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Wohnen auf dem Campingplatz ist in der Schweiz schwierig

Vorzelt mit Küche
Manche Dauercamper sind ausgerüstet wie zu Hause, aber offiziell Wohnen ist auf Schweizer Campingplätzen kaum erlaubt. Keystone / Martin Ruetschi

In den 1970er- und 1980er-Jahren war Dauercamping ein trendiges Hobby. Heute werden Dauermieter von Campingplätzen vertrieben. Die Gemeinden wollen nicht, dass jemand billig wohnt.

Es gab eine Zeit, in der Dauercamping der Garten des einfachen Mannes war. Rentner und Rentnerinnen, aber auch Berufstätige verbrachten die Freizeit auf dem Campingplatz an einem See oder Fluss und genossen die Natur.

Mieter und Mieterinnen von Dauerstellplätzen richteten sich häuslich ein, mit Vorzelt, Pflanzen und Gartenzwergen. Manche bauten gar Chalet-artige Vorbauten mit echten Küchen. So entstanden richtige Wohnwagen-Siedlungen.

Blick von oben auf einen Campingplatz
Luftaufnahme des Campingplatz bei Tenero am Lago Maggiore. © Keystone / Gaetan Bally

Jetzt bahnt sich laut Oliver Grützner, Leiter Tourismus und Freizeit beim Touring Club Schweiz (TCS), ein Konflikt an: “Manche entdeckten, dass man auf dem Campingplatz günstig wohnen kann.” So verlegte manch einer gar den offiziellen Wohnsitz auf den Campingplatz.

Wohnraum ist in der Schweiz teuer – die Preise liegen 82% höher als im EU-DurchschnittExterner Link. Mietwohnungen haben meist einen hohen Ausbaustandard, damit sie möglichst teuer vermietet werden können – Immobilien gelten als sichere Anlage. Billig und bescheiden wohnen ist in der Schweiz fast unmöglich – ausser auf dem Campingplatz.

Frau giesst Blumen vor Vorzelt
Blumengiessen wie im eigenen Garten. Keystone / Martin Ruetschi

Gemeinden verbieten Dauercamping

Doch in der Schweiz wird Wohnen auf dem Campingplatz nicht gern gesehen. “Die Gemeinden wollen keine Trailerparks für Randständige und Alkoholiker”, sagt Grützner. “Sie verschärfen die Auflagen oder verbieten Dauercamping.”

Tatsächlich haben in den letzten Jahren immer mehr Gemeinden Reglemente erlassenExterner Link, die Dauercamping unterbinden oder ganz verbieten.

Ein Beispiel: Die Gemeinde Thusis verlangte gemäss einem Medienbericht vom dortigen Camping-Platz, dass er den niedergelassenen Dauermietern kündigtExterner Link, woraufhin der finanziell angeschlagene Camping-Platz in Konkurs ging. Die Gemeinde bestreitet diesen Sachverhalt, räumt aber ein, dass für den Gemeinderat immer klar gewesen sei, dass der Campingplatz ein touristisches Angebot darstellt und nicht den Zweck hat, Wohnsitznahmen zu begründen. Die Gemeinde plant daher ein Reglement, das Übernachtungen auf Standplätzen nur für eine gewisse Anzahl Nächte zulässt.

Manchmal sind es auch die Campingplätze selbst, die nur Touristen und keine Wohnsitznahmen wollen. Der Campingplatz Fischer’s FritzExterner Link in Zürich, früher eine beliebte Adresse für günstiges Wohnen, nimmt keine neuen Dauermieter auf. Auf Anfrage von swissinfo.ch erklärt die Betreiberin, der Boden in Zürich sei so knapp, dass der einzige Campingplatz Zürichs für Touristen reserviert sei.

Auch die TCS-Campingplätze sind für Saisongäste reserviert, wohnen darf man dort nicht. Immer mehr Gemeinden und Kantone verbieten zudem das WildcampenExterner Link. In Deutschland ist das anders: Gemäss Schätzungen leben dort etwa 300’000 Menschen ganzjährig auf Camping-Plätzen.

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Naturliebhaber würden gerne auf Camping leben

Auch in der Schweiz gibt es Interessierte, die gerne auf Campingplätzen leben würden – und die keine Randständigen sind. Die Vorteile liegen auf der Hand: Natur, Geselligkeit und Ruhe – ein bescheidenes Leben auf dem Campingplatz ist unter Umständen attraktiver, als zu überrissenen Mietpreisen in Blockwohnungen an Verkehrsstrassen zu wohnen. Selbst wenn man dafür erhebliche Komfort-Einbussen in Kauf nehmen muss.

Wir haben mit einer Schweizerin gesprochen, die zwei Jahre lang auf einem Campingplatz gewohnt hat. Kathi ist weder Alkoholikerin noch eine Randständige, sondern eine ganz normale junge Frau mit einem Abschluss als Kaufmännische Angestellte, die als Sachbearbeiterin bei einer Behörde arbeitet.

