Angstgegnerin Le Pen: Kampf um Nachfolge Macrons eröffnet
Noch knapp anderthalb Jahre liegen zwischen Frankreich und der nächsten Präsidentschaftswahl. Doch schon jetzt hängt die erwartete Schicksalswahl dort über etlichem politischen Handeln, hat eine Koalition platzen lassen und erschwert die ohnehin mühsame Arbeit der Minderheitsregierung ungemein. Der liberale Staatschef Emmanuel Macron kann nach zwei Amtszeiten nicht erneut antreten und weit über sein Mitte-Lager hinaus stellt man sich die Frage, wer nach ihm in einer erwarteten Stichwahl gegen die rechtsnationale Marine Le Pen als Sieger hervorgehen kann.
(Keystone-SDA) Ambitionen auf das höchste Staatsamt gibt es in Frankreich zur Genüge. Teils stehen potenzielle Kandidaten schon seit Jahren in den Startlöchern, scharen Unterstützer um sich und versuchen, sich vor dem Votum bestmöglich zu platzieren. Ein Überblick:
Édouard Philippe
Philippe war 2017 der erste Premier unter dem damals neuen Staatschef Macron. Der 55-Jährige gilt als beliebt und hat sich im Lokalen wichtige Unterstützung gesichert. Er positioniert sich als besonnener Mitte-Mann und könnte ein vielversprechender Kandidat für Stabilität sein. Mit seiner Partei Horizons war Philippe lange Zeit ein recht getreuer Gefolgsmann von Macron. Mittlerweile bereitet er der Regierung aber Probleme. Während das Mitte-Lager bestehend aus der Präsidenten-Partei Renaissance sowie den Parteien Horizons und MoDem früher in der Regel geschlossen stimmte, verweigerte Philippe zuletzt in entscheidenden Haushaltsdebatten die Zustimmung.
Gabriel Attal
Der 36-Jährige war ebenfalls Premierminister und ist mittlerweile Fraktions- und Parteichef von Renaissance. Er hat hohe Beliebtheitswerte und stünde wohl am meisten für eine Fortführung von Macrons Politik. Schon als Premier galt Attal als jüngere Version des Präsidenten, wurde von diesem sogar als eine Art kleiner Bruder bezeichnet. Inzwischen gilt das Verhältnis der beiden Senkrechtstarter aber als belastet. Mittlerweile scheut sich auch Attal nicht mehr vor Kritik an den Plänen der Regierung aus seinem eigenen Lager. Ob Frankreich einen Macron 2.0 möchte oder sich Attal deutlich wird abgrenzen können wird, ist fraglich.
Gérald Darmanin
Der aktuelle Justizminister kommt wie auch Macron aus Nordfrankreich. Im Beliebtheitsranking ist er etwa gleichauf mit Attal und Philippe. Einer Umfrage von Ifop zufolge wünschen sich 26 Prozent, dass er bei der Präsidentschaftswahl antritt und damit etwas weniger als bei Attal (29 Prozent) und Philippe (37 Prozent). Der langjährige Innenminister steht für eine harte Hand im Kampf gegen Kriminalität und klare Ansagen. Denen gibt der 43-Jährige auch gerne mal einen populistischen Anstrich.
Bruno Retailleau
Der stramm konservative Vorsitzende der Républicains ist im vergangenen Jahr an regionalen Schwergewichten und seinem parteiinternen Konkurrenten Laurent Wauquiez, der lange als Präsidentschaftskandidat gesetzt schien, regelrecht vorbeigeschossen. In den letzten Monaten hat der 65-Jährige allerdings deutlich an Zuspruch verloren. In seinem Eifer, sich vom Macron-Lager abzugrenzen, hat der zwischenzeitliche Innenminister mit Rückzugsdrohungen den Rücktritt von Premier Sébastien Lecornu mitausgelöst und damit letztlich auch das Ende der Regierungszusammenarbeit seiner Républicains mit dem Mitte-Lager.
Einer für alle und alle für einen?
Angesichts der zahlreichen Quasi-Kandidaturen, die sich im Kampf gegen Rechts gehörig in die Quere kommen könnten, preschte Cannes konservativer Bürgermeister David Lisnard mit einer ungewöhnlichen Idee vor. Statt einen Kandidaten pro Partei aufzustellen, warf Lisnard in den Raum, nur eine Person für die Mitte-Rechts-Parteien zu nominieren – und so bessere Chancen zu haben, überhaupt in die Stichwahl zu kommen.
Die einzelnen Parteien und Präsidentschaftswilligen müssen sich zu Recht fragen, ob Ego und mitunter verschiedene politische Sichtweisen hinter dem Ziel, Le Pen zu verhindern, zurücktreten sollten. Das Stimmungsbild bisher allerdings: wenig begeistert.
Eine gemeinsame Kandidatur oder auch der Verzicht auf eine Gegenkandidatur scheint in Frankreichs politischer Landschaft, die von Konfrontation und stark von sich selbst überzeugten Kandidaten lebt, schwer vorstellbar. Zumal die Konservativen einen klaren Bruch mit Macron wollen, was dessen Partei kaum gutheissen dürfte. Sollte es wider Erwarten so weit kommen, dass mehrere grosse Parteien gemeinsam einen Kandidaten ins Rennen schicken, wäre das eine klare Kampfansage gegen Rechts.
«Queen Marine» oder Schützling Bardella?
Doch ob die in der politischen Linken und bei den Liberalen und Konservativen so gefürchtete Le Pen überhaupt bei der Präsidentschaftswahl antreten wird, ist noch gar nicht ausgemacht. Im Frühjahr entzog ihr ein Gericht wegen Veruntreuung von EU-Geldern auf fünf Jahre das passive Wahlrecht – mit sofortiger Wirkung. Schon in den nächsten Monaten will ein Berufungsgericht entscheiden, ob das Urteil aufrechterhalten wird und Le Pen eine Kandidatur verwehrt bleibt oder ob die Rechtsnationale zum vierten Mal Anlauf auf den Élysée-Palast nehmen kann.
Schon seit Langem steht fest: Wenn Le Pen nicht darf, wird ihr politischer Sprössling Jordan Bardella von den Rechtsnationalen in den Ring geschickt. Der politische Jungstar hat sich in den vergangenen Jahren in die Herzen der Kernwählerschaft vorgearbeitet und sein Vorbild «Queen Marine» in den Umfragen mittlerweile sogar überholt. Beide haben einen deutlichen Vorsprung vor allen anderen Präsidentschaftswilligen. Der Mann aus der Banlieue galt einst als Le Pens Haudegen mit harten Parolen, während sie den Entteufelungskurs der Partei vorantrieb. Mittlerweile gibt der 30-Jährige sich gediegener.
Bleibt einzig eine Frage: Wie stellt sich das linke Lager auf? Zumindest Grüne und Sozialisten wollen mit einer gemeinsamen Kandidatur antreten. Stand jetzt sind aber weder die Altlinken um Jean-Luc Mélenchon noch der aussichtsreichste Kandidat im linken Spektrum, Sozialdemokrat Raphaël Glucksmann, dabei. Ob einer von ihnen Chancen auf die Stichwahl haben wird, bleibt abzuwarten.