Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Berlusconis Wahlsieg: Befürchtungen und Erwartungen in der Schweizer Presse

Die EU muss Berlusconi auf die Finger schauen, meint die Schweizer Presse swissinfo.ch

Italiens Wahlvolk hat entschieden: Zum zweiten Mal nach 1994 wird Silvio Berlusconi Regierungschef. Die Schweizer Presse nimmts mit Stirnrunzeln und Sorgenfalten zur Kenntnis.

Silvio Berlusconi habe es im Wahlkampf verstanden, Kritik an seiner Person als Angriff gegen Italien darzustellen. Seine geballte Medienmacht sei der wichtigste Grund für Berlusconis Wahlsieg. Er habe eine «geniale Kampagne» geführt, zitiert die «Basler Zeitung» Maria Antonietta Terzoli, Professorin für italienische Literatur an der Uni Basel.

Italien unter Beobachtung

Berlusconis Wahlsieg schmälere nichts von den massiven Einwänden, die zuvor gegen ihn geäussert worden seien, schreibt die BaZ und folgert: «Europa wird ihm auf die Finger schauen.» Denn eine Wahl sei kein Fluss, «der zur Läuterung durchschwommen wird.

Stirnrunzeln verursacht nicht nur der «Basler Zeitung» das «Koalitions-Sammelsurium» des Cavaliere mit der europa- und fremdenfeindlichen Lega Nord des populistischen Oberpolterers Umberto Bossi und der post-faschistischen Nationalen Allianz (AN) von Gianfranco Fini. Allerdings: Die Ansicht der BaZ, dass «in Italien noch üblere Burschen zum Regierungslager gehören als Haider in Österreich», wird sonst fast nirgendwo vertreten.

Berlusconi sei für die EU noch kein zweiter Fall Österreich, sondern nur ein in einer Demokratie normaler Regierungswechsel, meint das «St.Galler Tagblatt» und schreibt: «Er entbindet die EU aber keinesfalls davon, genau hinzusehen, ob Rom die gemeinsamen Werte beachtet. Und sie wird ohne Zweifel viel zu beobachten haben.»

Wirtschaftsgigant und Medienzar

Zu grösseren Befürchtungen Anlass gibt die wirtschaftliche und mediale Machtposition des Unternehmers Berlusconi. Gefährlich an ihm sei weniger «seine Macht- und Raffgier, als sein mangelhaftes Demokratie-Verständnis, das die Gewalten-Teilung ausser Kraft zu setzen droht», schreibt die «Aargauer Zeitung».

Und der Zürcher «Tages-Anzeiger» doppelt nach: «Es konnte also niemandem verborgen bleiben, dass da einer angetreten war, um seinem Medienimperium auch noch Italien einzuverleiben und sich damit eine Machtfülle anzueignen, die jeglichem Demokratieverständnis spottet.» Dennoch: Italien jetzt «abschreiben» mag der Tagi nicht: «Noch ist Italien nicht verloren», meint das Blatt.

Für die «Neue Zürcher Zeitung» sind nun nicht mehr Berlusconis «eher eigenartigen Interpretationen» des Interessenkonflikt-Problems gefragt, nötig seien nun vielmehr konkrete und glaubwürdige Antworten auf die Frage, wie er die Unverträglichkeit zwischen seinen privaten Geschäften und der Regierungstätigkeit zu beseitigen gedenke.

Allerdings herrsche da Skepsis, meint der Berner «Bund» – «mit gutem Grund». Denn so viel private Macht habe in der EU noch kein Regierungschef mitgebracht. Und die «Berner Zeitung» stellt sich die Frage: «Ist Berlusconi fähig, politische Ambitionen von ökonomischen Interessen zu trennen? Oder betrachtet er Italien schlicht als neue Firma seines Imperiums?»

Neues Italien

Die Ankündigung Berlusconis, neue Verhältnisse im Eiltempo zu schaffen, dürfte sich sowohl für Italien wie auch für die EU als «Zerreissprobe» erweisen, schreibt die «Neue Luzerner Zeitung». Und skeptisch fügt das Blatt an: «Das in Aussicht gestellte ’neue Italien› könnte sich dann als das entpuppen, wie es im Wahlkampf am Fernsehen präsentiert war: als Werbespot eines Medienzaren.»

Gelassener tönt es in der welschen Zeitung «24heures». Obwohl überrascht – «les voies suprenantes de l’alternance» – , sieht das Blatt die Zukunft Italiens nicht schwarz. Denn was der Mitte-Links-Regierung nicht gelungen sei, nämlich eine stabile, feste Koalition zu bilden, könne Berlusconi nun auf der rechten Seite an die Hand nehmen: mit einem Gianfranco Fini, der sich oft «republikanischer Werte à la Chirac» bezichtige und einem «abgehalfterten» Umberto Bossi – «le pari est jouable», meint «24heures».

Für den «Corriere del Ticino» sind die Wahlen eine Revolution aus der Mitte, «una rivoluzione dal centro». Soziologisch gesehen sei diese Revolution der Mitte jetzt «der Schlüssel zur Wende jeder modernen Gesellschaft». Das italienische Bürgertum 2000 setze auf ein neues Experiment, schreibt das Blatt. Aber auch für den «Corriere del Ticino» müssen jetzt die Fakten für sich sprechen: «Ora dovranno piu che mai parlare i fatti.»

Jean-Michel Berthoud

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft