Heiratsverbot von Sans-Papiers konform umsetzen

Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung sollen trotz faktischem Heiratsverbot die Möglichkeit haben, sich zu vermählen. Ein Entscheid des höchsten Schweizer Gerichts zeigt, wie das Verbot im Einklang mit den Menschenrechten umgesetzt werden kann.
Mit dem faktischen Heiratsverbot, das auf Nationalrat Toni Brunner zurückgeht, wollten die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) und das Schweizer Parlament verhindern, dass Sans-Papiers ihre Chancen auf eine Legalisierung ihres Aufenthaltsstatus mit einer Scheinheirat verbessern können.
Mit dem neuen Artikel 98 des Schweizer Zivilgesetzes müssen nun Verlobte, die nicht Schweizer Bürger sind, einen legalen Aufenthalt im Land nachweisen. Gelingt ihnen dies nicht, müssen sie zur Vorbereitung der Eheschliessung ins Ausland reisen.
Schleichweg Ehe
Bisher hatte ein illegal anwesender Ausländer praktisch automatisch eine Aufenthaltsbewilligung erhalten, sobald er angab, sich mit einer Person verheiraten zu wollen, die über ein Anwesenheitsrecht in der Schweiz verfügte.
Die so genannte Lex Brunner ist seit Anfang dieses Jahres in Kraft. Kritiker, darunter auch Richter von Kantonsgerichten, hatten von Beginn weg moniert, dass das Gesetz rechtswidrig und damit unanwendbar sei. Dies unter anderem, weil eine ganze Gruppe der Bevölkerung vom Recht auf Heirat ausgeschlossen sei.
Problematisch
Tatsächlich befand der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Strassburg (EMRG), dass die Bestimmung den Artikel 12 der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzen könnte.
Mit seinem Entscheid anerkannte das Bundesgericht, dass die Bestimmung durchaus zu einem Konflikt mit der Bundesverfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention führen könne.
Geklagt hatte ein Mann aus Kamerun ohne Aussicht auf eine Aufenthaltsgenehmigung, der seine Partnerin und Mutter eines gemeinsamen Kindes heiraten wollte. Sie hält sich legal in der Schweiz auf.
Das Gericht des Kantons Waadt hatte die Heiratsabsichten des Mannes in erster Instanz abgewiesen.
Bleiberecht auf Widerruf
Die Lausanner Richter zeigten jetzt aber auf, dass Ausnahmen durchaus möglich sind. Da der Mann mit der Frau in stabiler Beziehung lebe, könne ihm nach der Heirat eine Aufenthaltsbewilligung erteilt werden, auch wenn die finanzielle Zukunft der Familie nicht gesichert erscheine. Das Bundesgericht hält aber klar fest, dass das Aufenthaltsrecht widerrufen werden könne, falls der Ehemann nicht arbeiten wolle und auf Sozialhilfe angewiesen sei.
Dazu schlägt das Bundesgericht einen juristischen Umweg vor. Den Standesbeamten lasse das Gesetz keinen Spielraum, denn ohne Aufenthaltsberechtigung gebe es kein Vorbereitungsverfahren zur Heirat.
Spielraum sehen die Lausanner Richter dagegen bei den kantonalen Ausländerbehörden. Diese könnten eine provisorische Aufenthaltsbewilligung für die Vorbereitung der Eheschliessung erteilen, sofern keine Anzeichen dafür bestehen, dass mit der geplanten Ehe das Ausländerrecht umgangen werden soll.
«Lex Brunner ist Geschichte»
Die Organisation Solidarität ohne Grenzen zeigte sich äusserst erfreut und interpretiert das Urteil so, dass einer Person ohne Papiere wohl ein Aufenthalt für sechs Monate gewährt würde. In dieser Zeit könne sie die Formalitäten zur Eheschliessung erledigen.
«Mit dem Entscheid stellt das Bundesgericht praktisch die Verhältnisse vor dem 1. Januar 2011 wieder her», sagte Moreno Casasola von «Solidarität ohne Grenzen» gegenüber swissinfo.ch. Die Lex Brunner sei somit Geschichte.
Casasola erinnerte daran, dass von der Einschränkung auch Schweizerinnen und Schweizer betroffen seien. Bei knapp der Hälfte der 42’000 Ehen, die 2009 in der Schweiz geschlossen worden waren, war mindestens ein Teil ohne gültigen Aufenthaltsstatus, wie das Bundesamt für Statistik (BfS) auswies. Für 2004 ging die Behörde davon aus, dass 500 bis 1000 aller geschlossenen Ehen, also rund drei Prozent, nur ein Vorwand waren.
Die SVP zeigte sich vom Lausanner Urteil enttäuscht. «Die Interpretation des Bundesgerichts bedeutet im Kampf gegen Scheinehen einen herben Rückschlag», sagte Generalsekretär Martin Baltisser. Dies sei bedauerlich und zeige einmal mehr den ungelösten Konflikt zwischen Schweizerischem und internationalen Recht.
Die Schweiz ratifizierte die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) 1974.
Ihr Artikel 12 besagt, dass Männer und Frauen in heiratsfähigem Alter das Recht auf Heirat und auf Gründung einer Familien haben.
Artikel 14 verbietet die Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, Gesinnung, Herkunft, Geburt oder Status.
Gemäss Schweizer Zivilstandsbehörden war die bisherige gesetzliche Praxis mit der EMRK konform.
Hegt eine kantonale Ausländerbehörde den Verdacht auf Scheinheirat, wird die Polizei eingeschaltet.
Dabei werden die Ehepartner separat befragt, u. a. über Daten, Besuche, Örtlichkeiten etc.
Als mögliche Hinweise gelten, wenn:
– ein Partner das Land verlassen sollte, etwa wegen eines abgewiesenen Asylantrags;
– sich die Partner erst kurz vor der Heirat kennengelernt haben;
– eine grosse Altersdifferenz zwischen den beiden besteht;
– der/die Schweizer Partner/in ein Alkohol- oder Drogenproblem hat.
Der Nachweis einer Scheinehe ist schwierig und gelingt in der Regel erst im Nachhinein, beispielsweise, wenn die Partner nicht zusammen leben.
Scheinehen werden mit Busse oder Gefängnis bestraft.
(Übertragen aus dem Englischen: Renat Kuenzi)

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