Auf die Idee mit dem Campingplatz ist Kathi durch ihre Schwester gekommen: Diese lebte mit ihrem Lebenspartner in der Agglomeration Zürich, wo beide selbständig erwerbstätig waren. Eigentlich wünschten sie sich ein Häuschen mit Garten, fanden aber aufgrund der hohen Immobilienpreise kein bezahlbares Objekt. Also zogen sie vorübergehend auf einen Campingplatz am Rhein auf deutschem Boden, direkt an der Grenze zur Schweiz. Aus dem Provisorium wurde ein Dauerzustand: Inzwischen leben sie bald sechs Jahre dort – und sind glücklich.

Naturromantik und sozialer Zusammenhalt

Als eine schöne Parzelle mit Wohnwagen frei wurde, überlegte Kathi nicht lange. Sie bekam den Zuschlag, weil sie jung ist – die Dauermieter sind nämlich überwiegend im Rentenalter. Offiziell nahm sie zwar Wohnsitz bei ihrer anderen Schwester in der Schweiz, de facto zog sie aber in Deutschland auf den Campingplatz.

Das war günstig: 1200 Euro im Jahr, plus Strom- oder Gaskosten sowie 3 Euro pro Wäsche und 50 Cent pro Dusche. Für diesen Preis findet man in der Schweiz nicht mal ein Mansardenzimmer.

Kathi gefiel das Leben auf dem Campingplatz: “Man lebt sehr naturnah, ein Gewitter spürt man richtig, der Regen prasselt auf das Dach, und im Winter ist es still, das ist mega schön.” Sie sammelte Kräuter und Nüsse, kochte über der offenen Feuerstelle draussen und genoss frühmorgens den Blick über den Fluss.

Auch sei der Zusammenhalt unter den Menschen auf dem Campingplatz einzigartig, erzählt Kathi. “Man hilft sich gegenseitig. Als ein betagter Mann krank war, kam nicht nur die Spitex täglich, sondern auch die Dauercamper, um zu helfen.”

Ein raues Leben

Das Leben auf dem Campingplatz sei streng, sagt Kathi. Im Winter hatte sie kein fliessendes Wasser und musste alle zwei Tage eine neue Gasflasche für die Heizung besorgen. “Wenn das Gas in der Nacht ausgeht und man keinen Vorrat hat, wird es sehr unangenehm”, sagt Kathi nüchtern.

Angst hatte sie nie – nur bei Sturm. Da befürchtete sie, der Wind würde den Wohnwagen wegwehen. “Es braucht schon etwas Nerven”, gibt Kathi zu. Was es ebenfalls brauche, sei vorausschauendes Organisieren: Sie kaufte Wasservorräte und wog jeweils die Gasflasche ab, um berechnen zu können, ob das Gas für die Nacht reicht.

Trotz dieser Survival- oder Wildwest-Romantik ist das Leben auf dem Campingplatz nicht so freiheitlich, wie man meinen könnte. “Es ist mega bünzlig, es gibt viele Regeln”, erzählt Kathi. Beispielsweise darf man nur Blumen anpflanzen, keinen Salat. Über Mittag darf kein Lärm gemacht und am Sonntag keine Wäsche aufgehängt werden. Kathi führt das unter anderem darauf zurück, dass viele Dauercamper bereits im Rentenalter sind. “Das ist eine altmodische Generation”, meint sie.

Der Traum eines Tiny Houses

Wegen der vielen Regeln auf dem Campingplatz würde Kathi eigentlich gerne in einem Tiny House auf einem eigenen Grundstück leben, mit Feuerstelle unter dem freien Himmel und Salat im Garten.

Tiny House
Von einem solchen Tiny House, wie es in den USA beliebt ist, träumt Kathi. Keystone / Ben Margot

Aber dies ist in der Schweiz rechtlich kaum möglich. “Würde ich in den USA wohnen, hätte ich mir längst ein Tiny House auf Rädern gekauft”, sagt Kathi.

Was Kathi an der Idee schätzt, ist nebst der Naturverbundenheit auch die Gestaltungsfreiheit, die ihr in Schweizer Mietwohnungen fehlt. In ihrem Wohnwagen hat sie beispielsweise die Wände des Bads knallrot angestrichen mit weissen Pünktchen. “Wir Schweizer können uns kein eigenes Reich bauen, so wie wir es wollen”, erklärt Kathi. “Sogar den Bau eines Carports muss man hier behördlich absegnen lassen.”

Vom Campingplatz weggezogen ist Kathi übrigens einzig wegen der Liebe: Als sie eine Frau kennenlernte und sich verliebte, zogen sie zunächst zwar in Erwägung, zu zweit auf dem Campingplatz zu wohnen. Doch die Freundin hat ein eigenes Pferd und arbeitet bei der Spitex, was die Sache mit der Wäsche verkomplizierte. Zudem hätte die Freundin mit der Kälte zu grosse Mühe gehabt. Deshalb zog Kathi schliesslich zu ihrer Freundin in eine Wohnung. Das Wohnen auf dem Campingplatz bereut sie nicht. “Ich würde es sofort wieder tun!”

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