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Flirt mit der Nato, Sitz im Sicherheitsrat – schwankt die Neutralität der Schweiz?

«Auch die neutrale Schweiz darf Sanktionen verhängen»

Elisabeth Hoffberger-Pippan

Soll sich die Schweiz angesichts geopolitischer Spannungen stärker positionieren? Die Sicherheitsforscherin und Völkerrechtlerin Elisabeth Hoffberger-Pippan vom Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit in Berlin schreibt im Standpunkt, warum die Schweizer Neutralität dem Ergreifen von Sanktionen nicht entgegensteht.

Wer als Aussenstehender an die Schweiz denkt, dem kommt bald einmal die Neutralität in den Sinn. Seit dem Wiener Kongress 1815 rechtlich verankert, zählt die Neutralität seit langem zu den Eckpfeilern der Schweizer Aussenpolitik.

Geopolitische Spannungen, um nicht zu sagen Verwerfungen der internationalen Beziehungen – die mitunter durch das Auftreten verschiedenster despotischer Machthaber, wie Jair Bolsonaro oder Donald Trump weiter verschärft wurden –, lassen einmal mehr die Frage aufkommen, wie sich die Schweiz positionieren soll.

Die Rechtswissenschaftlerin Elisabeth Hoffberger-Pippan stammt aus Österreich und forscht derzeit über Sicherheits- und Verteidigungspolitik, Streitkräfte und Militär sowie Völkerrecht am Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit in Berlin.

Spätestens seit dem Giftgasanschlag mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok auf Alexei Nawalny, gilt diese Frage insbesondere für die Beziehungen zu Russland. Dabei darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass die rechtliche und die politische Dimension des Begriffs Neutralität nicht immer deckungsgleich sind. Was aus neutralitätspolitischer Sicht fragwürdig erscheint, kann völkerrechtlich unproblematisch sein.

Die Schweiz hat erklärt, sich dauerhaft und nicht nur in Bezug auf einen konkreten Konflikt neutral zu verhalten. Man spricht von dauernder Neutralität. Mit dieser Erklärung hat die Schweiz ein Rechtsverhältnis begründet, das über eine rein aussenpolitische Entscheidung hinausgeht.

Seit 1990 beteiligt sich die Schweiz auch an nichtmilitärischen Sanktionen innerhalb des Uno-Regimes. Dabei wurde im Bericht des Bundesrates zur Neutralität vom 29.11.1993 eindeutig klargestellt, dass die Teilnahme der Schweiz an von der Uno getragenen Wirtschaftssanktionen mit der Neutralität vereinbar ist.

Gerade breit unterstützte Sanktionen – eingebettet in das Uno-Regime – fördern die Einhaltung des Völkerrechts und sind im weitestgehenden Interesse der internationalen Staatengemeinschaft gelegen.

Anders verhält es sich in Bezug auf Russland. Gegenüber einem Mitglied des Uno-Sicherheitsrates Sanktionen zu verhängen, ist praktisch unmöglich. Russland könnte ein Veto einlegen.

Indes stellt sich die Frage, ob sich die Schweiz an die Sanktionspraxis der EU anlehnen und selbst unilaterale Massnahmen verhängen soll, die ein klares Signal in Richtung Moskau senden. Der Status eines immerwährend neutralen Staates steht hier in einem klaren Spannungsverhältnis zur Frage, wie sich die Schweiz angesichts der aktuellen Spannungen positionieren soll.

Bereits im Jahr 2014 hat die Schweiz angesichts der Krim-Annexion Richtlinien erlassen, die es Schweizer Banken und anderen Finanzinstitutionen verboten haben, mit gewissen Personen – meist aus dem Machtzirkel rund um Vladimir Putin – in Geschäftsbeziehungen zu treten.

Der Bundesrat hat ausserdem ein Ausfuhrverbot für gewisse militärische Güter verhängt. Mit Sicherheit handelte es sich hierbei um einen wahrlichen Spagat zwischen aktiver Neutralitätspolitik und dem Bewusstsein, dass die Schweiz gerade nicht zum Zwecke der Umgehung der durch die EU verhängten Sanktionen missbraucht werden darf.

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Debatte
Gastgeber/Gastgeberin Giannis Mavris

Welche Zukunft hat das Schweizer Neutralitätsmodell?

Kann es in Zeiten der Blockbildung und des geopolitischen Antagonismus überhaupt einen neutralen Weg geben?

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Ob dies nun einen generellen Richtungswechsel der Schweizer Aussenpolitik bedeutet, ist indes fraglich. Die Annexion der Krim durch Russland wurde (und wird) vom Westen als eklatante Verletzung des Völkerrechts gewertet, die Uno Generalversammlung hat erst im Winter 2020 Russland aufgefordert, seine Truppen abzuziehen. Die Schweiz, so scheint es zumindest, ist dann verhältnismässig offen für Sanktionen, wenn diese durch einen relativ breiten Konsens innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft getragen sind.  

Gerade in letzter Zeit lassen Politiker aufhorchen, die fordern, dass der Schweizer Bundesrat die Kompetenz erhalten soll, Konto- oder Einreisesperren gegen bestimmte Personen – insbesondere im Fall begangener Menschenrechtsverletzungen – zu verhängen. Dies würde doch deutlich über die bisherige Schweizer Sanktionspraxis hinausgehen und erhebt zudem die Frage, ob die bislang gelebte Schweizer Neutralität überhaupt noch als zeitgemäss betrachtet werden kann.

Aus völkerrechtlicher Sicht ist das Verhängen von Wirtschaftssanktionen unproblematisch, da es sich gerade nicht um das Beziehen einer konkreten Position im Rahmen eines bewaffneten Konflikts handelt. Vielmehr muss sich die Schweiz die Frage stellen, ob der politische Wille hierzu gegeben ist.

Österreich – ein ebenso neutrales Land und seit 1995 EU-Mitglied – beteiligt sich seit Jahren an Wirtschaftssanktionen, einschliesslich jener gegen Russland. Es ist wohl auch Zeit, dass die Schweiz ihr politisches Konzept sowie ihre aussenpolitische Positionierung überdenkt. So und nur so können Sanktionen – einschliesslich jener, welche durch die EU verhängt wurden – volle Effektivität erlangen.

Selbst wenn von mancher Seite davor gewarnt wird, dass die Schweiz ihre Rolle als neutrales Land und ihre damit zusammenhängende Bedeutung für die internationalen Beziehungen nicht aufgeben darf, so sollte gleichsam eindringlich davor gewarnt werden, dass Sanktionen auch nicht «durch die Hintertür» über Schweizer Finanzwege umgangen werden dürfen. Die hier entstehende politische Debatte wird uns noch lange begleiten und das Fundament Schweizer Aussenpolitik wie nie zuvor in Frage stellen.

Die in diesem Artikel geäusserten Ansichten sind ausschliesslich jene der Autorin und müssen sich nicht mit der Position von swissinfo.ch decken.

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