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LGBTIQ: Warum Zürich bald queere Gräber anbietet

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Der Friedhof Sihlfeld in Zürich. Jeder möchte in Frieden ruhen. Kaoru Uda

Nach dem Leben möchten viele neben ihren Liebsten ruhen. Das gilt auch für LGBTIQ-Menschen. Sie haben in Zürich bald ein eigenes Grabfeld – das sei kein Akt der Abgrenzung, finden die Initiant:innen.

Wenn man den Friedhof Sihlfeld betritt, wird man von einer dichten Allee empfangen. Alles, was man hört, ist das Rauschen der Äste, die sich im Wind wiegen, und das Zwitschern der Vögel. Für einen Moment vergisst man, dass man sich im lärmigen Herzen von Zürich befindet.

In einer kleinen Ecke des grössten öffentlichen Friedhofs der Stadt Zürich, der eine Fläche von 280’000 Quadratmetern einnimmt, wird ein Grabfelder für LGBTIQ-Personen eingerichtet.

Das Projekt “Regenbogen-RuheExterner Link” wurde im Februar vor einem Jahr von mehreren queeren Organisationen ins Leben gerufen, mit der Intention, Menschen aus der LGBTIQ-Community einen Ort der letzten Ruhe zu bieten.

Was ist LGBTIQ?

LGBTIQ ist eine Abkürzung für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, Intersex und Queer.

Erste in der Schweiz

Es ist das erste Grabfeld in der Schweiz, das für LGBTIQ-Personen geschaffen wurde.

Zürich ist nicht die einzige Stadt, die ein Grabfeld für LGBTIQ-Personen einrichtet.

Auch auf dem Congressional Cemetery in der US-Hauptstadt Washington gibt es eine Grabstelle für LGBTIQ-Personen. Für homosexuelle Männer wurde bereits 1988 eine solche Grabstelle eingerichtet, als Leonard Matlovich, der erste Vietnam-Veteran, der sich damals als schwul geoutet hatte, beigesetzt wurde. In den 1980er- und 1990er-Jahren, als die AIDS-Krise die LGBTIQ-Gemeinschaft erfasste, war der Congressional Cemetery einer der wenigen Friedhöfe des Landes, der AIDS-Opfer bestattete.

Das “GO Magazine”, eine US-amerikanischen Lesbenzeitschrift, berichtete 2008Externer Link, dass ein Friedhof für dänische Homosexuelle in Kopenhagen eröffnet wurde. Die Organisation Rainbow hätte 36 Plätze für Urnenbeisetzungen reserviert.

Auf dem Georgen-Parochial-Friedhof I in Berlin wurde 2014 die erste Lesbengrabstätte des Landes eröffnet: eine Fläche, die 80 Urnen- und Erdgräber aufnehmen kann.

In Japan bieten einige Tempel und Friedhöfe Gräber für LGBTIQ-Personen an, die gemeinsam beigesetzt werden wollen.

Es war schon in der jüngeren Vergangenheit möglich, sich als gleichgeschlechtliches Paar in einem Familiengrab beisetzen zu lassen. Emilie LieberherrExterner Link (1924-2011) beispielsweise, eine bekannte Zürcher Politikerin, die sich für die Rechte der Frauen einsetzte, wurde im gleichen Grab beigesetzt wie ihre Lebenspartnerin Minnie, mit der sie über 70 Jahren zusammengelebt hatte.

Familiengrab
Emilie Lieberherr und ihre Lebenspartnerin Minnie sind gemeinsam auf dem Friedhof Sihlfeld begraben. © Keystone / Walter Bieri

Es ist jedoch nach wie vor selten, dass man auf Familiengräbern die Namen von zwei Frauen oder Männern liest, sagt Bettina Burkhardt, Mitglied der Arbeitsgruppe “Regenbogen-Ruhe”. Sie ist als Vertreterin der Lesbenorganisation Schweiz (LOS) in der Arbeitsgruppe und gehört zur Generation der Babyboomer. “Unsere Generation und die Generationen vor uns sind in einem sehr konservativen Umfeld aufgewachsen, in dem Homosexualität natürlich tabu war. Viele wurden von ihren Familien nicht akzeptiert oder gar ganz ausgegrenzt.”

