Grosse Skepsis gegenüber Schweinegrippe-Impfung
Der Aufruf der Schweizer Regierung, besonders mit einem hohen Krankheitsrisiko behaftete Personen sollten sich gegen den H1N1-Virus impfen lassen, verhallt bisher ziemlich ungehört im Land.
Die Schweizer stellen sich gegenüber dem behördlichen Aufruf recht taub. Viele sind nämlich der Ansicht, die Bedrohung durch diese Grippe werde übertrieben.
swissinfo.ch hörte sich in einem Mütterzentrum in Bern um, wo sich aber keine Eltern finden liessen, die sich oder ihre Kinder impfen lassen wollten.
«Sicher nicht», sagte eine Mutter. «Die Nebeneffekte dieser Impfung sind aus meiner Sicht zu wenig eingehend geprüft. Ich habe von Leuten mit Eiweiss-Allergien gehört, die nach der Impfung in einen Schockzustand fielen.»
Bei der Produktion des Impfstoffs werden Virus-Versionen in Hühnereier-Embryos eingespritzt, wo sie während mehrerer Monate ausgebrütet werden. Das Eiweiss wird dann entnommen und dem Impfstoff beigegeben.
Laut dem Pharmaunternehmen Novartis haben die deutschen Behörden ihre Bewilligung für eine neue Schweinegrippe-Impfung gegeben, auf Basis von Zellkulturen statt Eier-Embryonen.
Die Registrierung dieser Zellkultur-Methode wird nun auch für die Schweiz vorangetrieben.
«Es ist schon verrückt, wie das Ganze von den Medien hochgespielt wurde, im Vergleich zu anderen Krankheiten, die man im Vergleich dazu beinahe schon tabuisiert», argumentiert die befragte Mutter weiter. «Zum Beispiel bei der Hepatitis. Niemand schreibt über diese Krankheit, die mir gefährlicher als die Grippe zu sein scheint.»
Sie wüsste niemanden in ihrem Freundeskreis, der seine Kinder impfen liesse, «einfach weil der Impfstoff nicht genügend durchgetestet wurde. Wir haben auch schwangere Frauen hier. Sie lassen sich auch nicht impfen, weil sie die Auswirkungen auf das Baby nicht kennen.»
Weshalb bleibt die Skepsis trotz behördlichem Impfaufruf weitverbreitet? «Die Regierung selbst scheint sich nicht sicher zu sein. Der Impfstoff wurde nicht genügend getestet. Wir wissen nicht, wie die Leute auf den Impfstoff reagieren werden.»
Ausserdem sei bei jedem neuen grossen Impfstoff viel Geld zu verdienen. Dies könne zu Manipulationen führen. Und das ärgere sie.
Argwohn im ganzen Land
Ein gewisser Argwohn gegenüber den grossen Pharmafirmen zeigt sich auch in den Antworten der anderen Mütter.
«Bei mir hinterlässt einen schalen Geschmack, dass die Behörden so eng mit Daniel Vasella zusammenarbeiten», sagt ein Vater. Vasella ist CEO von Novartis. «Dies diskreditiert für mich bereits das ganze Thema Impfen.»
«Ausserdem finde ich, Vasellas Bonus ist schon hoch genug!» (Im abgelaufenen Geschäftsjahr verdiente der Novartis-CEO insgesamt 40,3 Mio. Franken).
Auch er will sein Kind nicht impfen lassen: «Ich fragte nochmals die Kinderärztin. Sie befand es nicht für notwendig.» Er glaube, am Ganzen sei viel Panikmache dabei.
Eine andere Mutter sagte, sie sei «grundsätzlich gegen Grippe-Impfungen».
Diese skeptischen Meinungen spiegeln einen landesweiten Argwohn. Eine kürzlich gemachte Umfrage der Zeitung SonntagsBlick ergab, dass fast neun von zehn Antwortenden sich keine Impfung machen lassen wollen.
Ähnliche Relationen ergeben sich, wenn es um die saisonale Grippe geht: Rund 9 von 10 Befragten haben sich nicht gegen die Saisongrippe impfen lassen. Knapp die Hälfte lässt sich impfen, wenn eine Reise in entfernte Länder ansteht.
Fast 60% denken, die Regierung habe mit den Schweinegrippe-Warnungen übertrieben.
Noch keine Todesfälle
Jacques de Haller von der Verbindung der Schweizer Ärzte (FMH) hat zugeben müssen, dass weitere Überzeugungs-Arbeit nötig sei.
Denn die Schweinegrippe-Toten in der ganzen Welt sprächen eine ganz andere Spache, sagt er. Mehr als Tausend allein seien in den USA gestorben, einige Hundert in Grossbritannien. Und die Grippewelle würde Kontinental-Europa bald erreichen.
