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Schweizer Botschafterin Cavassini: «Frankreich will nach vorne schauen»

Tania Cavassini
Botschafterin Tania Cavassini leitet neu die Schweizer Vertretung in Paris. EDA

Tania Cavassini ist die neue Botschafterin der Schweiz in Frankreich, ein Land, mit dem die Schweiz Geschichte und Kultur teilt und wirtschaftlich eng verbandelt ist. Im Interview mit Swissinfo verrät sie, wie das schweizerisch-französische Verhältnis vorankommen soll.

Tania Cavassini wusste «seit ihrem 15. Lebensjahr», dass sie Diplomatin werden wollte. Nach einer über 30-jährigen Karriere in diplomatischen, humanitären und unternehmerischen, öffentlichen und privaten Institutionen ist sie am 1. Januar dieses Jahres Schweizer Botschafterin in Frankreich geworden.

Ende April reiste sie die 880 Kilometer von Paris in den kleinen Kurort Amélie-les-Bains (Pyrénées-Orientales), um am 65. Kongress der Union des associations suisses de France (UASF) teilzunehmen – eine Premiere für die Botschafterin. Bei dieser Gelegenheit gab sie uns ein Interview.

Swissinfo: Was ist Ihre Verbindung zu Frankreich?

Tania Cavassini: Ich stamme aus Épalinges, nördlich von Lausanne, wo ich aufgewachsen bin. Frankreich war immer sehr präsent, da es buchstäblich auf der anderen Seite des Genfer Sees lag. Ich erinnere mich an Ausflüge nach Évian mit den Belle-Epoque-Schiffen der Compagnie Générale de Navigation (CGN) und an französisch-schweizerische Skipisten vor der Zeit der Personenfreizügigkeit. 

Mein Ziel ist es nun, die Intensität und Vielfalt der Beziehungen zwischen der Schweiz und Frankreich in allen Bereichen – Politik, Wirtschaft, Sicherheit, Kultur – zu beleuchten.

Mit über 212’000 Schweizerinnen und Schweizern beherbergt Frankreich die grösste Schweizer Gemeinschaft im Ausland. Welche Rolle spielt diese in Ihrer Mission?

Meine Rolle besteht darin, die Beziehungen zwischen den Staaten zu pflegen und aufrechtzuerhalten, genauer gesagt, die Interessen der Schweiz zu verteidigen und zu fördern. Die in Frankreich lebenden Schweizerinnen und Schweizer spielen eine wichtige Rolle in den französisch-schweizerischen Beziehungen. Sie lassen eine tiefe menschliche und kulturelle Verbindung lebendig werden.

Diese Gemeinschaft macht ein Viertel aller weltweit ansässigen Schweizer aus. Sie ist daher für mich von grösster Bedeutung. Viele von ihnen sind Doppelbürger:innen – etwa 80% – und verkörpern lebendige Brücken zwischen unseren Ländern.

Frankreich hat übrigens einige Schweizer Persönlichkeiten adoptiert, wie zum Beispiel Blaise Cendrars oder Jean-Luc Godard. Unsere Geschichten sind so eng miteinander verwoben, dass man sagen kann, dass die Schweiz und Frankreich sich gegenseitig geschaffen haben.

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Haben Sie Pläne, um die Rolle der Schweizerinnen und Schweizer in Frankreich aufzuwerten?

Ich stehe noch am Anfang meiner Amtszeit. Dieses Jahr feiern wir den 100. Geburtstag von zwei grossen Schweizer Künstlern: Wir haben kürzlich eine Veranstaltung zur Poesie von Philippe Jaccottet organisiert, und Jean Tinguely wird ab Juni im Grand Palais geehrt.

Im Jahr 2025 freue ich mich auch über die Wiedereröffnung des Schweizer Kulturzentrums in Paris im November nach mehrjähriger Renovierung. Die französische Sprache, die wir gemeinsam haben, bietet einen fruchtbaren Boden für den Austausch.

Welches sind heute die Hauptachsen der Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern?

Unsere Länder teilen weit mehr als eine Sprache oder eine Grenze. Die Schweiz ist der grösste europäische Investor in Frankreich – und der zweitgrösste weltweit nach den USA – mit mehr als 1300 in Frankreich ansässigen Unternehmen, die über 300’000 Arbeitsplätze zählen.

Die Schweiz ist auch das Land, das die meisten Arbeitsplätze in der Produktion schafft. Ich bin beeindruckt von der Zunahme der Schweizer Investitionen in Frankreich und der gegenseitigen Attraktivität der beiden Märkte.

In den letzten 20 Jahren haben wir eine spektakuläre Entwicklung erlebt: akademischer Austausch, grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Gesundheitswesen, Entwicklung gemeinsamer Infrastrukturen… All dies zeugt von einer Fülle von Initiativen. Auch in den Bereichen Wirtschaft, Sicherheit und natürlich Verkehr arbeiten wir täglich zusammen.

