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«Sich positionieren ist Gift für die Neutralität»

Yvette Estermann

Die Neutralität sei wichtiger denn je, denn die Schweiz könne nur dann vermitteln und Frieden stiften, wenn sie sich nicht schon vorher positioniere. Das schreibt SVP-Nationalrätin und Mitglied der Aussenpolitischen Kommission, Yvette Estermann.

Den Ursprung der Schweizer Neutralität können wir auf den 20. November 1815 datieren, im Anschluss an den «Wiener Kongress». An diesem Tag wurde der Schweiz per Dekret die immerwährende Neutralität zugestanden. Damals hat sich die Schweiz mit der Neutralität mehr oder weniger arrangiert.

Später aber, im französisch-preussischen Krieg von 1870 und auch während des ersten Weltkriegs, profitierte die Schweiz von ihrer Neutralität, da sie sich nicht auf eine Seite schlagen musste.

Yvette Estermann wurde in der damaligen Tschechoslowakei geboren, studierte in Bratislava Medizin, zog 1993 nach Kriens (Luzern) und ist heute Nationalrätin der Schweizerischen Volkspartei (SVP). Seit 2007 ist sie Mitglied der Aussenpolitischen Kommission.

Als wichtiger Punkt bei der Neutralität erwies sich der humanitäre Aspekt. Dieser wurde sehr wichtig während der zwei Weltkriege und dann auch im kalten Krieg. Die Schweiz hielt sich aus dem Geschehen heraus, konnte helfen und vermitteln. Niemand kann sagen, was im 2. Weltkrieg für die Schweiz herausgekommen wäre, wenn sie sich zum Beispiel als Freund Hitlers darstellt hätte. Oder was wäre umgekehrt gewesen…?

Die Neutralität ist ein sehr wertvolles Gut, die in Friedens- und Kriegszeiten eine wichtige Rolle spielt, – vielleicht sogar eine entscheidende Rolle!

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Debatte
Gastgeber/Gastgeberin Giannis Mavris

Welche Zukunft hat das Schweizer Neutralitätsmodell?

Kann es in Zeiten der Blockbildung und des geopolitischen Antagonismus überhaupt einen neutralen Weg geben?

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Als ich in der damaligen Tschechoslowakei zur Grundschule ging und wir die «Welt-Nachrichten» besprachen, las ich oft in der Zeitung, dass die Schweiz das Zentrum von Friedensgesprächen war. Für mich fühlte es sich sogar so an, als ob die Schweiz – zusammen mit der Stadt Genf – der Mittelpunkt der Weltfriedens-Bemühungen waren. Das hat mich seinerzeit sehr beeindruckt.

In der Schweiz angekommen, wurde ich deshalb ein noch grösserer Fan des wertvollen Instruments Neutralität. Leider startet man auf sie immer wieder Angriffe. Die Diskussion über ihre Rolle und deren Nutzen ist in Ordnung, aber die Neutralität zu verwässern und aufzuweichen, finde ich nicht gut. Das ist für das Land und die Menschen schädlich.

Es war die ehemalige Aussenministerin Calmy-Rey, welche den Begriff der «aktiven Neutralität» prägte. Aber was hat das der Schweiz gebracht? Hat sie in irgendeiner Weise von diesem Vorgehen profitiert? Im Gegenteil: Die Schweiz wird nicht mehr so oft angefragt, um vermittelnde oder diplomatische Gespräche zwischen verfeindeten Parteien zu führen. Andere Länder haben diese Aufgabe übernommen und das finde ich persönlich schade. Ich wünsche mir, dass die Schweiz an ihre erfolgreiche Zeit als Vermittlerin anknüpft und da hat Kritik an der Staatsführung oder eine direkte Einmischung in Konflikte nichts verloren und kann nur stören.

Es klingt immer schön, wenn man beim «Hochhalten» der Menschenrechte Personen in «Gute» und «Böse» einteilt. Doch wie wollen wir vermitteln oder Frieden stiften, wenn wir uns schon vorher positionieren? Das ist Gift für die Neutralität! Es scheint mir wichtiger denn je, Konflikte, Streitigkeiten und Vorwürfe mit einer neutralen Haltung zu bewerten. Was bringt es der Welt oder der Schweiz, wenn wir zu jedem Konflikt Partei ergreifen? Nicht zu urteilen ist kein Zeichen der Schwäche oder der Angst. Es ist ein mutiger Weg, um Konflikte in dieser Welt zu lösen!

«Ohne die Schweiz als Mediatorin und Vermittlerin hätten wir noch mehr Chaos auf dieser Welt.»

Zum Engagement der Schweiz im Kosovo: Die Mitglieder der Schweizer Armee – im Rahmen der KFOR – sind in diesem Land für die Bevölkerung von grosser Wichtigkeit. Die Menschen dort wissen, dass die Soldaten Angehörige eines neutralen Staates sind. Das spielt für viele ausserhalb des Kosovo vielleicht keine grosse Rolle, für die direkt betroffenen aber wohl.

Was würde passieren, wenn die Schweiz ihre Neutralität aufgibt? Wird die Welt dadurch besser oder friedlicher? Ich bezweifle es und bin überzeugt, dass die Schweiz als neutrales Land ihre wichtige Rolle auf dieser Welt wahrnehmen muss, – jetzt und auch in Zukunft. Ohne die Schweiz als Mediatorin und Vermittlerin hätten wir noch mehr Chaos auf dieser Welt und das können wir uns einfach nicht leisten.

Die in diesem Artikel geäusserten Ansichten sind ausschliesslich jene der Autorin und müssen sich nicht mit der Position von swissinfo.ch decken.

In einer Serie äussern sich Gastautoren und Gastautorinnen zur ethischen Vertretbarkeit der Schweizer Neutralität. Lesen Sie hier die anderen Beiträge:

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