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Unicef: «Viele Kinder kennen nur das Leben im Schutzkeller»

Keystone-SDA

Nach fast vier Jahren russischem Angriffskrieg sind nach Angaben von Unicef sieben von zehn Kindern in der Ukraine von Armut betroffen. "Es fehlt ihnen an grundlegenden Dingen für das tägliche Leben", sagte der Geschäftsführer von Unicef Deutschland, Christian Schneider, der Deutschen Presse-Agentur nach einem Besuch im ostukrainischen Gebiet Charkiw. Dennoch seien viele Menschen weiter gewillt, selbst in frontnahen Gebieten zu bleiben. Von ursprünglich etwa siebeneinhalb Millionen Kindern seien weiter etwa fünf Millionen in dem osteuropäischen Kriegsland geblieben.

(Keystone-SDA) Vor dem kommenden Winter versorge die UN-Organisation gerade Schulen und Kindergärten angesichts der ständigen Stromausfälle mit Generatoren, geholfen werde beim Abdichten und Erneuern von Fenstern. «Damit diese Einrichtungen für die Kinder warme Orte sein können inmitten des einbrechenden Winters», sagte Schneider. In frontnahen Gebieten gehe es auch um die Ausstattung von Schutzkellern in Bildungseinrichtungen.

«Ein Leben voller Ängste, Alpträume und Attacken»

Ziel sei es, den Kindern etwas Stabilität zu geben und Präsenzunterricht zu ermöglichen. Dabei habe er auch vierjährige Mädchen und Jungen in einem Kindergarten getroffen. «Sie haben in ihrer kurzen Lebensspanne nie etwas anderes kennengelernt als ein Leben im Luftschutzkeller, ein Leben voller Ängste, Alpträume und ständig neuer Attacken», so Schneider. Inzwischen gebe es durch Unterbrechungen des Unterrichts wegen der Luftangriffe und Stromausfälle immer häufiger Lernrückstände. «Wir gehen davon aus, dass zum Beispiel bei 15-Jährigen ein Bildungsrückstand mittlerweile von durchschnittlich zwei Jahren im Lesen zu sehen ist», konstatierte der Unicef-Vertreter.

Nach Ansicht der örtlichen Mitarbeiter des Kinderhilfswerks zeigen über 80 Prozent der Kleinkinder Anzeichen emotionaler Belastung. «Teilweise Entwicklungsverzögerungen, was durch die Kriegserschütterungen bedingt ist.» Jedes zweite Kind habe die Vorschulzeit komplett verpasst, weil es kaum sichere Kindergärten gebe. Und auch bei älteren Kindern seien Kriegsfolgen sichtbar. «Etwa ein Drittel der Jugendlichen ist so sehr von einer Traurigkeit und von depressiven Zuständen erfasst, dass sie nur schwer noch den alltäglichen Dingen nachgehen können», stellt Schneider fest.

Auch die Eltern sind zermürbt

Die Kriegsbelastungen zehren auch an den Müttern und Vätern. «Viele Eltern sind durch die lange Kriegsdauer gerade in der Region Charkiw in den frontnahen Gemeinden wirklich zermürbt», sagt Schneider. Gerade deshalb seien geöffnete Kindergärten und Schulen mit Schutzkellern wichtig. Für die Mütter sei es eine Erleichterung, ihre Kinder wenigstens ein paar Stunden am Tag an einem sicheren Ort zu wissen, sagte der Unicef-Geschäftsführer.

Im Februar 2022 marschierte die russische Armee in die Ukraine ein. Der Angriff verursachte unter anderem die grösste Fluchtbewegung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Unicef ist das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen.

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