Wind und Sonne eröffnen den Bauern neue Wege
Grosse Hausdächer für Sonnenkollektoren, Boden für Windturbinen, Biomasse zur Produktion von Biogas: Vorteile, die verschiedene Bauern dazu bringen, sich mit erneuerbarer Energie zu befassen. Doch wie der Fall von Christian Weber zeigt, braucht es dazu eine gute Portion Idealismus.
«Die Energiefrage ist in den letzten Jahren so wichtig geworden, dass sich alle damit auseinandersetzen. Wir Bauern haben alles, was es braucht, um selber saubere Energie zu produzieren», sagt Christian Weber, Landwirt im Val-de-Ruz, Kanton Neuenburg.
In dieser Region des Juras, wo im Winter oft meterhoch Schnee liegt und die Höfe verstreut zwischen den Tannen-, Buchen- und Ahornwäldern liegen, sind die Bauern schon seit jeher Selbstversorger in Sachen Energie. Die Häuser, versorgt mit Telefon- und Stromanschluss, werden mit Holz geheizt. Jeder Bauer verfügt zudem über eine eigene Wasserquelle oder eine Zisterne zum Sammeln von Regenwasser.
«Wir sind schon stolz darauf, dass wir so wenig wie möglich vom Öl abhängen, das vom Mittleren Osten oder von wo auch immer bis zu uns transportiert werden muss», unterstreicht der Landwirt, der ein Elektroauto fährt.
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Wenn Agrarabfall zu Energie wird
Das Virus setzt sich fest
Wer dermassen isoliert lebt, muss sich unternehmerisch etwas einfallen lassen. Diese Gabe besitzt Christian Weber zweifellos. Nach der Matura entschied er sich für den Weg seiner Vorfahren, die im Kanton Bern als Bauern arbeiteten.
Zwischen den Jurahöhen, mitten in der Natur, übernahm er mit seiner Familie einen Bauernhof. «Ich wollte nicht in der städtischen Agglomeration oder sogar in der Nähe einer Autobahn Felder bewirtschaften. Ich betreibe schon seit einiger Zeit biologische Landwirtschaft. Auf über 1000 Meter Höhe ist dies eher eine aufwändige Angelegenheit.»
Vor rund zwanzig Jahren errichtete er eine Sammelstelle für die Kompostierung von Bio- und Grünabfällen der Gemeinden des Val-de-Ruz, was ihm 1993 den Innovationspreis des Schweizerischen Bauernverbandes eintrug. Dann, vor einigen Jahren, wurde er mit dem «Virus der erneuerbaren Energie angesteckt», wie er uns erzählt.
«Mein erster Traum war eine kleine Windturbine. Doch später wurde mir bewusst, dass eine Solaranlage weniger teuer und einfacher zu realisieren war.» Er bedeckte die Dächer seines Hofes mit Sonnenkollektoren und produziert heute Strom für sechs Haushalte. Käuferin des Stroms ist das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich, mit dem er einen Vertrag über 20 Jahre abgeschlossen hat.
«Es handelt sich dabei um eine virtuelle Lieferung: der Strom wird in der Region verbraucht, doch in einer Stadt wie Zürich, wo die Sensibilisierung für ökologische Themen grösser ist, gibt es auch Kunden, die bereit sind, zur Unterstützung der erneuerbaren Energie mehr zu bezahlen.»
Seit 2009 fördert der Bund die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien durch die kostendeckende Einspeisevergütung (KEV).
Gespeist wird der KEV-Fonds von allen Stromkonsumentinnen und -konsumenten, die pro verbrauchte Kilowattstunde eine Abgabe bezahlen.
In der Praxis deckt die KEV die Differenz zwischen Produktion und Marktpreis für eine Zeitdauer von 20-25 Jahren.
Rund 5000 Anlagen wurden 2012 durch die KEV unterstützt. Fast 30’000 Projekte oder bereits bestehende Anlagen stehen jedoch noch auf der Warteliste.
Gemäss einer parlamentarischen Initiative sollte der KEV-Fonds ab nächstem Jahr über grössere finanzielle Ressourcen verfügen. Vorgesehen ist eine Erhöhung der Abgabe von 0,9 auf 1,5 Rappen pro Kilowattstunde verbrauchter Elektrizität.
Ferner ist eine weitere Erhöhung – auf 2,3 Rappen – von der Energiestrategie 2050 des Bundes vorgesehen.
Ein kleiner Ferrari
Nach diesem ersten Schritt entschied sich Christian Weber für grössere Projekte. Zusammen mit einem Freund installierte er eine1600 m2 grosse Photovoltaik-Anlage auf dem Dach einer Reitschule in Derrière-Pertuis, wenige Kilometer von seinem Hof entfernt. «Diese Anlage ist ein kleiner Ferrari. Wir können damit den Energiebedarf von 60 Haushalten decken», sagt der Landwirt begeistert.
Die Anlage, die vor bald einem Jahr eingeweiht wurde, wird voraussichtlich in rund zwanzig Jahren amortisiert sein und rentieren. «Für mich, der keine Pensionskasse hat, ist dies die Altersvorsorge», erklärt Weber. «Sicher ist es keine Goldgrube. Ein Investor, der eine gute Rendite sucht, investiert nicht in ein solches ein Projekt. Ein Banker würde eher Aktien von Apple kaufen.»
