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Wie Sansibar zum Schweizer Fluchtort wurde

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Rendel Arnel und Jasmin Feierabend beim Videodreh auf Sansibar. Isolda Agazzi

Junge Schweizerinnen und Schweizer entflohen der Pandemie nach Sansibar, um dort ihre Projekte zu verfolgen. Jetzt sind die Sorgen auch auf der Insel angekommen. Eine Reportage.

Am Meer in der Nähe von Stonetown stehen die Ruinen des Mtoni-Palasts, einst vom ersten Sultan von Sansibar erbaut. Junge Einheimische singen und tanzen zwischen den alten Säulen. Ein Kameramann filmt. Es wird ein Videoclip. In der Ferne fügt das Grollen des Sturms eine überraschende Bassnote hinzu.

Der Ort hat Anziehungskraft. Gedreht wird für Jasmin Feierabend, sie ist eine Zürcher Sängerin. “In Zürich habe ich ein Catering-Geschäft, ich mache Street Food und Musik”, erzählt sie. Aber mit dem Coronavirus ist alles verunmöglicht. “Also habe ich mich entschlossen, nach Tansania zu kommen, weil es eines der wenigen Länder auf der Welt ist, in denen kein Test erforderlich ist.”

Paradies ohne Coronavirus

Der tansanische Präsident John Magufuli ist diese Woche nach anhaltenden Gerüchten, er sei an Covid-19 erkrankt, verstorben. Er hatte im vergangenen April erklärt, das Land habe das Virus durch Gebet, Fasten und Heilpflanzen besiegt. Erst diesen Februar hat Tansania halbherzig die Existenz des Coronavirus anerkannt. Immerhin hatte das Virus auch zum Tod des Vizepräsidenten der Inselgruppe Sansibar geführt, Seif Sharif Hamad.

Sorgen gab es zuvor nicht. Da war etwa diese Silvesterparty im Kendwa Rocks, einem beliebten Restaurant im Norden Sansibars. “Alle fühlten sich lebendig und frei, ohne Angst vor dem Virus”, erinnert sich Jasmin Feierabend. An dieser Party lernte sie Said kennen, einen Filmproduzenten.

“Er sah mich singen und brachte mich in ein Aufnahmestudio, in dem auch das sansibarische Fernsehen arbeitet.” Sie begannen mit Dreharbeiten. “In kurzer Zeit hatten wir zwei Songs komponiert, nun werden wir das Musikvideo zu einem davon drehen”, sagt Jasmin Feierabend.

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Szene aus dem Videoclip der Zürcher Sängerin Jasmin Feierabend. Isolda Agazzi

Keine Angst vor dem Virus? Jasmin Feierabend sagt: “Nein, alle hier sind am Leben und ich habe mich auch dafür entschieden. Ich bin sicher, dass ich ein sehr starkes Immunsystem habe und ich weiss, dass ich noch stärker bin, wenn ich glücklich bin. Ich kann mir nicht vorstellen, in meiner Wohnung zu bleiben. Das Leben ist in Afrika, besonders in Tansania.”

Der Angst der Heimat entkommen

Rendel Arner ist für die Dekoration am Filmset zuständig. In der Schweiz ist sie Sportlehrerin und Künstlerin, unter anderem macht sie Bodypainting. Das hat die Pandemie verunmöglicht. Sie sagt: “Ich habe Glück, denn ich bin Lehrerin und habe ein Einkommen. Aber für meine Psyche musste ich einen Ausgleich finden und mich ausdrücken. Ich wollte der Angst in der Schweiz entkommen.”

Nach diesem Aufenthalt in Sansibar hofft Arner, ihre guten Schwingungen in der Schweiz weitergeben zu können: “Viele meiner Künstlerfreunde sind im Ungewissen und wissen nicht, wie es weitergeht.”

Keine Angst vor dem Virus? Arner sagt: “Ich weiss, dass es existiert. Ich hatte Familienmitglieder, die daran gestorben sind. Wir werden mit diesem Virus leben müssen. Eine Gesellschaft lebt nicht von der Vorsicht allein, sie lebt von der Fürsorge füreinander. Angst hält Menschen davon ab, Lösungen zu finden.”

“Der einzige Ort auf der Welt”

Der Sturm, der sich drohend über den morgendlichen Filmaufnahmen zusammengebraut hatte, brach nicht aus. Am Abend wehte eine sanfte Brise über Sansibars Hauptstadt. Die Töne des Thaarab, der traditionellen Musik, klangen von der Dhow Countries Music Academy her durch die Gassen, der einzigen Musikschule der Insel.

Die Musik stoppte immer wieder, um dem Gebetsruf aus den unzähligen Moscheen der Stadt Platz zu machen. Dann mischten sich die Glocken des Hindutempels mit denen der beiden Kirchen auf dem Platz. Seit Jahrhunderten vermischen sich auf Sansibar afrikanische, arabische, indische und persische Einflüsse.

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Auf der Dachterrasse des Emerson, eines ehemaligen Palasts, der heute ein Hotel ist. Isolda Agazzi

Auf dem Boden sitzend, auf bestickten Kissen im orientalischen Stil, geben sich die Touristen der Magie des Ortes hin, während ein paar Dhows, die Boote mit dem typischen weissen dreieckigen Segel, langsam am Hafen vorbeiziehen.

Unter ihnen ist auch Andreas, ein 22-jähriger Zürcher, der drei Monate als Freiwilliger in Tansania verbracht hat. “Ich mache mein Auslandjahr, und Tansania war der einzige Ort auf der Welt, an dem es keine Einschränkungen gab”, sagt er. “Ich kam als Freiwilliger, um mit der lokalen Bevölkerung zu arbeiten und etwas Sinnvolles zu tun.”

Seit dem Tod des sansibarischen Vizepräsidenten spürt der Entwicklungshelfer, dass die Menschen beginnen, sich Fragen zu stellen: “Die Dinge ändern sich, nicht extrem, aber es ist ein bisschen seltsam.”

In Tansania gibt es Covid-19 offiziell erst seit dem 21. Februar. Nachdem im vergangenen Frühjahr 509 Fälle aufgetreten waren, rief Präsident John Magufuli drei Tage des Gebets und des Fastens aus. Er rief die Bürger dazu auf, Heilpflanzen zu verwenden, um dann zu erklären, dass das Virus verschwunden sei.

Sein Tod im Alter von 61 Jahren fiel mit dem Ausbruch einer zweiten Welle von Coronavirus-Infektionen zusammen. Tansanias Vizepräsidentin Samia Suluhu Hassan wird das erste weibliche Staatsoberhaupt des Landes werden.

Sie ist 61 Jahre alt und stammt von der halbautonomen Inselgruppe Sansibar. Die Tansanier fragen sich, was sie aus dem politischen Vermächtnis von Präsident John Magufuli mitnehmen wird, der wegen seiner grossen Infrastrukturprojekte und dem Kampf gegen die Korruption den Spitznamen “der Bulldozer” trug.

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