftigte angekündigt. Ende September beschäftigte ThyssenKrupp weltweit gut 187.000 Menschen.
Der Stahlhersteller will seine neuen Werke in Brasilien und den USA im kommenden Jahr anfahren. Ein erster Hochofen in Brasilien soll Mitte 2010 in Betrieb gehen, so das Unternehmen . Der Hochlauf werde allerdings wegen der schwachen Stahlkonjuktur gedrosselt. Der zweite Hochofen soll nach derzeitiger Planung daher erst 2011 angeblasen werden. Das Stahl- und Weiterverarbeitungswerk im US-Bundesstaat Alabama soll im zweiten Jahresviertel seinen Betrieb aufnehmen. Es wird im ersten Jahr mit Vorprodukten aus Duisburg versorgt. Ein krisenbedingt ausgeschalteter Hochofen wurde daher in der Ruhrgebietsstadt wieder gestartet. Ursprünglich sollten die Brammen aus Brasilien kommen.
Die Kosten für das umstrittene Werk in Brasilien waren völlig aus dem Ruder gelaufen. Nachdem der Aufsichtsrat für den Bau des Stahlwerks in Brasilien zunächst ein Budget von rund drei Milliarden Euro genehmigt hatte, hatte ThyssenKrupp die Kosten für das Stahlwerk auf zuletzt rund 4,7 Milliarden Euro beziffert. Ende Juli gelang es dem Unternehmen, sich finanziell Luft zu verschaffen: Der brasilianischen Rohstoffkonzern Vale erhöhte seinen Anteil an dem Stahlwerk von 10 auf 27 Prozent und zahlte dafür eine Milliarde Euro.
Zuletzt bereitete der Bau einer Kokerei grosse Schwierigkeiten. Damit beauftragt hatte ThyssenKrupp nicht die konzerneigene Tochter Uhde, sondern die chinesische Staatsfirma Citic. Die führte Arbeiten jedoch unzureichend aus. Inzwischen baut doch Uhde die Kokerei zu Ende. “Wir haben uns damals für Citic wegen Kostenvorteilen entschieden, zumal Uhde einen Grossauftrag in Korea arbeitete”, erklärte Vorstandschef Schulz. Er räumte ein, dass er diese Entscheidung heute nicht noch einmal so treffen würde. Die entstandenen Mehrkosten von 100 Millionen Euro würden aber die Chinesen zahlen.
Für das US-Werk sind noch keine festen Aufträge vereinbart, sagte der Vorstandschef. Es seien aber mit mehreren Stahlverarbeitern bereits Gespräche geführt. Angesichts der schwachen Konjunktur in den USA und der schweren Lage für die dortige Autoindustrie bezweifeln Kritiker, ob ThyssenKrupp auf absehbare Zeit das neue Werk auslasten kann./nl/zb/tw

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