Statistisch hat die Schweiz bisher mehr als 1550 registrierte Fälle registriert. 30 davon mussten hospitalisiert werden. Aber bisher gab es noch keine Toten – ein Umstand, den der Direktor des Bundesamtes für Gesundheit, Thomas Zeltner, als «doch recht erstaunlich» einschätzt.
Schweizerischer Nachteil
Anfang Woche sah sich Zeltner gezwungen, den nationalen Impfplan zu verteidigen. Er verneinte ein angebliches Chaos und bestätigte, dass die Impf-Programme nach vorgesehenem Zeitplan verliefen – mit einem Immunisierungsbeginn in den meisten Kantonen ab Mitte November.
Er trat damit Kritiken in den Medien und seitens einiger Ärzte entgegen, wonach der Landes-Impfplan unkoordiniert abgelaufen sei. Moniert wurde auch der Umstand, dass die Behörden zu lange gebraucht hätten, die beiden Impfstoffe freizugeben, die benutzt würden.
Gegenüber dem Tages-Anzeiger vom 10. November gab Zeltner zu, dass die Schweiz als Land gegenüber anderen benachteiligt sei. Das Gesundheitswesen sei zu komplex: Alle 26 Kantone des Landes könnten autonom über Massnahmen im Gesundheitswesen entscheiden.
Am gleichen Tag gebrauchte der oberste Apotheker des Kantons Bern, Samuel Steiner, harte Worte für die Beschreibung des Impf-Verteilungs-Plans: Dieser leide unter einem gedanklichen Defizit.
Laut Steiner ist der Impfstoff in viel zu grosse Einheiten von 500 Stück verpackt worden – einmal aufbereitet, könne er nur während 24 Stunden gelagert werden.
Es besteht eine gewisse Furcht, dass die Ärzte abgelaufene Impfstoffe wegwerfen müssen.
Thomas Stephens, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Englischen: Alexander Künzle)
Die Schweiz hat 13 Mio. Dosen des H1N1-Impfmittels bei Novartis und GlaxoSmithKline bestellt.
Beide Impfstoffe enthalten einen Zusatz aus Öl, der Antikörper anregt.
Laut Novartis und GlaxoSmithKline gleichen die Nebeneffekte dieser Impfung jener eine Impfung gegen die Saisongrippen: Mögliche Rötung und leichtes Schwellung bei der Einstichstelle, Fieber, Glieder- und Kopfschmerzen.
Die Polemik rund um die Impfstoffe gegen Schweinegrippe wird auch das Parlament beschäftigen.
Die ständerätliche Gesundheitskommission (SGK) sieht zwar keinen unmittelbaren Handlungsbedarf, will jedoch ab Januar untersuchen, wie gut die Pandemie-Massnahmen funktioniert haben.
Dies könnte allenfalls dazu führen, dass andere parlamentarische
Instanzen – etwa die Finanzdelegation – sich dem Thema annehmen
könnten.
SGK-Präsident Urs Schwaller erinnerte am Mittwoch vor den
Medien daran, dass ein Kredit von 84 Mio. Franken für den Kauf der
Impfstoffe gegen den A/H1N1-Virus gesprochen wurde.
Nun sehe es aber danach aus, dass die Schweiz einen noch nicht definierten Anteil der Impfdosen – 10, 20 oder 30% – anderen
Ländern überlasse.
Zu prüfen sei, ob die rechtlichen Grundlagen für diese Weitergabe genüge. «Wir wollen erfahren, was mit dem Geld passiert ist, das wir für die Pandemiemassnahmen gesprochen haben», sagte Schwaller.
Die Schweinegrippe hat die Schweiz flächendeckend erreicht. Auf 1000 Arztkonsultationen entfielen letzte Woche 16,4 Verdachtsfälle. Das sind mehr als doppelt soviele als in der Vorwoche. Auch die Zahl der im Labor nachgewiesenen Grippeerkrankungen hat sich innert Wochenfrist verdoppelt.
Laut Patrick Mathys vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) steigt die Zahl der Grippefälle nunmehr seit drei Wochen rasant an. Was das heisst, zeigt der Blick auf die Statistik der letzten vier Wochen. in der Woche 42 wurden im Labor bloss 39 Fälle nachgewiesen. Eine Woche später waren es 112, zwei Wochen später 316. In der vergangenen Woche hat sich diese Zahl noch einmal mehr als verdoppelt auf 773 Fälle.
Die ersten Zahlen aus der laufenden Woche zeigen laut Mathys, dass die Kurve weiterhin stark ansteigt. Insgesamt wurden in der Schweiz seit Beginn der Zählungen im Sommer 2556 Fälle im Labor nachgewiesen. Die Zahl der effektiv am Virus (H1N1) Erkrankten soll um ein Vielfaches höher liegen.
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