Übrigens, einen Kredit von einer Bank zu erhalten, war chancenlos. Für die Finanzierung der Anlage musste er auf sein Erspartes zurückgreifen und war auf die Hilfe seiner Familie angewiesen. Doch für die Durchsetzung einer Idee braucht es ebenso Leidenschaft wie einen gewissen Sinn für Verantwortung.
«Wir Bauern sind ein wenig die Treuhänder des Bodens in der Schweiz. Wir haben den Auftrag, ihn zu pflegen und für die Produktion von Nahrungsmitteln zu nutzen. Heute sind wir zudem in der Lage, Strom zu produzieren, und ich sehe nicht ein, wieso wir das nicht tun sollten.»
Eine lange Warteliste
Eine Ansicht, die vom Schweizerischen Bauernverband geteilt wird. Dieser schuf 2011 die Informations- und Beratungsplattform Agrocleantech, die zum Ziel hat, bei den Bauern für erneuerbare Energie und Energieeffizienz zu werben.
«Die Nahrungsmittelproduktion soll auch in Zukunft Priorität haben in der Schweiz. Die Solaranlagen werden auf den Hausdächern installiert und nicht auf den Feldern», betont Armin Hartlieb, Direktor von Agrocleantech. «Wir sind jedoch überzeugt, dass die Landwirtschaft ein grosses Potential im Energiebereich hat. Gemäss unserer Studie könnten wir bis zum Jahr 2030 2100 GWh/pro Jahr Elektrizität und 1’300 GWh/pro Jahr Wärme produzieren, also mehr, als das Atomkraftwerk Mühleberg in einem Jahr generiert.»
Hier liegt ein Potential, das bislang wenig genutzt wurde, im Gegensatz zu Ländern, wie etwa Deutschland, wo der Staat die erneuerbaren Energien viel aktiver unterstützt. «Heute sind praktisch 30’000 Projekte auf der Warteliste für die KEV (s. Kasten). Diese Vergütung des Bundes deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und ist somit unerlässlich, um die Rentabilität vieler Anlagen zu gewährleisten», unterstreicht Hartlieb. Regierung und Parlament wollen heute die verfügbaren Mittel erhöhen, doch es braucht noch viele Jahre, um die hängenden Anfragen abzuarbeiten.
In der Schweiz deckt die erneuerbare Energie wenig mehr al 20% des gesamten Energieverbrauchs. Der grösste Anteil stammt aus den traditionellen Quellen wie Wasser (13,7%) und Holz (4,20%).
Die «neuen» erneuerbaren Energien (Sonne, Wind und Biomasse) decken nur 2% des Gesamtbedarfs an Energie.
Wie man in europäischen Ländern sehen kann, insbesondere in Deutschland und den skandinavischen Ländern, bietet der landwirtschaftliche Sektor ein grosses Entwicklungspotential, was erneuerbare Energien anbelangt.
Gemäss einer Studie von Agrocleantech könnten die Landwirte bis zum Jahr 2030 3400 GWh/pro Jahr an Elektrizität und Wärme produzieren, das sind 100 Mal mehr als heute.
Die Studie lässt die Möglichkeiten vor allem für die Solarenergie und das Biogas erahnen. Bis zum Jahr 2030 könnten alle Bauernhöfe mit Sonnenkollektoren ausgestattet werden, und es könnten 1200 Anlagen für die Produktion von Biogas entstehen (heute gibt es nur rund 100).
Ein neues Projekt
In der Warteschlange befindet sich auch jenes von Christian Weber in Derrière-Pertuis. Doch der Landwirt will sich nicht mit Warten begnügen: er hat bereits ein neues Projekt lanciert. Nur wenige Kilometer von Derrière-Pertuis entfernt, in La Joux-du-Plâne, möchte er mit zwölf grossen Windturbinen 12’000 Haushalte mit Strom versorgen. Das Projekt, bei dem rund zwanzig Bauern aus der Region mitmachen, wird nächstens bei den Behörden eingereicht werden. Es hat 2012 bereits den Neuenburger Innovationspreis für Landwirtschaft erhalten.
Die Landwirte haben schon Machbarkeitsstudien durchführen lassen. Untersucht wurden die Windverhältnisse, die Flugrouten der Zugvögel und die Verträglichkeit für Fledermäuse. Für die Finanzierung von 60 bis 80 Millionen Franken konnten die Bauern einen Vertrag mit dem Hauptstromversorger des Kantons aushandeln. «Doch das Projekt bleibt in unseren Händen, wir besetzen drei von fünf Sitzen im Führungsgremium», so Christian Weber.
Der Windpark sollte ausschliesslich auf dem Land der interessierten Bauern entstehen, doch der Initiator stellt sich auf einen langen Kampf mit den Umweltschutzorganisationen ein, die sicher gegen das Projekt Rekurs einlegen werden. «Ich sehe mich auch als Umweltschützer, doch manchmal habe ich Mühe mit den Ansichten gewisser Ökologen. Es scheint, dass sie sich mehr um die Fledermäuse sorgen als um die radioaktiven Abfälle oder den Klimawandel”.
(Übertragung aus dem Italienischen: Christine Fuhrer)
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