Schliesslich sind Demokratie und Menschenrechte gemeinsame Werte, die wir auch in regionalen und multilateralen Foren verteidigen. In einer Welt, in der die Demokratien immer mehr durch den Vormarsch autoritärer Regime bedroht sind, hat die Schweiz eine tragende Stimme, da sie die Demokratie als Vektor des Friedens und der nachhaltigen Entwicklung fördert.

Im Februar 2025 unterzeichneten Bundesrat Albert Rösti und Verkehrsminister Philippe Tabarot zwei Absichtserklärungen zum Ausbau des Schienennetzes zwischen unseren beiden Ländern. Was sind die konkreten Ziele?

Es geht darum, die Mobilität von Personen und Gütern entlang der gesamten Grenze zu verbessern. Es werden Arbeitsgruppen eingesetzt, um die Entwicklungsbereiche zu identifizieren. Es gibt auf beiden Seiten einen starken Willen, und das französische Verkehrsministerium beginnt in diesem Mai mit Überlegungen zur Finanzierung seiner Infrastrukturen. Ich weiss, dass die Schweiz um ihren Bahninfrastrukturfonds (BIF) beneidet wird, der eine langfristige Planung ermöglicht.

Viele Grenzgänger:innen, die jeden Tag in der Schweiz arbeiten, würden sich eine Verbesserung der Verbindung Lyon-Genf wünschen. Diese ist jedoch eine Regionalstrecke, auf der die Züge nicht mit hoher Geschwindigkeit verkehren können.

In diesem Frühjahr feiern wir auch das fünfjährige Bestehen des Léman Express, worüber ich mich sehr freue. Weitere Initiativen sind im Gespräch, um die tägliche Mobilität flüssiger zu gestalten und unsere beiden Gebiete besser miteinander zu verbinden.

Schliesslich würden wir es auch begrüssen, wenn der TGV wieder bis nach Bern fahren würde.

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Was die Sicherheitszusammenarbeit betrifft, so finden im Rahmen des Strategischen Dialogs über die Sicherheitspolitik zwischen der Schweiz und Frankreich regelmässige Gespräche statt. Was sind die jüngsten Entwicklungen?

Wir haben eine intensive und strukturierte Zusammenarbeit im Bereich der Polizei, der Justiz, des Militärs, des Verkehrs und der Nachrichtendienste. Jedes Jahr treffen sich die Verantwortlichen beider Länder.

Im Rahmen unserer militärischen Zusammenarbeit mit Frankreich führen wir zahlreiche gemeinsame Übungen durch, auch in unseren Alpen. Das Büro des Verteidigungsattachés, das Teil der Schweizer Botschaft in Frankreich ist, ist sehr aktiv.

Wie wird die Schweizer Neutralität in der aktuellen geopolitischen Situation von Frankreich wahrgenommen?

Sie wirft manchmal Fragen auf, aber sie wird respektiert. Meine französischen Gesprächspartner:innen verstehen unsere Position und versuchen nicht, sie in Frage zu stellen.

In diesem Zusammenhang erinnere ich bei meinen Treffen gerne an die historischen Meilensteine der Schweizer Neutralität, die mit dem Abkommen über den «Ewigen Frieden» zwischen Frankreich und den eidgenössischen Orten im Jahr 1516 nach der Schlacht von Marignano begann. Diese Neutralität wurde von den europäischen Mächten im Vertrag von Wien 1815 bestätigt und schliesslich im Haager Abkommen von 1907Externer Link kodifiziert.

Die einseitige Aufkündigung des Rahmenabkommens durch die Schweiz im Jahr 2021 wurde von der EU negativ aufgenommen, auch in Frankreich. Wie ist der aktuelle Stand der Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern?

Die Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU über ein neues Paket von Abkommen wurden im Dezember 2024 nach umfangreichen Arbeiten abgeschlossen. Die Abkommen wurden in der Zwischenzeit paraphiert. Wir sind nun in eine neue Phase eingetreten, in der das Vernehmlassungsverfahren und die parlamentarische Phase die nötige Zeit in Anspruch nehmen werden. Ich spüre bei meinen französischen Gesprächspartnern den Wunsch, nach vorne zu schauen.

Seit Januar 2015 gibt es kein bilaterales Abkommen mehr, das die Erbschaftsbesteuerung zwischen Frankreich und der Schweiz regelt, was Doppelbesteuerungsfällen Tür und Tor öffnet und vielen Schweizer Bürger:innen Probleme bereitet. Sind Gespräche geplant, um diese Situation zu ändern?

Derzeit gibt es keinen politischen Willen, die Verhandlungen über dieses Thema wieder aufzunehmen.

Editiert von Samuel Jaberg. Übertragung aus dem Französischen: Giannis Mavris

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