Queere Menschen sind oder waren deshalb auf die queere Community angewiesen, sagt Burkhardt. “Man wird zusammen älter und damit verbunden rücken andere Themen in den Vordergrund. Der Tod kommt näher und wir mussten schon von engen Freundinnen Abschied nehmen. So entstand bei vielen das Bedürfnis, einen Ort zu haben, wo man gemeinsam um die Liebsten trauern kann. Man möchte so ruhen, wie man gelebt hat.”

Offen für alle

Die Stadt Zürich bietet verschiedene Themengräber an. Zum Beispiel ein Grabfeld für Menschen, die mit ihren Haustieren begraben werden wollen, oder das Themengrab “Rebstock”, das  in einem terrassierten Feld mit Magerwiese, geschnittenen Eibenhecken und Hängebirken steht. Die Parzelle für LGBIQ-Personen schliesst an die anderen Themengräber an.

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Obwohl der Name “Regenbogen” lautet, steht das Grabfeld im Prinzip nicht nur der LGBTIQ-Community zur Verfügung. Denn die massgebliche kantonale Verordnung sieht zwar vor, dass Gemeinden besondere Grabfelder für Angehörige einer Religionsgemeinschaft einrichten können. Spezielle Grabfelder für andere Interessengruppen zu reservieren, ist hingegen nicht vorgesehen.

“Unser Fokus ist es, einen ‘Safe Space’ für queere Menschen zu haben. Aber jede und jeder kann hier ein Grab mieten. Wir sind offen für alle”, sagt Burkhardt.

Das Themengrabfeld “Regenbogen” bietet vorderhand ca. 30 Plätze, kann aber auf über 100 erweitert werden.

LGBT Grab
Unter der Steinplatte ist Platz für eine Urne. Die Namen der Verstorbenen sind auf hölzernen Grabmalen eingraviert Kaoru Uda

Abgrenzung oder Akt des Sichtbarmachens?

Über das Projekt Regenbogen-Ruhe berichteten mehrere Medien in der Schweiz. Teils waren die Reaktionen in den Kommentarspalten heftig. So hiess es etwa, man solle keine politischen Forderungen auf den Friedhof bringen. Oder dass ausgerechnet Menschen, die von der Gesellschaft akzeptiert werden wollten, sich nun von ihr abgrenzten.

Für Burkhardt ist es wichtig, dass LGBTIQ-Lebensformen auch über den Tod hinaus sichtbar bleiben können. Friedhöfe seien ein Abbild der Gesellschaft. “Dass wir in jüngster Zeit endlich in wichtigen Bereichen mehr Rechte erkämpfen konnten, ist ein wichtiger Fortschritt. Gleiche Rechte heisst längst noch nicht gleiche Akzeptant. Wir sind erst wirklich in der Gesellschaft angekommen, wenn uns wegen einem Grabfeld-Projekt nicht erneut Hass und Kritik begegnet.”

Ab September offen

Das Themengrab “Regenbogen” im Sihlfeld ist nur ein Teil des Projekts “Regenbogen-Ruhe”. In Zukunft wollen die Initiant:innen auch Biografien und die Orte der letzten Ruhe von verstorbenen queeren Menschen auf ihrer HomepageExterner Link veröffentlichen. Darüber hinaus sollen Gedenkveranstaltungen organisiert und Informationen über Dienstleistungen rund um den Tod für queere Menschen bereitgestellt werden. Zu diesem Zweck wurde auch ein Fonds eingerichtet.

Eröffnung des Grabfeldes ist im September. Reservationen werden von der Friedhofsverwaltung aber bereits seit Juli angenommen. Die Kosten für ein Grab betragen 2000 Franken für 20 Jahre – und 2450 Franken für Personen mit Wohnsitz ausserhalb von Zürich. Dafür übernimmt die Stadt den Grabunterhalt.

Die Friedhofsgärtnerei hat vor, das Grab möglichst farbig zu bepflanzen. Es soll auch so als Regenbogengrab sichtbar sein.

Editiert von Marc Leutenegger

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