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Ein Hauch von Orient in der Schweiz

Kebab-Stände gehören heute in der ganzen Schweiz zum Strassenbild. imagopress

Am Mittwoch hat sich entschieden: Die Schweiz nimmt an der Fussball WM 2006 in Deutschland teil, die Türken müssen zuschauen.

Der Ausgang des Matches war auch von der türkischen Gemeinschaft in der Schweiz mit Spannung erwartet und verfolgt worden.

Ausgerechnet im Fussball haben sich Türken schon mehrfach um die Schweiz verdient gemacht. Erinnert sei an einige Pässe der Brüder Hakin oder an einen Stürmer wie Kubilay Turkylmaz, der mit seinen Toren die Nationalelf 1994 an die Fussball-WM schoss.

Doch der Beitrag der Türken zur “Sache Schweiz” beschränkt sich keineswegs auf die Fussballwelt. Man denke etwa an den in Winterthur lebenden Schriftsteller kurdischen Ursprungs, Yusuf Yesilöz, der Geschichten und Artikel auf Deutsch publiziert. Oder an Alpaslan Korkmaz, den Wirtschaftsförderer des Kantons Neuenburg. Oder an Akin Altintren, den Präsidenten des Zürcher Ausländerrats.

Flucht vor dem Militärregime

Die ersten Türken kamen zu Beginn der 1960er–Jahre als Gastarbeiter in die Schweiz. Sie waren hauptsächlich in der Industrie und Hotellerie tätig.

“Im Gegensatz zu Deutschland, Belgien und Frankreich erfolgte die Migration in die Schweiz ganz unabhängig von offiziellen Vereinbarungen. Die meisten Türken emigrierten auf eigene Faust”, sagt Bülent Kaya vom Schweizer Forum für Migration (SFM) gegenüber swissinfo.

Nach dem Militärputsch von 1980 kamen zusehends politische Flüchtlinge aus der Türkei in die Schweiz. Die Gegner des Regimes – hauptsächlich Studenten und junge Linke – wurden praktisch ins Exil gezwungen.

Als Folge der Unterdrückung der Kurden schwoll der Strom der Flüchtlinge weiter an. Man geht davon aus, dass zwischen 1981 und 2000 insgesamt 60’000 Personen türkischer Nationalität in der Schweiz um Asyl nachgesucht haben.

Nach den von der Türkei ergriffenen Reformen ist die Zahl der Flüchtlinge stark zurück gegangen. Heute kommen Türken vor allem im Rahmen der Familien-Zusammenführung in die Schweiz.

Diskriminierung am Arbeitsplatz

Die türkische Gemeinschaft in der Schweiz besteht inzwischen aus 80’000 Personen. 90% leben in der Deutschschweiz, vor allem in den Städten Zürich, Basel und Aarau.

“Ich bin der Ansicht, dass die Integration der Türken in die Schweiz geglückt ist, auch wenn es in der Arbeitswelt noch eine gewisse Diskriminierung gibt”, sagt Kaya vom FSM unter Berufung auf eine gesamtschweizerische Studie.

Diese Studie hat aufzeigt, dass die Chancen für einen Türken der zweiten Generation selbst bei gleichem Ausbildungstand und Noten auf dem Arbeitsmarkt wesentlich geringer sind als bei gleichaltrigen Jugendlichen mit Schweizer Pass.

Peri Even, eine ehemalige Redaktorin von “Treffpunkt Schweiz”, einer Sendung für türkische Immigranten, ist der Meinung, “dass die türkische Gemeinschaft ein wenig isoliert ist.”

Verbände und Vereine

Die Türken in der Schweiz sind jedoch in Vereinen äusserst aktiv. Einerseits dürfte eine gewisse Isolation dafür verantwortlich sein, andererseits das Verlangen, die eigenen Traditionen und Gewohnheiten zu bewahren.

Kulturvereine, Sportvereine (vor allem Fussball), aber auch religiöse Gemeinschaften der Türken existieren heute in allen grösseren helvetischen Städten.

Ein Hauch Orient

Viele Türken sind in der Stahl- und Bekleidungsindustrie tätig, aber auch in der Gastronomie. Ihnen wird ein unternehmerischer Geist nachgesagt. “Es gibt viele, die sich nach dem Vorbild der Italiener als Geschäftsleute betätigen”, sagt Bülent Kaya.

Döner-Kebab-Stände gibt es heute in allen Bahnhöfen, Einkaufszentren und Fussgängerzonen zwischen Genf und St.Gallen.

Auch andere türkische Traditionen und Gewohnheiten sind längst Bestandteil der Schweizer Gesellschaft geworden. Man denke nur an die Bauchtänzerinnen in Lokalen oder an Wasserpfeifen. Und auch viele türkische Gerichte haben längst einen Hauch von Orient in die Schweiz getragen.

swissinfo, Luigi Jorio
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

77’534 Türken wohnen in der Schweiz (doppelte Staatsbürger nicht mitgezählt)
38’626 (1980)
12’215 (1970)
Mehr als 90% der Türken und Türkinnen leben in der deutschen Schweiz.

Mit der Bezeichnung “Türken” werden statistisch alle Immigranten mit türkischer Staats-Angehörigkeit erfasst. Damit wird verkannt, dass es sich um Personen unterschiedlichster Prägung handelt, beispielsweise Kurden oder Aleviten.

Die türkische Gemeinschaft feiert die nationalen und religiösen Feste, darunter vor allem die islamischen Feste. Am 29.Oktober begeht man Cumhuriyet Bayrami, den “Tag der Republik.”

Die türkische Diaspora in der Schweiz ist sehr aktiv und in Verbänden und Sportvereinen organisiert. Häufig werden auch Kulturveranstaltungen organisiert.

Der Verein “L’écho du silence”, der von jungen Türken der zweiten Generation gegründet wurde, hat für sein Engagement zugunsten der Integration vom Kanton Neuenburg eine Auszeichnung erhalten.

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