Schwierige Schweizer Mission in Kolumbien
Bundesrätin Micheline Calmy-Rey ist am Sonntag nach Kolumbien und Brasilien abgereist. Besonderes Gewicht hat die Visite in Bogotà. Die Kritik Kolumbiens an der Schweizer Vermittlungsarbeit sorgte jüngst für Spannungen. Interview mit Kolumbien-Experte Thomas Fischer.
Die kolumbianische Staatsanwaltschaft wirft dem Schweizer Vermittler Jean-Pierre Gontard Parteinahme für die linksgerichtete Guerilla-Organisation Farc vor.
Nach der militärischen Befreiung von Ingrid Betancourt und 14 weiteren Geiseln im Juli, erklärte die Regierung von Präsident Alvaro Uribe, sie verzichte auf die Dienste europäischer Vermittler.
swissinfo: Wie stark sind die Beziehungen zwischen der Schweiz und Kolumbien durch die Gontard-Affäre belastet? Kann Aussenministerin Calmy-Rey in Bogotà reinen Tisch machen?
Thomas Fischer: Der kolumbianische Präsident setzte immer auf einen militärischen Konfrontationskurs mit der Guerilla und war mit dieser Strategie relativ erfolgreich. Er musste jedoch dem Druck der internationalen Gemeinschaft, insbesondere Frankreichs, nachgeben und in Verhandlungen zur Freilassung von Geiseln einwilligen.
Uribe hat bisher alle Vermittler nach einer gewissen Zeit abserviert – so auch den Schweizer Gontard. Calmy-Reys Besuch in Kolumbien wurde mit den kolumbianischen Partnern genau geplant. Keine Seite hat ein Interesse daran, etwas zu tun, was die Gegenseite kompromittieren würde.
Aber nachdem nun die schweizerische Mediation zu einem «Fall Gontard» gemacht wurde, kann es «reinen Tisch» erst geben, wenn die Staatsanwaltschaft Kolumbiens entweder stichhaltige Beweise vorlegt oder mangels juristisch verwertbarem Material die Ermittlungen einstellt.
Ob sich die kolumbianische Regierung dessen bewusst war, als sie den Vermittlern das Mandat entzog und suggerierte, Gontard habe als Komplize von Menschenräubern fungiert, entzieht sich meiner Kenntnis.
swissinfo: Warum wird Gontard von Bogotà weiterhin angegriffen?
T.F.: Die Regierung Uribe hat nach dem Denkmuster «wer nicht mein Freund ist, ist mein Feind» von Beginn an nie einen Hehl aus ihrer Abneigung gegen die Arbeit von Nichtregierungs-Organisationen und Anhängern eines verhandelten Friedens gemacht. Auch die Guerilla hat nie glaubwürdig kommunizieren können, dass sie einen verhandelten Frieden sucht.
In diesem aufgeheizten Klima sind andere Lösungsansätze schwer vermittelbar – vor allem wenn sie aus dem Ausland kommen. Das bekommt der Schweizer Vermittler nun zu spüren. In einer Kolumne des offiziösen El Tiempo wurde er als «nützlicher Idiot» bezeichnet.
swissinfo: Trotz diplomatischer Verstimmung möchte die Schweiz in Kolumbien weiter vermitteln. Was kann sie dort noch tun?
T.F.: Die Schweiz kann soviel tun, wie die Regierung Uribe und die kolumbianische Bevölkerung zulassen. Sie sollte weiterhin ihre Guten Dienste für Gespräche zwischen Regierung und Rebellen anbieten und auf humanitärem Gebiet Flagge zeigen.
Sie sollte auch bei der juristischen Aufarbeitung der Gewalt, bei der grosser Nachholbedarf besteht, sowie bei der Wiedergutmachung für die Tausenden von vergessenen Vertriebenen ihre Kompetenz zur Verfügung stellen.
Allerdings sind die materiellen Möglichkeiten der Eidgenossenschaft begrenzt, zumal humanitäre Hilfe für Länder ausserhalb Europas bei einem Teil der Schweizer Bevölkerung schwer vermittelbar ist.
swissinfo: Was sagen Sie zum Vorwurf Kolumbiens, es gebe eine Unterstützergruppe der Farc in Europa, die auch in der Schweiz aktiv sei?
T.F.: Es ist gut möglich, dass sich Repräsentanten der Farc in europäischen Ländern aufhalten – auch in der Schweiz. Und überall auf der Welt gibt es wohl ein paar verblendete Sympathisanten, die in den Farc die Verwirklichung des romantischen Guerilla-Ideals Che Guevaras sehen.
Der überwiegende Teil der Menschen in Europa denkt glücklicherweise nicht so. Die materielle und ideologische Unterstützung, die den Farc aus Europa zuteil wird, ist für ihren Kampf nicht ausschlaggebend. Denn der kolumbianische Konflikt ist nicht ferngesteuert, er hat innere Gründe.
swissinfo: Bei der Befreiung von Ingrid Betancourt ist das Rote Kreuz-Emblem bewusst missbraucht worden. Was bleibt in diesem Krieg sonst noch auf der Strecke?
T. F.: Das Ziel, dem die Regierung Uribe seit ihrem Amtsantritt alles unterordnet, ist die Niederringung der Guerilla. Hierbei ist sie in der Wahl ihrer Mittel nicht zimperlich. Den langfristigen Schaden wegen des Missbrauchs des IKRK-Emblems bei der Befreiung von 15 der vielen Hundert Geiseln nimmt sie offenbar ebenso in Kauf wie den Verlust der Glaubwürdigkeit bei trans- und internationalen Akteuren.
Kolumbianische Regierungen haben sich lange Zeit sehr schwer mit der Beachtung der Menschenrechte getan. Auch die Guerilleros scheren sich einen Deut darum, sonst nähmen sie keine Geiseln und würden nicht Kinder zu Soldaten ausbilden.
swissinfo-Interview: Geraldo Hoffmann
Zu Beginn ihrer Reise trifft die Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey mit dem kolumbianischen Präsidenten Alvaro Uribe und ihrem Amtskollegen Jaime Bermudez zusammen.
Der Besuch in Kolumbien diene in erster Linie der Pflege der bilateralen Beziehungen, heisst es beim Aussendepartement. Der Schwerpunkt der Reise liege bei den Feierlichkeiten zum 100-jährigen Bestehen des Freundschaftsvertrags zwischen den beiden Ländern.
Kolumbien gehört zu den Schwerpunktländern der Humanitären Hilfe und Friedensförderung der Schweiz.
Der Handel zwischen der Schweiz und Kolumbien hat in den letzten Jahren zugelegt, befindet sich allerdings auf tiefem Niveau.
Geb. 1959 in St. Gallen.
Studium der Geschichte, Germanistik und Medienwissenschaft an der Universität Bern.
Seit 2007 Professor für Geschichte Lateinamerikas an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (Bayern).
Er ist Co-Autor und Herausgeber des Sammelbandes «Kolumbien heute» (Vervuert-Verlag, 2001) und «Kolumbien – Land der Einsamkeit?», Horlemann Verlag.
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