Fedpol-Chefin: «Die Mafia ist auf unseren Strassen präsent»
Die Schweiz ist zunehmend von organisierter Kriminalität betroffen. Um dieser wachsenden Bedrohung entgegenzuwirken, sollte sie bis Ende 2026 eine nationale Strategie entwickeln. Für die neue Direktorin vom Fedpol, Eva Wildi-Cortés, ist diese Änderung «entscheidend» für die Bekämpfung der Kriminalität.
Interpol hat mehr als 800 kriminelle Organisationen identifiziert, die in Europa aktiv sind. «Die meisten davon auch in der Schweiz. Es handelt sich um die Balkan-Mafia, die albanische Mafia, nigerianische Bruderschaften, die marokkanische und die italienische Mafia. Hinzu kommen türkische, chinesische und niederländische kriminelle Organisationen», erklärt Eva Wildi-Cortés, die neue Direktorin der Bundespolizei (Fedpol), in der RTS-Sendung La Matinale.
Diese Situation hat den Nachrichtendienst des Bundes (NDB) dazu veranlasst, seine Einschätzung der Bedrohung durch das organisierte Verbrechen in den letzten zwei Jahren von Stufe 3 auf Stufe 5 (von 6) anzuheben.
In einem Interview mit der Freiburger Tageszeitung La Liberté im Juni dieses Jahres erklärte die Luzernerin den Kampf gegen das organisierte Verbrechen zu ihrer «Priorität» und sagte weiter, dass «die Mafia auf unseren Strassen präsent ist». «Man sieht es ein wenig. Wir sprechen von Friseursalons, Nagelstudios, Döner-Imbissen oder Pizzerien. Sie sind nützlich, um Geld zu waschen», sagte sie gegenüber RTS.
Geschätzte Stabilität
Aufgrund ihrer geografischen Lage und ihrer finanziellen und politischen Stabilität bietet die Schweiz kriminellen Organisationen zahlreiche Vorteile und ist damit ein attraktiver Umschlagplatz für Geldwäscherei, Drogen- und Waffenhandel sowie Menschenhandel.
«Wir liegen im Zentrum Europas und verfügen über einen stabilen Finanzplatz und ein stabiles politisches System. Als Volk schätzen wir das, aber genau das schätzen auch kriminelle Organisationen an der Schweiz», sagte die Nachfolgerin von Nicoletta della Valle, die ihr Amt Anfang Jahr angetreten hat.
Auf dem Weg zu einer nationalen Strategie
Angesichts dessen hat die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren letzte Woche über die Einführung einer nationalen Strategie zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität diskutiert. Der Plan soll nach der Ratifizierung durch den Bundesrat bis Ende des Jahres vorgestellt werden.
Diese nationale Strategie zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität wurde von den Kantonen begrüsst, die sich um die innere Sicherheit sorgen. Für einige kantonale Verantwortliche ist es unerlässlich, dass der Bund Ressourcen, insbesondere finanzielle, zur Verfügung stellt, um die verschiedenen Ebenen der organisierten Kriminalität bekämpfen zu können.
Die starke Präsenz der Mafia in der Schweiz erhöht das Risiko von Gewalttaten erheblich, erklärt die Direktorin des Fedpols. «Ich bin überzeugt, dass dies ein Risiko für die Gesellschaft, den Rechtsstaat und die Demokratie darstellt.»
Kantonale Zusammenarbeit: «Eine echte Schwachstelle»
Der künftige Plan muss auf mehreren Säulen beruhen, darunter Prävention, Strafverfolgung und internationale Zusammenarbeit. «Es geht darum, die rechtlichen Grundlagen zu stärken, um besser gegen das organisierte Verbrechen vorgehen zu können, aber auch darum, mehr Mittel und Ressourcen bereitzustellen», erklärte Eva Wildi-Cortés gegenüber RTS.
Diese legislative Flexibilität, die von den Kantonen gefordert wurde, soll den Datenaustausch zwischen den Kantonspolizeien beschleunigen, was die Fedpol-Direktorin als «entscheidend» erachtet, da es sich um eine «echte Schwachstelle» in der aktuellen Strategie handle.
Die Bedrohung durch die organisierte Kriminalität lässt die terroristische Bedrohung, über die in letzter Zeit weniger berichtet wird, fast in Vergessenheit geraten. Das bedeutet jedoch nicht, dass fedpol ihr weniger Bedeutung beimisst.
«Wir haben die Mittel, um den Terrorismus zu bekämpfen – im Gegensatz zur organisierten Kriminalität –, der zwar weiterhin eine Bedrohung darstellt, aber eher von Einzelpersonen ausgeht. Das hat absolut Priorität, denn die Gefahr ist da», antwortet Eva Wildi-Cortès.
Der Ständerat, die erste Kammer, die über den Haushalt 2026 berät, gab nach fünfstündiger Debatte den Ton an. Die Sicherheit hat Priorität: Mehrere Dutzend Millionen zusätzlich wurden für die Armee, die Cybersicherheit und das Fedpol bereitgestellt.
Der Ständerat hat das Verteidigungsbudget um 70 Millionen auf 2,78 Milliarden erhöht. Er hat nicht 16, sondern 26 Millionen für die Cybersicherheit bereitgestellt und das Budget für das Fedpol um eine Million aufgestockt.
Das Budget der Bundespolizei, die aufgrund fehlender Mittel nicht mehr alle Ermittlungen durchführen kann, steigt damit auf etwas mehr als 296 Millionen. «Ich bin sehr zufrieden mit dieser Entscheidung. Das entspricht etwa 10 zusätzlichen Ermittlerstellen. Wir können damit unsere Teams im Kampf gegen das organisierte Verbrechen, den Terrorismus und die Cyberkriminalität verstärken», reagierte Eva Wildi-Cortès.
Sie erinnert daran, dass die Eidgenössische Finanzkontrolle einen Mangel an Ressourcen beim Fedpol festgestellt hat, den sie auf etwa 100 Stellen für Ermittler und Spezialist:innen beziffert. «Das ist es, was uns fehlt, um unsere Arbeit gut zu machen», schliesst sie.
Übertragung aus dem Französischen mit der KI Claude: Janine Gloor
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